Blockchain könnte die Wirtschaft revolutionieren, prophezeien mittlerweile zahlreiche Experten. Doch welches Potenzial steckt wirklich in der Technologie? © Fotolia/monsitj
Blockchain als Technologie revolutioniert aktuell zahlreiche Branchen, von Banken über die Energiewirtschaft bis hin zur Industrie.
Bitcoins sind derzeit in aller Munde – die Kryptowährung boomt und der Bitcoin-Kurs erreicht im Tagesrhythmus neue Rekordhöhen. Die Technologie dahinter erlebt ihrerseits ebenfalls einen Höhenflug und wird immer öfter als Revolution der Wirtschaft gehandelt. „In den nächsten zehn Jahren wird sich der Handel stärker verändern als in den vergangenen 40“, eröffnete beispielsweise Handelsverband-Präsident Stephan Mayer-Heinisch den Besuchern der Tech-Konferenz „TTH 2017“. „Unsere Branche lebt von neuen Impulsen und Innovationen wie Blockchain, Virtual Reality oder Artificial Intelligence.“
Der Handelsverband-Präsident verwies auf Blockchain als Innovation, welche die Zukunft des Handels mitbestimmen werde.
Auch das heimische Tech-Urgestein Damian Izdebski sieht die Technologie als Treiber. Der Unternehmer gründete das IT-Start-up techbold und widmet sich seither Trendthemen wie Virtual Reality oder Blockchain.
Marcus Presich, Experte für digitale Plattformen, Analytics und Kryptowährungen bei der Raiffeisen Bank, ist indes vom Potenzial sogenannter „Smart Contracts“ überzeugt und sieht spannende Anwendungsmöglichkeiten im FinTech-Bereich, etwa syndizierte Kredite, Trade Finance und Supply Chain Tracing. „Via Blockchain-Technologie könnte aber auch die branchenübergreifende Authentifizierung von Kunden effizienter gelöst werden. Das bekannte R3-Konsortium entwickelt derzeit übrigens eine eigene proprietäre Blockchain, bei der bereits mehr als 100 Banken partizipieren und an verschiedensten Use Cases forschen“, erklärt Presich. Der Tech-Banker rechnet fix damit, dass die Blockchain innerhalb der nächsten fünf Jahre ihr volles Potenzial entfalten wird.
Umbrüche durch die Blockchain
Die Blockchain-Technologie könnte massive Umbrüche nach sich ziehen, auch wenn die tatsächliche Ausprägung wie zu den Anfangszeiten des Internet noch nicht absehbar ist. Für viele Branchen ist es aber schon höchst an der Zeit, sich mit der „Quelle der Wahrheit“ auseinanderzusetzen, erklärten daher zahlreiche Experten bei einer Podiumsdiskussion der Plattform „Digital Business Trends“.
Begonnen hat alles just im Jahr der Bankenkrise 2008, als in einem unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlichten Dokument erstmals die Bitcoin-Technologie beschrieben wurde – als bewusste Alternative zum herkömmlichen Finanzsystem. Im Jahr 2013 hat dann Vitalik Buterin die Blockchain-basierte Plattform Ethereum mitgegründet. „Da ging es nicht mehr nur um Geld, sondern um sogenannte Smart Contracts – Programme in der Blockchain, die eine umfangreiche Automatisierung verschiedener Prozesse erlauben“, erklärt Thomas Zeinzinger, Gründer des BlockchainHub Graz.
Das könnte das noch stotternde Internet der Dinge (IoT) beschleunigen und die Abrechnung zwischen Maschinen ermöglichen. Im Energiebereich lasse sich das komplexe System aus Produzenten, Konsumenten und Versorgern mit der Blockchain automatisiert und sicher abbilden. Autonome E-Fahrzeuge, die in der Stadt zirkulieren, könnten über die eigene digitale Brieftasche unterwegs Strom kaufen. „Und es wird weiter Finanzorganisationen geben, aber klassische Banken sind nicht mehr notwendig“, so Zeinzinger über mögliche Anwendungsgebiete.
„Aber nicht alles verlangt nach der Blockchain“, erklärt Mikhail Arshinskiy von Deloitte Österreich im Hinblick auf den Einsatz in Unternehmen. Der Hype gehe so weit, dass viele die Technologie auch dort anwenden wollten, wo es gar nicht sinnvoll sei, mahnt er. Oft würde eine herkömmliche Datenbanklösung völlig ausreichen. Unternehmen sollten Blockchain jedenfalls sowohl als Technologie als auch Wirtschaftsmodell berücksichtigen – wenn auch mit der gebotenen Vorsicht.
Nicht jeder Anwendungsfall eignet sich
Zwar eigne sich nicht jeder Anwendungsfall für die Blockchain. Wenn aber doch, sei das Einsparpotenzial durch optimierte und beschleunigte Prozesse enorm, meint auch Christian Minarovits von IBM Österreich. So könnten Banken die Exportfinanzierung schneller und billiger abwickeln. Für viele Organisationen sei zwar noch nicht nachvollziehbar, wo ihr Vorteil liege. Aber erste Anwendungen, etwa im Produktionsbereich, würden hier bald Klarheit bringen. „Die Unternehmen kuscheln jetzt schon entlang der Wertschöpfungskette und das wird noch intensiver. Durch die Blockchain kann jetzt das bisher teilweise fehlende Vertrauen hergestellt werden“, so Minarovits.
Geschlossene Blockchains hätten zudem den Vorteil, dass dafür keine Kryptowährung notwendig sei. Beim offenen Bitcoin-System gebe es ja einen kaufmännischen Anreiz: Die Miner würden Bitcoins als Belohnung für ihre Anstrengungen erhalten, die Anwendung fälschungssicher zu machen. Bei einer geschlossenen Community gebe es weniger Prüfaufwand, weil mehr Vertrauen herrsche, und damit sei auch eine schnellere Transaktionsrate möglich. So stehen sieben Transaktionen pro Sekunde bei Bitcoin beispielsweise rund 2.500 Transaktionen bei Visa gegenüber, erläutert Zeinzinger.
Die Branche hat dies längst erkannt, immer schneller erobern Lösungen auf Blockchain-Basis zunehmend mehr Bereiche. So will beispielsweise BlockEx die Finanzdienstleistungsbranche mittels Blockchain verschlanken und hat sich dafür mit OpenText verbündet. Zusammen wollen die Partner die Finanzierung der Lieferkette mit Blockchain effizienter machen. OpenText betreibt über sein Business-Network einige der weltweit größten Lieferketten. Mehr als 600.000 Unternehmen gehören dem Network an, in dem jedes Jahr über 24 Millionen Geschäftstransaktionen abgewickelt werden. BlockEx sieht schon seit Langem großes Potenzial in der Blockchain-basierten Innovation und Automatisierung der Finanzierung der Lieferkette.
„BlockEx begrüßt die Kollaboration mit dem OpenText Business-Network“, betont Adam Leonard, CEO von BlockEx. „Die Teamarbeit mit OpenText bei der Entwicklung einer Blockchain-basierten Plattform für die Handelsfinanzierung ist wirklich spannend. Durch unsere Partnerschaft haben einige der weltweit größten Lieferketten, die dem OpenText Business-Network angehören, ganz einfachen Zugang zur Blockchain-basierten Handelsfinanzierung.“
Digitale Verwaltung über Lebenszyklus hinweg
Die BlockEx „Digital Asset Exchange Platform“ (DAxP) verwalte dabei digitale Assets über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg – also Vergabe, Ausgabe, Handel, Verrechnung und Nachhandel. Die Lösung umfasse Tools für Erstellung und Pflege digitaler Assets sowie automatisches Berichtswesen. BlockEx kollaboriere zudem mit Handelsfirmen, Institutionen und Regierungen und biete Whitelabel-Lösungen sowie maßgefertigte Blockchain-Lösungen und Machbarkeitsstudien. Durch die Integration von DAxP mit dem OpenText Business-Network könnten nun alle vernetzten Unternehmen die Vorteile der Blockchain ausschöpfen.
„Durch diese Partnerschaft erhält jedes mit dem OpenText Business-Network vernetzte Unternehmen eine einzigartige und sichere Verwaltungsmethode für die Finanzprozesse der Lieferkettenabläufe“, verweist Marco De Vries, Senior Director Product Marketing OpenText Business-Network. „Blockchain ist eine zukunftsweisende Technologie, und wir freuen uns über die Zusammenarbeit mit BlockEx an dieser Initiative.“
Die Blockchain-Technologie soll aber auch den Umbau in ein neues, nachhaltiges und stärker dezentralisiertes Energiesystem beschleunigen. Mit Oktober 2017 starteten daher die beiden österreichischen Energieunternehmen Salzburg AG und VERBUND mehrere Pilotprojekte, um den Einsatz der Blockchain in unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen zu testen – im Peer-to-Peer-Trading, bei der Einbindung von Prosumern in lokale Netze und für den Aufbau eines neuartiges Mieterstrom-Modells.
Netzwerk von Millionen von Rechnern
Transparenz, Sicherheit und Kosteneffizienz seien die wesentlichsten Vorteile der Blockchain. Verteilt über ein Netzwerk von Millionen von Rechnern biete sie eine neue Art, Transaktionen abzuwickeln. Diese Datentransaktionen werden kryptografisch und unveränderbar verschlüsselt und Block für Block in einer Kette („Blockchain“) abgespeichert. Alle Transaktionen müssten daher von einer Mehrheit des weltumspannenden Rechner-Netzwerks bestätigt werden, dann seien sie validiert – und für immer transparent und fälschungssicher abgespeichert. Diese neue Transaktions-Architektur kommt ohne „Mittelsmänner“ aus. Das heißt, die Transaktionen werden peer to peer, also direkt zwischen Partnern, abgewickelt, ohne dass eine Bank, ein Rechtsanwalt, ein Notar oder eine andere Institution dazwischengeschaltet wären. Laut Schätzung des „World Economic Forum“ könnten bereits 2025 bis zu zehn Prozent der weltweiten Bruttoinlandsprodukte mit Hilfe der Blockchain-Technologie abgewickelt werden. Auch das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft hat dazu eine eigene Blockchain-Initiative ins Leben gerufen.
„Die Energiezukunft ist dezentral und digital. Der Einsatz von Blockchain-Technologie im Energiesektor wird tiefgreifende Veränderungen in den Beziehungen zwischen Energieproduzent, Energieversorger, Netzbetreiber und Verbraucher bringen“, erklärt Leonhard Schitter, Vorstandsprecher der Salzburg AG. „Wir müssen uns schon heute die Fragen stellen, auf die unsere Kunden in Zukunft Antworten wollen. Mit dem Einsatz von Blockchain im Endverbraucher-Segment werden auch neue Energieprodukte und Dienstleistungen möglich. Im konkreten Pilotprojekt – Mieterstrom-Modell – werden unsere Kunden selbst zu Akteuren in einem dezentralen Markt, die aktiv in das Marktgeschehen eingreifen“.
„Der Energiemarkt ist eines der interessantesten Anwendungsgebiete der Blockchain-Technologie. Dank der Standardisierung des sicheren Datenaustauschs werden viele Anforderungen der Energiewende adressiert und neue Geschäftsmodelle mit Fokus auf Energiehandel- und -verbrauch entstehen. Wir sehen Anwendungsgebiete in der dezentralen Energieerzeugung, in der Vernetzung im Smart Grid bis hin zu E-Mobilität und Stromhandel“, ergänzt VERBUND-CEO Wolfgang Anzengruber. „Gerade im Strom-Großhandelsgeschäft bietet die Abwicklung der Prozesse über die Blockchain viele Vorteile, wie die Reduktion von Transaktionskosten oder die höhere Liquidität in den Strommärkten durch den Zugang für neue, kleinere Player.“
Der Strom- und Gasgroßhandel ist einer der bisher konkretesten Anwendungsfälle der Blockchain-Technologie. Gemeinsam mit Ponton, einem etablierten Stromhandelssoftware-Anbieter im DACH-Raum, würden VERBUND und Salzburg AG in einem internationalen Konsortium an einer Peer-to-Peer-Lösung für den Einsatz im Strom-Großhandel arbeiten. Da die Abwicklung der Transaktionen ohne Intermediäre, also ohne Broker erfolge, würden die Kosten gesenkt, was gleichzeitig neue, kleinere Player in den Markt bringe und die Liquidität des Strom-Handelsmarktes erhöhe. Prozesse wie Fahrplanmeldung oder Confirmation Matching seien dann weiterführende potenzielle Anwendungsfälle.
Passive Einkünfte
Eine weitere Blockchain-Adaption soll indes für fast jede Person monatlich passive Einkünfte von 30 bis 300 US-Dollar ermöglichen. Mit der Birdchain-App würden nicht verwendete SMS von Personen an Unternehmen verkauft. „Immer weniger Menschen schicken SMS; fast jeder verwendet heutzutage Instant-Messaging-Apps. Gleichzeitig bezahlen Unternehmen jedoch Höchstpreise für jede einzelne SMS-Nachricht. Wir entwickeln eine Lösung, die für beide Parteien von Nutzen sein wird. Personen werden dafür bezahlt, etwas zu verkaufen, was sie nicht brauchen, und Unternehmen erhalten einen besseren Service und bezahlen weniger“, erläutert Audrius Vrubliauskas, CEO von Birdchain.
In einigen Ländern koste eine einzelne Geschäft-zu-Person-SMS (Application-to-Person, A2P) bis zu 0,08 Dollar. Die Firma rechnet damit, dass dieser Preis auf bis zu einem Sechstel reduziert werden könne. „Wir sind seit fast zehn Jahren im A2P-SMS-Markt tätig und wir haben all die Probleme damit satt. Es fehlt die Transparenz, die Liefergeschwindigkeit ist eher langsam und die Aggregatoren übernehmen fast keine Rechenschaft für ihre Dienste usw. Blockchain und Smart Contracts können alle diese Probleme lösen“, betont Vrubliauskas.
Auch für die heimische öffentliche Hand ist Blockchain mittlerweile ein wichtiges Thema. So veranstaltete etwa das Bundesrechenzentrum (BRZ) gemeinsam mit der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB) ein DIMCA-Netzwerk-Treffen, im Rahmen dessen unter dem Titel „Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung“ Experten aus Recht, Verwaltung und Wirtschaft zu ihren Erfahrungen, Erwartungen und Anforderungen an die neue Technologie diskutierten.
Mit der Technologie könnten viele Prozesse abgesichert durchgeführt werden – transparent und fälschungssicher. Doch wo lässt sich eine Blockchain in der Verwaltung sinnvoll einsetzen? „Das BRZ versteht sich bei den DIMCA-Workshops als Enabler, der den Anstoß zu neuen Lösungen gibt, die dann mit neuesten Technologien wie eben der Blockchain entwickelt werden können“, führt Matthias Lichtenthaler, Bereichsleiter Digitale Transformation im BRZ, aus. „Es gibt Anwendungsfälle, die uns ohne die Blockchain-Technologie niemals eingefallen wären, und solche, die ohne Blockchain nicht umsetzbar wären.“ Das BRZ beispielsweise teste derzeit Konzepte zur E-Zustellung auf Basis der Blockchain.
Prozesse weiter verbessern
„Eine Blockchain bietet die Chance, zahlreiche Prozesse, die hinter den Kapitalmarkttätigkeiten stecken, noch effizienter, kostengünstiger, sicherer und rascher durchzuführen“, meint auch Heinz Wachmann, Geschäftsführer OeKB Business Services. Aber auch für die Bürger könnte die Blockchain Nutzen bringen: Eine elektronische Dokumentenmappe sowie die Kreation einer sicheren digitalen Identität sind Konzepte, die derzeit geprüft werden.
„Planen und Bauen von Anlagen einerseits, Nutzen und Betreiben andererseits, sind heute meist nicht optimal verknüpft“, erläutert wiederum Ernst Heger, CIO ÖBB Infrastruktur AG. „Die Blockchain ist eine der Technologien, die helfen können, diese Lücke zu schließen. Sie kann ein Optimierungspotenzial aufgrund einer integrierten Datenkette bieten.“ Smart Contracts, selbstausführende Verträge, seien dabei ein weiterer Anwendungsfall, der einen bisher notwendigen Intermediär (wie beispielsweise einen Notar) ausschließt. Rechtlich seien hier aber noch viele Fragen offen, warnt Ines Freitag, CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH. „Ein Smart Contract ist weder smart noch ein Vertrag, er ist zuvorderst Software. Er enthält meist nur die Hauptleistung und keine sonstigen Regelungen, d. h., je komplexer ein Smart Contract, desto mehr Lücken und Fehler kann er aufweisen.“ Es werde daher in vielen Fällen immer noch ein Gericht brauchen, um Recht durchzusetzen. (TM)
www.opentext.com
www.blockex.com
www.salzburg-ag.at
www.verbund.com
www.birdchain.io
www.brz.gv.at
www.handelsverband.at