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Falscher Chef am Telefon.

NEW BUSINESS - NR. 2, MÄRZ 2020
Software zur Stimmimitation eröffnen Betrügern viele Türen. © Pete Linforth/Pixabay.com

Mit dem ersten Fake-President-Schadensfall durch eine künstlich intelligente Stimmimitations-Software wurden 220.000 Euro auf ein ungarisches Konto überwiesen.

Erstmals kam bei der sogenannten „Fake President“-Betrugsmasche, auch als „CEO Fraud“, „Chef-Betrug“ oder „Chefmasche“ bekannt, eine Stimm­imitations-Software zum Einsatz. Diese Software basiert auf „Machine Learning“: Mithilfe eines selbstlernenden Algorithmus kann sie innerhalb von einigen Minuten die Stimme eines Menschen erlernen und anschließend nachahmen – inklusive der individuellen Sprachmelodie oder des landestypischen Akzents. Damit hat die bisher meist allein auf E-Mails basierende Betrugs­masche eine neue Variante. Trotz des relativ hohen Bekanntheitsgrads der Betrugsmasche bewegen sich die Fallzahlen seit Jahren auf relativ gleichbleibend hohem Niveau. Die Schadenssummen haben in den letzten Jahren allerdings deutlich zugenommen.

„Der falsche Johannes“: Wenn der falsche Chef die richtige Stimme hat
„Die Täter gehen immer gewiefter vor. Mit der erstmaligen Nutzung von künstlicher Intelligenz bei der Fake-President-Betrugsmasche erreichen wir eine neue Evolutionsstufe“, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Das ist aber erst der Anfang: Software zur Stimm- oder Handschriftenimitation oder auch Deepfake-Videos eröffnen Betrügern in Zukunft noch viele neue Möglichkeiten. In einem oder zwei Jahren gibt es vielleicht den ersten Fake-President-Fall, bei dem die Zahlungsanweisung als Deepfake-Video per WhatsApp kam.“
Inzwischen sind viele dieser Anwendungen bereits relativ weit entwickelt, sodass sie insbesondere am Telefon vom „Original“ nur schwer zu unterscheiden sind. So auch beim Anruf des vermeintlichen deutschen CEO eines Energie­unternehmens beim Chef der britischen Niederlassung.
„Bei uns heißt dieser Schadensfall ‚Der falsche Johannes‘: Der falsche Chef hat die richtige Stimme“, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei Euler Hermes. „Konkret gab der CEO bei diesem Fall dem Chef des britischen Tochterunternehmens nicht nur per E-Mail, sondern vorab auch telefonisch Zahlungsanweisungen. Dieser hat sich zwar etwas gewundert, da er jedoch die Stimme eindeutig erkannte, hat er den Auftrag trotzdem durchgeführt. Er hat 220.000 Euro auf ein Konto in Ungarn überwiesen. Das gesamte Geld war weg.“
Die Begründung des falschen Chefs: Er habe den Transaktionszeitraum der Bank am Freitagnachmittag verpasst. Die Überweisung hätte vor 16 Uhr getätigt werden müssen, damit die Zahlung noch vor dem Wochenende erfolgen kann. Durch die Zeitverschiebung sei die Überweisung deshalb nur noch durch die britische Tochter möglich – denn in Großbritannien war es erst 15 Uhr.

Stimmimitations-Software aktuell nur auf Englisch: Ausländische Niederlassungen gefährdet
„Es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet eine britische Tochter des Unternehmens war, die Ziel des Betrugs wurde“, sagt Kirsch. „Die Zeitverschiebung ist dafür zwar nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr die Tatsache, dass die vermutlich verwendete Stimmimitations-Software aktuell nur Englisch kann. Unternehmen sollten daher ihre ausländischen Niederlassungen besonders sensibilisieren, dass die Betrüger ihre Masche weiterentwickelt haben.“
Der britische Chef war grundsätzlich mit dem Fake-President-Betrug vertraut, das Unternehmen hatte seine Auslands­töchter alle davor gewarnt. Durch die eindeutige Zuordnung der Stimme schrillten die Alarmglocken allerdings nicht laut genug. Misstrauisch wurde er erst, als die versprochene unternehmensinterne Zahlung auf sich warten ließ – und er eine weitere Zahlung veranlassen sollte.

Gier provoziert Fehler: Zweite Überweisung wird vereitelt
„Der Täter wurde nach seinem ersten Erfolg gierig und witterte das große Geld“, sagt Kirsch. „Dabei wurde er auch schlampiger und machte einige Fehler: Sein zweiter Anruf kam von einer österreichischen statt einer deutschen Nummer.“ Auch die Begründung war widersprüchlich: Der ungarische Lieferant bestehe darauf, dass die Zahlung vom gleichen Konto käme, begründete der falsche Chef die zweite Zahlung. Das Empfängerkonto war allerdings ein gänzlich anderes als beim ersten Mal. Erst da wurde der Brite stutzig und rief den echten CEO an: „Kurios war dann, dass der falsche Johannes anrief, während er mit dem echten am Telefon war“, sagt Kirsch.
Die neue Variante kombiniert die bisherige E-Mail-Kommunikation mit Telefonanrufen. Die Anrufe dienten insbesondere zur Vertrauensbildung und waren maßgeblicher Erfolgsfaktor. Die Zahlungsanweisungen mit den mehrstelligen Kontodaten kamen – wie in der allgemeinen Geschäftspraxis – per E-Mail. Gut für die britische Tochter, denn die Telefonate des falschen Chefs wurden nicht aufgezeichnet. Durch die E-Mails mit den Zahlungsanweisungen und Kontodaten war der Tathergang und Schaden jedoch eindeutig nachweisbar.“

Fallzahlen weiterhin auf hohem Niveau – Schadenssummen steigen weiter
Seit 2014 tritt die Fake-President-Betrugsmasche in Deutschland vermehrt auf und nahm in den folgenden Jahren stark zu. Der im April 2019 vom Federal Bureau of Investigation (FBI) veröffentlichte Internet Crime Report geht 2018 von über 20.000 Fake-President-Opfern aus. Laut der Studie haben die Täter mit der Betrugsmasche im vergangenen Jahr weltweit insgesamt 1,2 Mrd. US-Dollar erbeutet – das ist der größte finanzielle Posten in der Rubrik Schäden durch Internetkriminalität. Zwischen 2013 und 2018 haben sich die bekannten weltweiten Schäden durch Fake President auf insgesamt 12,5 Mrd. US-Dollar summiert – und die Dunkelziffer ist weiterhin hoch.

Euler Hermes: 65 Fälle mit einem Schadensvolumen von insgesamt mehr als 165 Mio. Euro
„Trotz gestiegenem Bewusstsein, dass es solche Betrugsmaschen gibt, sehen wir bisher ebenfalls keinen wirklichen Rückgang der Fallzahlen – und die Schadenshöhen steigen weiterhin an“, sagt Kirsch. „In den letzten vier Jahren haben wir allein bei Euler Hermes etwa 65 Fälle mit einem gemeldeten Schadensvolumen von mehr als 165 Mio. Euro verzeichnet. Anfangs waren es noch Einzelfälle, inzwischen sind es durchschnittlich etwa 20 Fälle pro Jahr.“
Die Schadenshöhe variiert dabei zwischen rund 150.000 Euro und 50 Mio. Euro – Tendenz steigend. In Sicherheit fühlen kann sich dabei keine Branche: „Bei den betroffenen Unternehmen waren praktisch alle Branchen und Unternehmensgrößen vertreten, zunehmend auch kleine und mittelständische Unternehmen – überdurchschnittlich oft Unternehmen mit Tochtergesellschaften im Ausland“, sagt Kirsch. „Kommt es zu einer Überweisung, ist Zeit Geld: Die ersten 36 bis maximal 72 Stunden sind entscheidend, ob vielleicht noch ein Teil des Geldes durch schnelles Handeln und einen guten Draht zur Hausbank zurückgeholt werden kann.“
Nur etwa eine Million Euro konnte bei den 65 Fällen durch schnelles Handeln und den Rückruf der Überweisungen über die Hausbank wiederbeschafft werden. In den meisten Fällen war das Geld weg. Die Spur verlor sich auf Konten in China, Hongkong, Afrika, Russland, Israel oder Osteuropa. Auch Ermittlungserfolge sind selten und Täter konnten bisher nur in wenigen Einzelfällen gefasst werden.
„Die Täter werden immer professioneller“, sagt Kirsch. „Laufend entwickeln sie ihre Methoden weiter. Erst kamen Zahlungs- und Bestellerbetrug, Fake IT-Mitarbeiter und schließlich Geschenkkarten. Dass sie jetzt auf künstliche Intelligenz zurückgreifen, ist nur logisch. Das werden wir in Zukunft sicher häufig sehen. Wenn sie gut gemacht sind, ist das ein enormes Risiko und es könnte Fallzahlen und Schadenssummen nach oben treiben.“ (BO)