Diversität verleiht Flügel

NEW BUSINESS - NR. 6, JULI/AUGUST 2019
Das Konzept des Diversity Managements befasst sich mit dem bestmöglichen Einsatz sozialer Vielfalt. © Fotolia/Narupon

Warum soziale Vielfalt Ihrem Unternehmen eine Zukunft gibt.

Frauenquote, Gender Equality, alternsgerechtes Arbeiten, interkulturelle Kommunikation, Work-Life-Balance, Barrierefreiheit, Chancengerechtigkeit, soziale Integration und Inklusion – die tatsächlichen Fortschritte in diesen Bereichen sind zwar nach wie vor stark ausbaufähig, aber das Thema Diversität ist heutzutage zumindest in aller Munde. Doch das war nicht immer der Fall.
Die Wurzeln des Diversitätsmanagements sind in den USA zu finden. Die frühe Frauenbewegung kämpfte Mitte des 19. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen und gegen die Sklaverei. Ab Mitte der 1960er-Jahre kamen weitere Empowerment-Bewegungen auf, wie beispielsweise das American Indian Movement im Jahr 1968 oder die Grey Panthers gegen Altersdiskriminierung anno 1970. Nach und nach hat das Konzept der Vielfalt und Gleichberechtigung weltweit immer mehr Steine ins Rollen gebracht.
Die zunehmend einfachere und weitreichendere geografische Mobilität, die engmaschigen internationalen Verflechtungen im Zuge der Globalisierung, die immer kürzeren Innovationszyklen der modernen Wirtschaft sowie ein akuter Mangel an Fachkräften animierten eine wachsende Anzahl an Organisationen und Unternehmen zu integrativen Aktionen. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern, wenn man die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Egon Zehnder betrachtet: In der Befragung von 2.500 Führungskräften in sieben Ländern nannten fast zwei Drittel der um die Jahrtausendwende ins Berufsleben eingetretenen Millennials Diversität als wichtigste Eigenschaft ihrer Firma. Bei den aus dem Berufsleben ausscheidenden Babyboomern waren es nur 51 Prozent.
Viele Führungskräfte zeigen sich aber weiterhin skeptisch. Forscher fanden bereits in den 1970er-Jahren heraus, dass Menschen besonders gern mit Personen agieren, die ihnen in bestimmten Merkmalen ähneln. Daher liegt es nahe, dass Chefs im Bewerbungsverfahren Kandidaten auswählen, deren Lebenslauf dem eigenen besonders nahe kommt. Ein Widerspruch, der nach einem nachhaltigen Umdenken schreit.

Diversität hat viele Gesichter: Im Gespräch mit Hermann Zeilinger
Im Zuge der Recherche zu diesem Beitrag sind uns abseits der erwähnten Fakten noch viele andere Erkenntnisse im Bezug auf das brisante Thema Diversity zuteil geworden. Diese haben, insbesondere im unternehmerischen Kontext, jedoch ebenso viele Fragen aufgeworfen: Sind sozial vielfältige Unternehmen tatsächlich erfolgreicher als andere? Wie lässt sich die Diversität des eigenen Unternehmens aktiv fördern? Und: Wie gehen österreichische Unternehmen mit dem Thema Diversity Management um?
Zu diesen und anderen Unklarheiten ist uns der TÜV-AUSTRIA-Auditor und Produktverantwortliche für Diversity Management Hermann Zeilinger dankenswerterweise Rede und Antwort gestanden.

Herr Zeilinger, welchen Stellenwert würden Sie dem Diversity Management in Bezug auf den Erfolg eines Unternehmens zuschreiben?
Je komplexer Anforderungen an Unternehmen werden, desto wesentlicher ist es, ganz bewusst auf Vielfalt zu setzen. Nicht nur, dass damit Innovation und Produktentwicklung vorangetrieben werden, so können wir es uns auf einem immer knapper werdenden Arbeitsmarkt auch nicht mehr leisten, auf bestimmte Gruppen potenzieller Beschäftigter zu verzichten. Die Nachhaltigkeit wird maßgeblich von der Vielfalt der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beeinflusst. Zahlreiche Untersuchungen zeigen heute schon, dass etwa gemischte Führungsteams bessere Ergebnisse erzielen und treffsicherere Entscheidungen fällen.

Denken Sie, dass heimische Unternehmen dem Thema Diversität heutzutage ausreichend Aufmerksamkeit schenken? War das früher anders?
Nach wie vor sehen Unternehmen das Thema Diversity überwiegend unter dem Gender-Aspekt Mann/Frau. Es wird jedoch immer wesentlicher, Vielfalt in ihrer ganzen Dimension, nämlich als wertvolle Bereicherung für Unternehmen, zu betrachten. Verstärkt werden nun auch Themen des alternsgerechten Arbeitens, aber auch des Umgangs mit kulturell unterschiedlichen Beschäftigten und Kundengruppen angegangen. Anderen Themen, wie etwa Religion oder sexuelle Orientierung, wird vielerorts noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wobei sich das langsam zu ändern beginnt. Die Zeiten der weisen, weißen Männer scheinen aber definitiv vorbei zu sein.

Mitarbeiter unterschiedlichen Geschlechts, differenter Persönlichkeiten oder Lebenssituationen, verschiedener Kulturen und Altersgruppen einzustellen, klingt auf den ersten Blick relativ einfach. Ist es damit getan? Wie lassen sich die unterschiedlichen Bedürfnisse einer sozial vielfältigen Belegschaft ­unter einen Hut bringen?
Wir müssen in Unternehmen darauf achten, dass nicht nur bei der Neueinstellung Diversität beachtet wird, sondern auch bei der laufenden, permanenten Veränderung der Unternehmenskultur und -struktur. Nur wenn wir ein inklusives Arbeitsumfeld in allen Bereichen schaffen, gelingt es auch, die vorhandene Vielfalt positiv für alle zu nutzen. Dazu gehören nicht nur Maßnahmen gegen Diskriminierung, sondern das aktive Umgestalten von Rahmenbedingungen, damit alle ihre Leistung erbringen können und wollen. Natürlich ist zuallererst die Führungskraft gefordert, es lohnt sich langfristig aber auch. Bestes Beispiel: Zahlreiche Betriebe haben in Jobinseraten bereits m/w/d (für divers) aufgenommen. Aber damit ist es nicht getan. Denn wenn sich zum ersten Mal jemand bewirbt, der sich dieser dritten Gruppe „divers“ zuordnet, stellt sich die Frage, ob die Kultur das auch trägt und es nachgelagert auch noch weitere Überlegungen gegeben hat.

Wie lässt sich soziale Vielfalt konkret managen? Welche Eigenschaften und Kompetenzen sollten Führungskräfte mitbringen, damit Unternehmen von ihrer Vielfalt profitieren?
Diversitätskompetenz setzt sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen: Zunächst braucht es einen sicheren Umgang mit sich selbst, also mit den eigenen Prägungen und der eigenen Identität, denn sie bestimmen, wo und wie wir Ausschluss erzeugen, übersehen oder sogar aktiv fördern. Daneben spielt der Umgang mit (unterschiedlicher) Wahrnehmung ebenso eine Rolle wie empathische Kommunikation. Und zuletzt auch das, was wir Ambiguitätstoleranz nennen, also die Fähigkeit, Unterschiedlichkeit, Uneindeutigkeit und Widerspruch aushalten zu können. Daneben müssen auch die Beschäftigten mit Unterschiedlichkeit umgehen können. Aber vor allem braucht es dann konkrete Aktivitäten und Maßnahmen, die sich an den Herausforderungen ebenso orientieren wie an den Bedürfnissen der unterschiedlichen Zielgruppen. Vielfalt ist – wie der Name schon sagt – sehr breit und daher ist es wichtig, sich auf konkrete Themen zu fokussieren und klare Umsetzungsschritte zu definieren, zu denen natürlich auch die Entwicklung von „Diversitätskompetenzen“ zählt.

Welchen Vorteil bieten Standards wie die ÖNORM S 2501 in diesem Zusammenhang?
Standards wie die ÖNORM S 2501 geben uns Anleitung, wie bei der Etablierung von Diversity Management idealerweise vorgegangen werden sollte, ohne uns dabei inhaltlich einzuschränken oder ideologische Vorgaben zu machen. Dazu kommt, dass über die regelmäßige Rezertifizierung sichergestellt wird, dass eine laufende Entwicklung passiert und Themen aktiv vorangetrieben werden. Denn Diversity Management ist ein Prozess, der keinen definierten Endzustand hat und somit nie abgeschlossen ist.
TÜV AUSTRIA zertifiziert in Österreich basierend auf dem Standard und den Richtlinien der ÖNORM S 2501 Unternehmen und Organisationen im Bereich Diversity-Management-Systeme. Das Zertifikat dient dazu, eine Unternehmensgrundhaltung objektiv zu belegen. Die Voraussetzungen für die Diversity-Management-Zertifizierung umfassen einen dokumentierten nachhaltigen Gestaltungsprozess, verbindliche Zielvereinbarungen und die regelmäßige Überprüfung der Prozesse.

Können Sie uns ein österreichisches Best-Practice-Beispiel nennen? Was wurde dort richtig gemacht?
Zahlreiche heimische Unternehmen, etwa die BILLA AG, die VERBUND AG oder auch die FH Salzburg, setzen konsequent und laufend Maßnahmen, um die vorhandene Vielfalt gut zu nutzen und ein inklusives Unternehmensklima zu schaffen. Jeder dieser Betriebe hat natürlich seine ganz eigenen Herausforderungen, aber man hat die Wichtigkeit der Vielfalt erkannt und arbeitet an laufenden Verbesserungen.

Welchen Rat würden Sie zukünftigen Führungskräften mit auf den Weg geben, die sich soziale Vielfalt für ihr Unternehmen wünschen?
Vielfalt an sich ist ohnehin in den meisten Unternehmen bereits vorhanden. Wesentlich ist, dass wir aktiv beginnen, jene Faktoren zu bearbeiten, die Ausschlüsse verursachen, und laufend an Verbesserungen arbeiten. Vielfalt als Ressource zu verstehen und nicht als Bedrohung, ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Und es bedeutet, manchmal auch die eigene Komfortzone zu verlassen und für einen selbst bequeme Rahmenbedingungen zu verändern, damit Raum für neue Möglichkeiten entsteht. (BO)

INFO-BOX
ÖNORM S 2501 – Diversity Management
TÜV AUSTRIA CERT zertifiziert, basierend auf dem Standard und den Richtlinien der ÖNORM S 2501, Unternehmen und Organisationen im Bereich Diversity-Management-System. Mit der ÖNORM S 2501 „Diversity Management – ein ­allgemeiner Leitfaden über Grundsätze, Systeme und Hilfsinstrumente“ wurde 2008 ein Qualitätsstandard für Diversitätsmanagement geschafft und ein ­konkreter Leitfaden bzw. eine Norm für interessierte Organisationen und ­BeraterInnen realisiert. Die positive Wirkung der Vielfalt auf ein Unternehmen bzw. eine Organisation ist unbestritten. Aktivitäten in diese Richtung sind oft Bestandteil eines langfristigen, nachhaltigen Unternehmenserfolges und daher wird Diversity Management als strategischer Managementansatz gesehen. Durch die politischen Bestrebungen in Richtung Gleichberechtigung, Integration und der Verlängerung der Lebensarbeitszeit bekommt dieses Thema eine ­zusätzliche gesellschaftspolitische Dimension. Die Zertifizierung erfolgt derzeit noch im nicht akkreditierten Bereich.
TÜV AUSTRIA unterstützt Unternehmen und Organisationen bei Maßnahmen und Aktivitäten des Diversity Managements, um diese Potenziale bestmöglich zu nutzen. Voraussetzungen für die Zertifizierung sind ein dokumentierter nachhaltiger Gestaltungsprozess, verbindliche Zielvereinbarungen und die kontinuierliche Begutachtung der Prozesse. Unternehmen und Organisationen erhalten
ein international anerkanntes Zertifikat und damit auch die Berechtigung, das entsprechende TÜV-AUSTRIA-CERT-LOGO z. B. auf Drucksorten und im Internet zu Marketingzwecken zu verwenden.
www.tuv.at/diversitymanagement

INFO-BOX
ZukunftVIELFALT® – Entwicklungsinstrument und Auszeichnung für ganzheitliches Diversity Management
Der TÜV-Kooperationspartner ZukunftVIELFALT® hat sich zum Ziel gesetzt, ­einen einfachen, professionell angeleiteten Zugang zum Thema Diversity Management zu eröffnen und dabei trotzdem alle Themen und Kerndimensionen mitzuberücksichtigen. Peter Rieder (Arbeitswelten Consulting), Sabine Caliskan (Caliskan Crossing Cultures) und Mathias Cimzar (MTraining) schufen damit unter Beteiligung zahlreicher ExpertInnen 2014 den ersten standardisierten Beratungsprozess für ganzheitliches Diversity Management samt externer Zertifizierung und Auszeichnung in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Das ZukunftVIELFALT® Diversity Planning ermöglicht Unternehmen, Projektgruppen und Diversity Managern, auch ohne Begleitung in drei einfachen Schritten erste Ansätze für ihre Diversitätsstrategie zu erarbeiten. „Das Besondere ist, dass das Diversity Planning Tool Unternehmen ermöglicht, das komplexe Thema Diversity fassbar und einfacher zu machen und konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, auch wenn man mit dem Thema bislang noch wenige Berührungspunkte hatte“, zeigt sich Mitentwickler Peter Rieder überzeugt.
www.zukunftvielfalt.at