Investoren stürzen sich nun auf den Markt, um sich die Perlen zu sichern. © Adobe Stock/pict rider
Während der befürchtete „Insolvenz-Tsunami“ ausbleiben könnte, laufen zahlungsunfähige Unternehmen Gefahr, zu gefundenem Fressen für Investoren aus dem In- und Ausland zu werden.
Ende Juni läuft der Großteil der staatlichen Finanzspritzen für die heimische Wirtschaft aus. Danach wird sich zeigen, wie viele Unternehmen es geschafft haben, die Krise zu überstehen. Der prognostizierte „Insolvenz-Tsunami“ könnte ausbleiben, obwohl gerade bei Klein- und Mittelbetrieben Schließungen vielfach nicht zu verhindern sein werden. Es seien in der Pandemie aber auch neue Geschäftsmodelle entstanden, die bestehende Unternehmen vor der Insolvenz retten und auch Neugründungen ermöglichen werden. So lautete die Prognose eines Expertenpanels des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK), unter anderem mit der neuen interimistischen Chefin der ÖBAG, Christine Catasta. Auf Einladung von IFWK-Präsident Rudolf J. Melzer diskutierte sie mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien über das Risiko einer „Zombiefizierung“ der österreichischen Unternehmen im Pressezentrum der Austria Presseagentur in Wien.
Goldgräberstimmung
In ihrem Eingangsstatement zeigte sich Christine Catasta vorsichtig optimistisch: „Die Prognosen waren viel trüber, als die Lage nun tatsächlich ist. Die Stimmung bei den Unternehmen ist großteils optimistisch. Viele Firmen haben die Krise als Chance genutzt, sich neue Geschäftsmodelle zu überlegen, und sind innovativer geworden.“ Rudolf J. Melzer, Gründer des IFWK, stellte daraufhin die kritische Frage, ob es nicht dennoch so wäre, dass gerade in jenen Branchen, die es besonders hart getroffen hätte, das Wirtschaften der vergangenen Monate „auf Pump“ unweigerlich in eine Krise nach der Krise führe? Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG: „Bei großen Unternehmen ist die Stimmung gut, weil sie mit großem Eigenkapital durch die Krise gekommen sind. Bei Kleinunternehmen sieht das anders aus, hier wird es mit Sicherheit vermehrt Liquidationen und Insolvenzen geben. Außerdem bemerken wir, dass in Österreich die Goldgräberstimmung ausgebrochen ist. Investoren stürzen sich nun auf den Markt, um sich die Perlen zu sichern“, beobachtete Vybiral.
Neue Dynamik
Auch der Institutsleiter der KMU Forschung Austria, Thomas Oberholzner, beantwortete die von Moderator Arne Johannsen gestellte Frage, ob es nach dem Einstellen der staatlichen Hilfen zu einer Insolvenzwelle kommen würde, mit einem klaren Nein: „In der Pandemie hatten wir eine eingefrorene Situation, in die jetzt wieder Dynamik kommt. Schließungen und Gründungen werden sich die Waage halten. Natürlich werden Unternehmen, die die notwendige Digitalisierung und andere Innovationen schon vor oder spätestens in der Krise gut vorangebracht haben, wachsen und dadurch werden sich die Marktanteile neu verteilen. Die Kundenbeziehungen haben sich geändert, durch das vermehrte Onlineshopping fallen frühere Stammkunden weg. Wer sich darauf nicht eingestellt hat, wird nicht überleben am Markt.“
Schuldnerfreundliche Stimmung an den Gerichten
KSV1870-Chef Vybiral sah in der jetzigen Situation aber auch eine Chance des Umdenkens: „Wir haben in Österreich eine beispielhaft hohe Sanierungsrate, 30 Prozent aller Insolvenzen gehen in eine Sanierung. Hier sind wir Vorreiter.“ Wo Österreich allerdings dringend Handlungsbedarf habe, sei, eine gute Kultur des Scheiterns zu schaffen: „Das wird zwar von der Politik nicht gerne gehört und gesagt, aber es braucht in einem gesunden Wirtschaftssystem auch immer wieder eine strukturierte Bereinigung. Welche Unternehmen haben das Potenzial, weitergeführt zu werden, und bekommen dafür auch die notwendige Unterstützung? Es muss uns klar sein, dass die Corona-Pandemie kein Managementfehler ist, sondern eine Gesundheitskrise, und wir müssen alles daransetzen, dass Unternehmen mit gutem Potenzial fortgeführt werden können.“ Das Positive an der derzeitigen Situation sei die schuldnerfreundliche Stimmung an den Gerichten: „Die Insolvenzrichter und auch die Gläubiger sind Unternehmen gegenüber derzeit sehr wohlwollend gestimmt. Ich sehe das als Chance, diese Stigmatisierung des Scheiterns endlich aufzubrechen.“
Banken tragen große Verantwortung
APA-Wirtschaftsredakteurin Regina Forster stellte den Diskutanten die Frage nach der Rolle der Banken in dieser Zeit der Neu-Ausrichtung und der Umstrukturierung: „Es gab schon in der Vergangenheit Zeiten, in der Banken der verlängerte Arm des Staates waren, das ist jetzt erneut der Fall. Werden jetzt, in der Zeit nach der Krise, die Schrauben wieder gelockert, so dass auch wieder in riskantere Businesspläne investiert werden kann?“ Christine Catasta zeigte sich überzeugt, dass die Banken eine große Verantwortung tragen: „Wenn die Liquidität zurückkommt, wird der Staat sich zurückziehen, und dann heißt es für die Banken, genau hinzusehen und potenzielle Unternehmen mit Finanzierungen zu unterstützen.“ Thomas Oberholzner sah in diesem Strukturwandel aber auch die Chance, vom Gießkannenprinzip wegzukommen: „Branchen, die nicht so stark von den Lockdowns betroffen waren, haben keinen Bedarf mehr an Zuschüssen. Wenn die Kurzarbeit beispielsweise für alle weitergeführt wird, werden dadurch Personalressourcen gebunden, die an anderen Stellen dringend gebraucht werden – Stichwort Fachkräftemangel. Eine differenzierte Vorgehensweise hier und bei den Liquiditätszuschüssen nach Branchen ist unbedingt erforderlich.“
Gute unternehmerische Ideen entstanden
Alle Diskutanten des Abends waren sich abschließend einig, dass in der Pandemie viele gute unternehmerische Ideen entstanden sind, die es auch wert seien, unterstützt zu werden. In einer gesunden Volkswirtschaft könnten aber auch die Gesetze des Marktes nicht ausgeschaltet werden und daher müsse man auch mit einem gewissen Prozentsatz an Firmenschließungen rechnen. (VM)