Die Suche nach Beweismaterial im digitalen Zeitalter

NEW BUSINESS - NR. 6, JUNI 2022
Inwieweit Ermittler:innen digitale Daten sicherstellen dürfen und wo die Strafprozessordnung an ihre Grenzen stößt – das erklärt Rechtsanwalt Alexander Stücklberger, Experte für Wirtschaftsstrafrecht bei Brandl Talos. © Brandl Talos

Chat-Verläufe, E-Mails und Kalendereinträge sind wichtige Informationsquellen für die Strafverfolgungsbehörden. Einsicht zu erlangen ist nicht immer leicht, denn es fehlen eindeutige Regeln.

Das wichtigste Mittel zur Informationsgewinnung im Wirtschaftsstrafrecht ist, neben der Vernehmung, das Sicherstellen von Beweismitteln. Chat-Verläufe, E-Mails und Kalendereinträge enthalten wertvolle Informationen, die von Strafverfolgungsbehörden im Zuge ihrer Untersuchungen sichergestellt und ausgewertet werden.

„Solange die Daten lokal auf den Geräten gespeichert sind, können diese mitgenommen und ihr Inhalt kopiert werden“, erklärt Alexander Stücklberger, Experte für Wirtschafts­strafrecht bei Brandl Talos. „Rechtlich schwierig wird es, wenn sich die gesuchten Daten nicht direkt auf dem sichergestellten Gerät befinden, sondern nur über das Internet abrufbar sind.“

Grenzen für Ermittler:innen 
Die österreichische Strafprozessordnung regelt die Durchsicht von elektronischen Speichermedien nicht eindeutig. Denn die gesetzlichen Bestimmungen wurden vor dem Erfolgssturm von Google, Face­book, Amazon und anderen Onlinekon­zernen entworfen und gehen noch von lokalen Speichern aus. Das Gesetz definiert die Sicherstellung deshalb immer noch als die Wegnahme von Gegenständen, also physischen Objekten.

„Für das Sicherstellen von Daten, die auf externen Cloud-Speichern liegen, gibt es keine klare Rechtsgrundlage. Deshalb ist unklar, ob die Ermittler:innen für diese Daten einen besonderen Gerichtsbeschluss brauchen. Der überwiegenden Meinung nach ist das der Fall. Die Ermittler:innen holen derartige Beschlüsse aber meist nicht ein – derzeit laufen einige Beschwerdeverfahren zu dieser Frage“, erläutert Alexander Stückl­berger die ungenaue Rechtslage.

Das gilt insbesondere auch für E-Mails und Chats: Da die Ermittler:innen ohne zusätzlichen Gerichtsbeschluss nur die aktuell am Gerät gespeicherten Daten sichern dürfen, ist das Synchronisieren mit einem externen Mailserver oder mit dem Messenger-Dienst nicht gestattet.

Facebook, Google und Co: Wie ein Fahrradfahrer zum Verdächtigen wurde 
Wie sieht es aber darüber hinaus aus? Google, Facebook und Co führen weitreichende Datenbanken, in denen neben der aktiven Kommunikation der User auch unzählige persönliche, Standort- und Gesundheitsdaten gespeichert werden. Für Strafverfolgungsbehörden sind diese Daten höchst interessant und könnten ohne die Internetkonzerne nur selten und nur durch sehr intensive Ermittlungsmaßnahmen – wie laufende Handyortungen – gewonnen werden. Für diese Maßnahmen brauchen die Ermittler:innen wiederum Gerichtsbeschlüsse, die an sehr hohe Anforderungen geknüpft sind. Auch hier fehlt es im Gesetz an einer klaren Regelung.

Die weitreichenden Möglichkeiten und auch die Gefahr hinter diesen Daten zeigt ein Beispiel aus den USA. Ein Radfahrer wurde wegen eines Einbruchs verhaftet, weil er innerhalb einer Stunde dreimal am Tatort vorbeigefahren war.

Der Hintergrund: Seine Fitness-App hat Standort­daten an Google weitergeleitet. Durch eine Anfrage bei Google hat die Polizei das verdächtige Bewegungsprofil des Radfahrers entdeckt und ihn verhaftet. Auch wenn in diesem Fall das Missverständnis aufgeklärt werden konnte, zeigt das Beispiel, wie Ermittler:innen theoretisch mit diesen Daten ihre Arbeit vereinfachen könnten.

Die Datengewinnung bei Internetkonzernen ist allerdings an hohe Anforderungen und Gerichtsbeschlüsse geknüpft, die sich theoretisch bereits jetzt aus dem Gesetz ableiten lassen. Die Praxis sieht in Österreich anders aus, weiß Alexander Stücklberger: „Die Ermittler:innen behandeln diese Daten derzeit wie einfache Papierunterlagen und fordern Google und Co daher ohne Gerichtsbeschlüsse auf, die Daten herauszugeben – meist mit Erfolg. Auch hier sind derzeit zahlreiche Beschwerden von Betroffenen anhängig.“  

Die Tricks der Ermittler:innen
Ein eigenes Problemfeld bilden verschlüsselte Daten wie gesperrte Handys oder Laptops. Hier gilt: Herausgabe- und Mitwirkungspflichten sind insbesondere davon abhängig, ob es sich beim Besit­zer/bei der Besitzerin um eine:n Beschul­digte:n handelt oder nicht. Ist jemand bloß Betroffene:r, aber richtet sich der Tatverdacht nicht gegen ihn/sie oder seine/ihre Angehörigen, müssen auch die Zugangsdaten herausgegeben werden.

Für Beschuldigte gilt dagegen das „nemo tenetur“-Prinzip – sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, sich selbst zu belasten oder die Ermittler:innen sonst zu unterstützen. Sie müssen allerdings hinnehmen, dass die Strafverfolgungsbehörden versuchen, den Datenträger auf eigene Faust zu entsperren. Das Entsperren ist allerdings mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden, falls es überhaupt gelingt. Das wissen die Ermittler:innen. Deswegen greifen sie in der Praxis zum Teil auf trickreiche Methoden zurück, um Handys, Laptops und Co in entsperrtem Zustand sicherzustellen oder die Zugangscodes herauszufinden.

„Die Kriminalpolizei kann zum Beispiel einen günstigen Zeitpunkt abwarten, in dem der/die Beschuldigte unbedacht das Smartphone entsperrt und es ihm/ihr dann abnehmen. Damit wird das Nemo-tenetur-Prinzip nicht verletzt, weil kein Zwang ausgeübt wird, sondern lediglich ausgenützt wird, dass der/die Beschuldigte sich ‚ungeschickt‘ verhält“, stellt Alexander Stücklberger klar.

Eine andere Möglichkeit bildet das Entsperren von Datenträgern mittels biometrischer Verfahren. Ob und wann die Ermittler:innen z. B. ein Smartphone zum Entsperren an den Finger oder vor das Gesicht eines/einer Beschuldigten halten dürfen, ist aber nach wie vor umstritten. Auch hier fehlen eindeutige Regelungen im Gesetz.

Kurz: Der digitale Fußabdruck hinterlässt für Ermittler:innen wichtige Spuren, die sie gekonnt verfolgen. Klare gesetzliche Regelungen fehlen, was in der Praxis zu vielen Diskussionen zwischen Ermittler:innen und Verteidiger:innen führt. Fest steht: Ein Update der Strafprozessordnung an die neuen Gegebenheiten ist dringend notwendig! (BS)


INFO-BOX

Über Alexander Stücklberger
Alexander Stücklberger ist Rechtsanwalt bei Brandl Talos und spezialisiert auf ­Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitsrecht und Compliance. Zudem leitet er interne ­Untersuchungen, berät Unternehmen und Führungskräfte in arbeitsrechtlichen Fragen und ist Experte in komplexen Strafsachen und damit verbundenen ­gesellschafts- und arbeitsrechtlichen ­Streitigkeiten.

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