„Inklusion lohnt sich!“

NEW BUSINESS - NR. 7, SEPTEMBER 2021
Julia Moser, Chief Culture Officer myAbility © myAbility/Renee Del Missier

Jedes größere Unternehmen hat bereits Mitarbeitende mit Behinderungen – doch weiß es das oft nicht. Wer sich damit nicht auseinandersetzt, ist langfristig wirtschaftlich weniger erfolgreich.

Die meisten Arbeitgeber:innen kennen das Thema ‚unsichtbare Behinderungen‘ gar nicht“, sagt Julia Moser, Chief Culture Officer der Unternehmensberatung myAbility. „In Österreich zahlen derzeit mehr als drei Viertel der beschäftigungspflichtigen Unternehmen eine jährliche Ausgleichstaxe dafür, dass sie keine oder zu wenige Menschen mit Behinderungen einstellen. Ohne zu wissen, dass bei ihnen bereits Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen arbeiten. Die Beschäftigung mit diesem Thema geht also wirklich jedes größere Unternehmen etwas an.“

Das sagt allein schon die Statistik. Rund 1,3 Millionen Menschen in Österreich haben eine Behinderung. Die meisten Formen von Behinderungen sind unsichtbar, weshalb die Dunkelziffer weitaus höher sein dürfte. So gaben 2,8 Millionen Österreicher:innen ab 15 Jahren bei der „Österreichischen Gesundheitsbefragung 2019“ eine chronische Erkrankung an. Die Zahl steigt auch unter arbeitenden Menschen, unter anderem, weil der Anteil der älteren Mitarbeitenden insgesamt zunimmt. Viele wagen es nicht, darüber zu sprechen. „Sie wollen nicht durch die Linse ihrer Behinderung gesehen werden und befürchten, dass sie z. B. für Beförderungen nicht mehr in Betracht gezogen werden, weil man ihnen weniger zutraut“, sagt Moser. Doch das Verstecken nimmt viel Energie in Anspruch.

Versteckte Behinderung kommt teuer
Das Problem: Wenn Mitarbeitende nicht sagen können, dass sie beispielsweise flexiblere Arbeitszeiten oder andere Veränderungen und Mittel brauchen könnten, um ihre beste Leistung zu liefern, dann leidet langfristig ihre Arbeit darunter. „Eine Weile kann das gutgehen. Wer Karriere macht, der ist gewöhnt, seine Behinderungen zu managen, und arbeitet oft effizienter als die Kolleg:innen. Aber wenn Stressoren hinzukommen, kann das auch kippen“, so die Expertin. Es kommt zu Ausfällen. Wie z. B. bei Sandra, die eine schmerzhafte Erkrankung des Bewegungsapparats hat.

Längere Zeit hat sie die Mittagspause genützt, um sich daheim auszuruhen. Ihre Anforderungen konnte sie nicht ansprechen, und die Anstrengung wuchs. Jetzt muss sie häufiger Termine kurzfristig absagen und geht öfter in Krankenstand. Die Kolleg:innen müssen die Aufgaben übernehmen, ohne zu wissen, weshalb. Moser: „Wenn das Team nicht weiß, was hinter einem solchen Verhalten steckt, leidet die Teamleistung, und die Stimmung verschlechtert sich. Solche Probleme kommen in vielen Unternehmen vor. Vorgesetzte erkennen aber nicht, wenn dahinter eine unsichtbare Behinderung steckt. Sie vermuten eher eine Demotivation oder private Probleme.“ Für Unternehmen resultiert das in höheren Krankenstandskosten, geringerer Produktivität und schlimmstenfalls höheren Personalkosten aufgrund von Fluktuation. 

Moser: „Es ist besonders wichtig, dass Manager:innen ein Bewusstsein für dieses Thema entwickeln. Letztlich geht es darum, eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen, damit Behinderungen nicht mehr versteckt werden müssen und solche Folgeprobleme nicht mehr entstehen.“

Was können Vorgesetzte tun?
• Wenn es Leistungsprobleme gibt, deren Ursache unklar ist, könnte dahinter auch eine versteckte Behinderung oder Erkrankung liegen. Um den Raum für ein Gespräch zu öffnen, fragen Sie nach: „Gibt es etwas, das wir tun können, um Sie bei der Arbeit besser zu unterstützen?“ Und hören Sie dabei genau zu.

• Gehen Sie so weit wie möglich auf individuelle Anforderungen wie etwa flexiblere Arbeitszeiten ein und ermöglichen Sie es, Hilfsmittel wie Spezialsoftware, orthopädische Sessel oder zusätzliche Monitore zu bestellen. 

• Signalisieren Sie eine offene Unternehmenskultur: von der Gestaltung der Marketingmaterialien bis zur Barrierefreiheit der Website und der Einbindung von Gebärdensprachdolmet­scher:innen bei Unternehmensveranstaltungen. Das sind Signale, die bestehenden Mitarbeitenden wie auch interessierten Bewerbenden signalisieren, dass Sie bereit sind, auf deren individuelle Anforderungen einzu­gehen. 
„Inklusion lohnt sich!“, sagt Julia Moser. „Wenn Mitarbeitende ihre beste Arbeitsleistung erbringen können, weil sie ihre Behinderungen oder chronischen Erkrankungen nicht mehr verstecken ­müssen und weil man ihnen eine individuell optimale Arbeitsweise ermöglicht, wird auch das Unternehmen schlagkräftiger. Es schafft besseren Output und wird als Arbeitgeber:in attraktiver. Es ist damit für die Zukunft besser gerüstet.“ (BO)

INFO-BOX
Die Ausgleichstaxe
Österreichische Unternehmen mit insgesamt 25 oder mehr Arbeitnehmer:innen sind verpflichtet, auf je 25 Arbeitneh­mer:in­nen mindestens eine/n begüns­tigte/n Behinderte/n einzustellen. Andernfalls beträgt die Ausgleichstaxe je nach Unternehmensgröße 271 bis 404 Euro pro nicht beschäftigter Person.