In Zukunft werden die Aufgaben bestimmen, wie Büroräume zu sein haben. © Adobe Stock/Pixel-Shot
Monatelang hat man die Öffnung der Büros herbeigesehnt. Nun warten viele verwaiste Quadratmeter auf die Rückkehr der Mitarbeiter – vergeblich ...
... Über die ungebrochene Anziehungskraft des Homeoffice und ihre Auswirkung auf Immobilien, Architektur und die kollegiale Zusammenarbeit.
Auch wenn zahlreiche Schäfchen zur Herde zurückgekehrt sind, viele Räumlichkeiten heimischer Büros sind nach wie vor un- oder unterbesetzt. Und diese Situation bringt immer mehr Entscheidungsträger allmählich ins Grübeln. Die Konsequenz: Eine Million Quadratmeter Büro zu viel. Eine Prognose, die vielleicht bestätigt, was viele Gestalter moderner Arbeitswelten bereits seit einigen Jahren predigen.
Die Zahl basiert auf einer Studie der Gnesda Real Estate & Consulting GmbH (teamgnesda) unter großen Büronutzern in Wien, die nach ihren Plänen zum postpandemischen Arbeitsverhalten und Flächenbedarf befragt wurden. Die Berechnung ergab eine Flächenreduktion in Wien von 500.000 m2. Da die Bundeshauptstadt über ungefähr die Hälfte des heimischen Büroimmobilienmarktes verfügt, hat man auf eine Million für ganz Österreich hochgerechnet. Es mag zwar nur eine Einschätzung sein, doch die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Situation korrekt abbildet, ist relativ hoch.
Paradoxe Marktsituation: Wir brauchen weniger alte Fläche, dafür umso mehr neue
Man möchte meinen, dass mit dem vorherrschenden Plan zur räumlichen Verkleinerung auch mehr Bürofläche einhergeht. Doch nur für die wenigsten Unternehmen kommt eine Teilung oder Untervermietung infrage. Tatsächlich hat dieser Trend eine paradoxe Marktsituation hervorgerufen. „Wenn die vertragliche Möglichkeit besteht, ist es für ein Unternehmen weitaus einfacher, eine neue, kleinere Bürofläche anzumieten, als die bestehende Fläche zu verkleinern“, erklärt teamgnesda-CEO Andreas Gnesda. Dies ist für den Büroimmobilien-Experten nicht nur organisatorisch und wirtschaftlich, sondern auch psychologisch erklärbar. „Das eine ist ein Schritt nach vorne, man schafft sich etwas Neues. Eine Reduktion bzw. die Aufgabe von Flächen fühlt sich nach Rückschritt an.“ Gnesda sieht in den frei werdenden Büroflächen generell wenig brauchbare Alternativen. „Dabei wird es sich in der Regel um in die Jahre gekommene Gebäude in B- und C-Lagen handeln, die nach heutigem Standard wenig bürotauglich sind. Die Nachfrage nach neuen Immobilien wird hingegen weiter steigen, die der Markt aktuell nicht sättigen kann. Das heißt, es wird neu gebaut und umgenutzt werden müssen – ein langer Prozess.“
Das Homeoffice hat und behält seine Berechtigung
Der zukünftige Flächenbedarf eines Unternehmens setzt die Beantwortung einer essenziellen Frage voraus: Wie viel Zeit werden wir in Zukunft tatsächlich im Büro verbringen werden? „Dazu haben wir in den letzten Monaten sehr viele Umfragen in Unternehmen durchgeführt und zahlreiche Studien gelesen“, erklärt Andreas Gnesda. Die Erkenntnis: „Eine große Mehrheit der Mitarbeiter will die Freiheit haben, auch nach Corona zwei bis drei Tage in der Woche im Remote-Modus zu arbeiten. Führungskräfte wünschen sich ein bis zwei Tage ohne physischer Anwesenheitspflicht. Daher schätzen wir, dass sich die Remote-Zeit bei 1,5 bis zwei Tagen pro Woche einpendeln wird.“
Dass das Homeoffice gekommen ist, um zu bleiben, hat vielerlei Gründe. Abgesehen vom konzentrierteren Arbeiten im häuslichen Umfeld und der freieren Tagesgestaltung, steht der Wegfall der Transferzeit zum Dienstort auf der Beliebtheitsskala ganz weit oben. Auch dafür hat Andreas Gnesda überzeugende Zahlen parat: „Bei einer großen Verwaltungsorganisation mit über 6.000 Mitarbeitern haben wir pro Tag 4.500 PKW-Bewegungen gezählt. Wenn diese Mitarbeiter nur einen Tag in der Woche im Homeoffice arbeiten, ersparen sie sich 280.000 Stunden Wegzeit im Jahr. Umgerechnet sind das 160 Mannjahre Arbeitskraft. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Umwelt. Ein einziger Homeoffice-Tag würde auf Basis dieser Beispielrechnung 2.100 Tonnen CO2 einsparen.“
Der Wunsch nach Veränderung wird größer
Auch wenn die Vermietungsleistung im ersten Halbjahr 2021 ein neues Rekordtief erreicht hat und die Stimmung am Büroimmobilienmarkt dementsprechend verhalten ist – auf lange Sicht sieht Andreas Gnesda die Branche nicht in Gefahr. „Wir haben lange gewartet, bis Unternehmen bezüglich Bürokonzeption und Arbeitsweltgestaltung aktiv wurden, und waren selbst überrascht, dass es länger gedauert hat, als wir angenommen hatten. Mittlerweile verstehe ich es aber durchaus. Letztes Jahr hatten die Firmen genügend andere Sorgen. Mit Einkehren einer zunehmenden Normalität wird das Interesse an neuen Betriebs- und Bürokonzepten jedoch immer größer. Kunden, die vor Corona von neuen Arbeitswelten schwer zu überzeugen waren, kommen jetzt aktiv auf uns zu.“
Die Fragen, mit denen Andreas Gnesda und sein Team heute konfrontiert werden, sind so brisant wie vielfältig: Gibt es neue Anforderungen? Wie viel Platz brauche ich tatsächlich? Wie identifizieren sich Mitarbeiter mit einem Unternehmen, das mehrheitlich auf dem Bildschirm daheim stattfindet? Die häufigste Frage lautet aber: Was können wir tun, damit unsere Mitarbeiter wieder zurückkommen?
Bisherige Bürokonzepte können Mitarbeiter noch nicht abholen
Fieberhaft hat man sich auf das Wiederhochfahren der Betriebe vorbereitet. Mit Anfang Mai war es dann endlich soweit. Unter strengen Auflagen und Sicherheitsvorkehrungen durften die Büros wieder für den Arbeitsprozess genutzt werden. Der erwartete Run auf die Offices ist jedoch ausgeblieben. „Statt der äußerst schwierig einzuhalten erscheinenden Obergrenze von dreißig Prozent kamen erst mal zehn, mal zwölf und dann mal fünfzehn Prozent“, erinnert sich Gnesda. „Die Zahlen stiegen dann im Laufe der Wochen an, bis wir gegen Ende Juni in vielen Organisationen den Peak erreichten, der lag dann aber auch nur bei dreißig, in Einzelfällen bei vierzig Prozent, bis die Zahlen dann über den Sommer wieder abflachten.“
Ein Ort der Begegnung und Kooperation
Eines ist klar: Ein „Zurück ins Büro“ wie vor der Pandemie wird es nicht geben. „Viele Arbeitnehmer haben sich nach anderthalb Jahren an neue Arbeitsmodelle gewöhnt und die Vorteile schätzen gelernt“, davon ist auch Sven Hennige, Senior Managing Director Central Europe & France beim Personaldienstleister Robert Half überzeugt. Seiner Ansicht nach müssen Unternehmen umdenken und bei der Rückkehr der Mitarbeitenden ins Büro Remote Work und hybride Arbeitsweisen von Anfang an berücksichtigen. Sonst besteht die Gefahr, nicht mehr attraktiv genug für potenzielle Arbeitnehmer und Talente zu sein. „Es reicht nicht mehr aus, auf Benefits wie Craft Beer, Obstschalen und Tischkicker zu setzen“, sagt Hennige. „Arbeitnehmende müssen vielmehr die Voraussetzungen haben, kreativ und produktiv zusammenzuarbeiten. Eine Lösung dafür ist, die Architektur der Büros neu zu überdenken: Büroräume geben demnach nicht mehr vor, wie gearbeitet wird, sondern die Aufgaben bestimmen, wie die Räume zu sein haben.“
Laut Hennige benötigen Arbeitnehmer sowohl Platz für einen kreativen Austausch als auch für spontane Zusammenkünfte. Ebenso müsse es Bereiche geben, die über längere Zeit ein ungestörtes Arbeiten ermöglichen. „Das ist wichtig für Aufgaben, die viel Konzentration und Ruhe erfordern. Gleichzeitig bieten diese Räume die Möglichkeit, einfach mal abzuschalten und neue Kraft zu tanken. Auf der anderen Seite braucht es entsprechende Räume für längere Calls oder Konferenzen, die in einem Großraumbüro auf Dauer eher störend für andere Kollegen sind.“
Hennige gibt auch zu bedenken, dass Eventbereiche abseits der Küche oder Kantine geschaffen werden müssen, in denen sich Mitarbeiter in Pausen oder nach der Arbeit ungezwungen treffen können. „Gerade nach den vergangenen Monaten ist es besonders wichtig, die Unternehmenskultur und den Teamspirit zu fördern.“ Letztlich stellt sich für Hennige noch die Frage, nach welchen Prinzipien hybrides Arbeiten ermöglicht wird. „Hier bietet sich zum Beispiel an, die Anwesenheit im Büro an die Anforderungen der Teamzusammenarbeit zu knüpfen. Kreative Arbeiten, für die mehr Ruhe und längere ungestörte Phasen benötigt werden, können eventuell besser im Homeoffice erledigt werden. Müssen größere Projekte, an denen verschiedene Disziplinen beteiligt sind, umgesetzt werden, bietet sich für den besseren und engeren Austausch die Anwesenheit im Büro an.“
Hybride Zusammenarbeit ist komplex
Bei den neuen Arbeitsweisen gibt es einige Herausforderungen und Variablen, die Unternehmen bedenken müssen. Angefangen bei der Auswahl der richtigen Hardware- und Softwareplattformen bis hin zur Organisation von Video Calls. „Ab sofort ist jeder Raum ein Videoraum“, sagt Jessie Storey, Steelcase Design Managerin, die seit 15 Jahren hybride Arbeitskonzepte entwickelt. „Die Leute verbringen so viel Zeit mit dem Einstellen von Kamerawinkeln und dem Ausarbeiten von Content-Streams, dass die menschlichen Beziehungen darunter leiden und wir die Dinge einfacher machen müssen.“
Ungleiche Voraussetzungen aufgrund verschiedener Umgebungen, Teammitglieder, die nur schwer zu verstehen sind, oder das Fehlen der Körpersprache während Präsentationen: Die Hauptursache für das Ungleichgewicht der Präsenz bei der hybriden Zusammenarbeit liegt meist am schlechten Zusammenspiel von physischem Raum und digitalen Tools. Um die neuen Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen zu erfüllen und verschiedene Arten der Zusammenarbeit zu ermöglichen, sollten Unternehmen verschiedene Räume und Technologien zur Verfügung stellen. „Wir müssen uns darauf konzentrieren, das Digitale und das Physische miteinander zu verbinden“, sagt Storey. „Es reicht nicht aus, von außen zugeschaltete Personen in einem Raum zu integrieren. Wir müssen auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Büro durch technische Kernelemente eine bessere virtuelle Präsenz geben.“
„Out of sight“ aber nicht „out of mind“
In einem Punkt sind sich viele Experten einig: Der Wille zur Rückkehr sollte intrinsisch entstehen. Anreize, die diese innere Motivation erzeugen, können aber sehr wohl von außen kommen. Führungskräfte und HR-Verantwortliche müssen sich verstärkt die Frage stellen, was ihre Mitarbeiter tatsächlich im Homeoffice hält, und sie, wenn möglich, auch in die Raumplanung und -konzeption miteinbeziehen. Außerdem gilt es, eine Unternehmenskultur der Gemeinschaft zu entwickeln, die in einem gesunden Ausmaß auch mit weniger persönlichen Kontakten funktioniert. „Aus den Augen“ muss in Zeiten von New Work nämlich nicht „aus dem Sinn“ bedeuten. (BO)
ZUR PERSON
Andreas Gnesda, CEO teamgnesda, Gnesda Real Estate & Consulting GmbH
Andreas Gnesda ist Arbeitswelten-Experte im deutschsprachigen Raum, hat in mehr als 500 Projekten Kunden wie Erste Bank, Bank Austria, ÖBB, Post, OMV, Volksbank, Wirtschaftsuniversität Wien in neue Arbeitswelten begleitet. Er ist Buchautor, Keynote-Speaker und Lektor an mehreren Hochschulen sowie Geschäftsführer von teamgnesda (Wien, München, Hamburg, Warschau, Budapest und Istanbul).