Politisch war sein Zerfall nicht zu verhindern, aber wirtschaftlich hätte es sich wohl ausgezahlt, Jugoslawien zu bewahren. Dies betont der Ökonom Mario Holzner vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) im APA-Gespräch. Besonders profitiert hätten ausgerechnet Slowenien und Kroatien, die Jugoslawien vor 30 Jahren als erste den Rücken kehrten. Holzner schlägt daher eine rasche wirtschaftliche Integration der Region mit der EU vor.

"Es wäre für alle Länder ein Vorteil gewesen, für Slowenien und Kroatien besonders", sagte der wiiw-Direktor auf die Frage, wie sich ein reformiertes Jugoslawien in den vergangenen drei Jahrzehnten wirtschaftlich entwickelt hätte. Holzner wies darauf hin, dass slowenische Banken oder die kroatische Tankstellenkette INA im gesamten Jugoslawien tätig gewesen seien. "Innerjugoslawisch waren Slowenien und Kroatien die Technologieführer. Jetzt ist etwa Kroatien in der EU am anderen Ende angesiedelt", verwies er konkret auf die unrentable kroatische Schiffbauindustrie.

30 Jahre nach dem Ende Jugoslawiens sind Slowenien und Kroatien weiterhin die wohlhabendsten früheren Teilrepubliken, doch ihr Vorsprung auf die restlichen Ex-YU-Staaten schrumpft. So schlägt sich der EU-Beitritt im Jahr 2004 (Slowenien) und 2013 (Kroatien) in der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf nicht sichtbar nieder. Überall gab es in der Finanz- und Coronakrise deutliche Rücksetzer, wobei diese bei den Nachzüglern Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo vergleichsweise moderat ausfielen.

Aktuell liegen Slowenien und Kroatien bei 70 bzw. 51 Prozent des österreichischen Wirtschaftsniveaus. Montenegro, Serbien und Nordmazedonien erreichen rund ein Drittel, Bosnien-Herzegowina ein Viertel und der Kosovo ein Fünftel des österreichischen BIP pro Kopf. Den vergleichsweise größten Satz nach vorne hat in den vergangenen 20 Jahren Montenegro gemacht - von 21 auf 36 Prozent des österreichischen Wirtschaftsniveaus. Slowenien und Kroatien konnten sich seit dem Jahr 2000 um neun bzw. 13 Punkte verbessern.

Montenegro hat sich nach dem Aus für seine Aluminiumindustrie auf den Tourismus verlegt und kann sich deshalb auch ein hohes Leistungsbilanzdefizit leisten, erläuterte Holzner. In dem kleinen Adriastaat, der den Euro als Landeswährung übernommen hat, gebe es weiteres Potenzial für touristischen Ausbau. Andere Länder wie Serbien oder Nordmazedonien würden hingegen "nicht ganz unerfolgreich" auf die Stärkung ihrer Industrie setzen.

Der wirtschaftliche Paradigmenwechsel infolge der Coronakrise könnte der Region einen wirtschaftlichen Schub bescheren, verweist Holzner auf den Trend zum "Nearshoring", um die Abhängigkeit von Produzenten in Ostasien zu verringern. Zudem seien die Löhne in Serbien mittlerweile schon niedriger als in China, betonte der wiiw-Direktor. Es gebe schon jetzt Anzeichen dafür, dass sich die Investoren eher nach Südosteuropa als nach Ostasien orientieren, verwies er auf die Entwicklung bei den Greenfield-Investitionen.

"Von einem EU-Beitritt würden alle profitieren", betonte Holzner. Schließlich seien die Heimmärkte der Staaten Ex-Jugoslawiens so klein, dass Produktivitätszuwächse nur bei Zugang zu einem größeren Markt möglich seien. "Das sind winzige Länder, die zusammen die Hälfte des griechischen BIP haben", veranschaulichte der Experte. Es wäre aber "verlorene Zeit", wenn man die Staaten jetzt "bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag" auf eine EU-Vollmitgliedschaft warten lasse, zumal die Bedingungen dafür nach den "schlechten Erfahrungen" mit Bulgarien und Rumänien verschärft worden seien und es auch politische Blockaden gebe. Vielmehr solle es einen "differenzierten Beitritt" geben, der etwa die Teilnahme am gemeinsamen EU-Markt ermögliche, brachte der wiiw-Experte ein Modell nach dem Vorbild des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) ins Spiel.

Jugoslawien sei als "gemischte Wirtschaft" mit einer offenen Migrationspolitik besser dran gewesen als die Länder des kommunistischen Ostblocks. "Im jugoslawischen System sind auch Probleme verankert, die sich bis heute manifestieren", sagte Holzner etwa mit Blick auf die wichtige Rolle von Managern in den "selbstverwalteten" Betrieben Jugoslawiens oder die Einstellung zum Thema Währung. Aufgrund des Tourismus und des Gastarbeiterwesens habe eine "D-Markisierung" stattgefunden, weswegen die Menschen in der Region heute nicht in der jeweiligen Landeswährung, sondern in Euro rechnen würden. Weil man keine Abwertung zuließ, waren eine überbewertete Landeswährung, ein hohes Leistungsbilanzdefizit sowie stagnierende Löhne und hohe Arbeitslosenzahlen die Folge.

Für Slowenien hatte die Euro-Einführung im Jahr 2007 weitreichende und nicht nur positive Folgen. Der Beitritt zur Gemeinschaftswährung ermöglichte nämlich billige Kredite, die unter anderem für Management-Buyouts vewendet wurden. Ein Jahr später geriet das Land in der Finanzkrise an den Rand des Bankrotts, das staatliche Bankenwesen wurde hart getroffen, zahlreiche führende Unternehmen gerieten in ausländische Hand. "Das war eine historische Katastrophe für die slowenische Wirtschaft", bilanziert Holzner.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

(APA)