Metaversum, Mensch und Arbeitsplatz

NEW BUSINESS Guides - IT- & DIGITALISIERUNGS-GUIDE 2023
Das Metaversum schafft Chancen, braucht aber auch eine neue Denkweise – und birgt neue Gefahren. © Sound On/Pexels

Während Unternehmen mit modernen Arbeitsplatzlösungen an einer kollaborativen und agilen Arbeitskultur arbeiten, betritt bereits die ­nächste Technologie die digitale Transformationsbühne ...

... herzlich ­willkommen, Metaversum, am Arbeitsplatz der Zukunft. 

Eine gemischte Realität verbindet unsere echte Realität mit der virtuellen und vermittelt den Eindruck, dass alles miteinander dreidimensional vermischt wird. Man verspricht das Gefühl einer wirklich spürbaren Anwesenheit. Dabei können sich Menschen in dieser neu geschaffenen gemischten Realität treffen und miteinander interagieren

Jede:r Teilnehmer:in wird in dieser Welt mittels eines Avatars verkörpert. Wird dieses persönliche Abbild so dargestellt, wie eine Person real aussieht, sprechen bestimmte Hersteller auch von Holoportation. Man „beamt“ sich sozusagen in diese digitale fiktive Welt.

Will man die gemischte Realität möglichst echt erleben, sollte man diese idealerweise mit einer entsprechenden VR-Brille (Headset) und Controllern betreten. Natürlich kann man auch bestehende Darstellungssysteme wie Monitor oder Handy-Display nutzen, um in diese Welt einzutauchen. Eines ist sicher: Über die etablierten Workplace- und Webkonferenz-Werkzeuge werden diese Technologien benutzerfreundlich bereitgestellt, und sie versprechen heute schon, ein neues Kollaborations- und Kommunikations­erleben zu ermöglichen.

Aufbruch in eine neue Welt
Wortwörtlich ist es ein Aufbruch in eine neue Welt, die wir Menschen uns nun schaffen. Ähnlich wie im Internet- oder Social-Media-Zeitalter wird das Metaversum Möglichkeiten bieten, an die wir Menschen heute noch gar nicht denken. Wir leben seit geraumer Zeit in einer Epoche der digitalen Neudenker – und gemischte Realität schreit nach solchen Menschen. Unternehmer:innen sind gefragt, diese Technologien wertschöpfend und gewinnbringend zu etablieren, aber vor allem mit einer neuen Denkweise.

Wer dem digitalen Wandel und dem Metaversum mit althergebrachten Denkmustern begegnet, wird daraus keinen Mehrwert schöpfen und vor allem keine neuen, gewinnbringenden Geschäftsmodelle etablieren können.

In einer Arbeitswelt der Zukunft stehen uns damit viele neue Möglichkeiten und auch Fähigkeiten zur Verfügung – die wir in unserer realen Welt gar nicht besitzen. Wir können zum Beispiel in einer gemischten Realität alle Sprachen dieser Welt sprechen, auch wenn wir in der realen Welt vielleicht nur zwei davon beherrschen. Eine künstliche Intelligenz wird dabei auch unsere reale Klangfarbe simulieren, um das Szenario authentisch zu inszenieren – um nur ein Beispiel zu nennen.

Möglichkeiten und Potenziale
In immersiven Meetings kann man gemeinsam an einem Meta-Whiteboard arbeiten, oder man kann auch an einer immersiven Konferenz teilnehmen – mit dem Gefühl, wirklich anwesend zu sein und interagieren zu können. Sogenannte Metakonferenzen werden die bestehenden Video- und Webkonferenzen ergänzen und Räume mit gemischter Realität anbieten, in denen man gemeinsam kreativ an Ergebnissen arbeiten kann. Egal, wo man sich in der Realität befindet. Das Meta-Whiteboard kann dabei in einer echten Realität eingeblendet werden – zum Beispiel in den Räumlichkeiten im Homeoffice.

Das Lernen der Zukunft wird uns Szenarien in gemischten Realitäten erleben lassen, um besser zu verstehen und unser individuelles Potenzial richtig entfalten zu können – dies wird u. a. auch als „In Situation“-Erfahrung bezeichnet. Wir Menschen lernen am besten, wenn wir Dinge wahrhaftig erleben, erfahren und vor allem ausprobieren bzw. üben können – wie die Neurowissenschaften bestätigen. Die Lehrerin oder der Lehrer der Zukunft kann sich in ein solches Szenario je nach Bedarf dazuschalten und unterstützen. Gerade im Bereich Ausbildung bieten gemischte Realitäten wunderbare Einsatzmöglichkeiten – neben vielen anderen.

Menschen bestmöglich inkludieren
Das Metaversum hat vor allem aber auch das Potenzial, Menschen mit Einschränkungen bestmöglich an einer Arbeitswelt der Zukunft teilhaben zu lassen – sie zu inkludieren. Ein sehr schönes Beispiel ist das Thema Gebärdensprache. Mein Avatar oder digitaler Zwilling kann jederzeit die Gebärdensprache nutzen – so kann ich mich mit Menschen mit Höreinschränkungen austauschen, auch wenn ich in der realen Welt keine Gebärden erlernt habe. Dabei nutze ich einfach meine natürliche Sprache, und eine künstliche Intelligenz übersetzt in Echtzeit alles in die Gebärdensprache. Mein digitaler Stellvertreter – und damit ich – hat in einer solchen gemischten Realität vieler solcher Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Ein weiteres Beispiel unterstützt Menschen mit Sehbeeinträchtigung oder Blindheit, die zum Beispiel an einem immersiven Meeting teilnehmen. Ein:e virtuelle:r Kollege:Kollegin (Meta-Bot) kann die Eindrücke im Meeting in Sprache vermitteln und aufklären, was gerade am Meta-Whiteboard entsteht – auch die Mimik des Gegenübers kann in Worten vermittelt werden, wie zum Beispiel „freut sich“ oder „scheint traurig zu sein“.

Außerdem kann über Sprache vermittelt werden, dass man auch etwas auf das Meta-Whiteboard schreiben will, und die:der virtuelle Assistent:in erledigt dies. ­Gerade im Bereich Inklusion wird diese Technologie das Leben vieler Menschen in der Arbeitswelt verbessern und sie glücklicher machen können.

Ernüchterung in der Realität
Jede bemerkenswerte Technologieneuheit leidet jedoch anfangs an der typischen Hype-Krankheit, die vorerst immer wortwörtlich viel Staub aufwirbelt. Erst wenn sich dieser Staub gelegt hat und erste brauchbare Szenarien geschaffen wurden, wird sich diese Technologie auch in der Arbeitswelt bewähren können. Wer sich die heutigen gemischten Realitäten im Businessumfeld ansieht, wird feststellen, dass sie vereinzelt und gezielt durchaus erfolgreich eingesetzt werden.

Die Research-Abteilungen großer Hersteller beschäftigen sich mit Szenarien der Zukunft, die unheimlich beeindruckend wirken. Schaut man jedoch genauer hin, stellt man ernüchtert fest, dass wir noch nicht so weit sind, wie man uns das vormachen will – ähnlich wie es beim Thema künstliche Intelligenz ist bzw. war.

Die VR-Brillen und Controller sind einfach noch zu „klobig“, und es macht auch keinen großen Spaß, stundenlang mit einem Headset auf dem Kopf zu arbeiten. Außerdem erinnern die meisten Avatare an Spielfiguren aus vergangenen Gaming-Tagen, und die angesprochene Holoportation steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen.

Wir wissen es alle: Technologien entwickeln sich rasant weiter, und Hardware wird üblicherweise kleiner, schneller und besser. Dennoch schreit eine gemischte Realität vor allem auch nach einem echten Erleben und Erfahren. Aktuell sind wir davon noch sehr weit entfernt. Wir befinden uns im Frühstadium eines möglichen Metaversum-Zeitalters. Interessant ist also die Frage, wohin uns diese Technologien bringen werden.

Wohin die Reise geht
Die Reise geht in eine Welt, in der wir den Anspruch stellen, eine gemischte Realität wirklich fühlen und spüren zu können. Biotechnologie und Biosensorik sollen dies ermöglichen – die am besten direkt mit unserem Körper und Gehirn interagieren. Auch wenn diese Visionen für viele Menschen heute befremdlich wirken, werden diese Technologien ihren Weg gehen, und es ist naheliegend, dass es auch so kommen wird.

Heute schon haben wir treue Begleiter an unseren Handgelenken, die uns wortwörtlich rund um die Uhr überwachen – wie zum Beispiel unsere digitalen Uhren, die permanent Datenmaterial über unsere Gesundheit und Sportaktivitäten sammeln und uns gesundheitlich damit optimieren. Wieso soll das nicht irgendwann auch über beispielsweise implantierte Chips erfolgen, anstatt eine Uhr zu tragen oder sich eine VR-Brille aufzusetzen?

Wir leben im Zeitalter der digitalen Moderne, in der die Digitalisierung sich bereits verschiedenster Wissenschaften bedient. Fieberhaft arbeitet der Mensch daran, unser geniales Gehirn zu entschlüsseln – die Erkenntnisse ­daraus bringen wir bereits Maschinen bei. Mittels Biotechnologie soll dann ein direkter Austausch mit unserem Körper und Gehirn möglich sein. Schon heute halten Herzschrittmacher Menschen am Leben, und das wird als ganz normal empfunden. So wird es auch bei vielen weiteren dieser Themen sein.

Gefahren und Risiken
Jede neue Technologieentwicklung birgt jedoch neben Potenzialen natürlich auch Risiken. Technologie selbst ist prinzipiell nicht böse. Wir Menschen, unsere Ethik und Moral entscheiden darüber, wie diese Werkzeuge eingesetzt werden. Das Problem liegt darin, dass neue Errungenschaften fast immer von wenigen großen und meist monopolistisch agierenden Unternehmen getrieben werden – oft ohne zu hinterfragen, welche Gefahren für uns Menschen dadurch entstehen können. 

Technologien benötigen entsprechende Rahmenbedingungen. Ein sehr gutes Beispiel sind künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Während große Konzerne seit Jahren diese Technologien benutzen, um auf Basis unserer produzierten Daten noch mehr Geld zu erwirtschaften, nutzen bestimme Staaten diese bereits zur Vollüberwachung ihrer Bürger.

Wir brauchen genau dafür mehr und bessere Gesetze. Viele Regierungen haben das verstanden, und auch Europa arbeitet zum Beispiel an gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Dies gilt auch für das Metaversum. Eigentlich sollte man sich schon jetzt damit beschäftigen, unter welchen ethischen und moralischen Bedingungen diese neuen Technologien eingesetzt werden dürfen.

Depressionen und Angststörungen
Ein weiteres Problem liegt darin, dass die ­digitale Welt nachweislich auch süchtig und abhängig macht. Nicht nur Jugendliche verbringen mittlerweile mehrere Stunden täglich auf Social-Media-Plattformen. Diese Menschen haben sogar Entzugserscheinungen, wenn man den Zugang zu diesen „digitalen Drogen“ unterbindet. In Wirklichkeit müssten viele Menschen bereits in den digitalen Entzug. Depressionen und Angststörungen sind die psychologischen Folgen, die wir schon heute verstärkt in unserer Gesellschaft vorfinden.

Das Metaversum ist dabei die ultimative Droge. Diese Technologie verspricht echte und ­spürbare Anwesenheit in einer nicht realen Welt. Denken Sie nur daran, wenn Herr Zuckerberg und andere diese Technologien in ihre Social-Media-Plattformen integrieren und vom „neuen Internet“ sprechen. Wir müssen alles daransetzen, dass unsere Kinder und die nächste „Metaversum-Generation“ von Konzernen nicht noch mehr digital abhängig gemacht werden, um damit noch mehr Geld zu erwirtschaften. Ich möchte hier nochmals eindringlich auf die ­dringend benötigten Rahmenbedingungen hinweisen. 

Der Mensch im Mittelpunkt
Wer sich wahrhaftig in der digitalen Moderne mit dem Faktor Mensch beschäftigt, wird den Menschen und dessen Bedürfnisse immer in den Mittelpunkt stellen – und nicht nur sein Marketing dahingehend ausrichten –, um attraktiv zu wirken. 

Der Mensch im Mittelpunkt, ohne Wenn und vor allem ohne Aber: Das ist die ethische und moralische Verantwortung, die wir alle haben, für eine bessere Welt. (NH)


DER AUTOR
Nahed Hatahet ist Berater, Keynote-Speaker, Digitalexperte, Mentor, CEO von HATAHET und Vizepräsident des VÖSI.
Nähere Informationen finden Sie unter www.nahedhatahet.eu