Udo Urbantschitsch, VP GEO Technology Sales von Red Hat, im Wiener Büro des Unternehmens © RNF
Open Source ist „erwachsen“ geworden. Und damit auch Unternehmen wie Red Hat.
Trotz einer führenden Rolle in einigen Bereichen haben sich die „Rothüte“ aber ihre Start-up-Mentalität erhalten – sowie in gewisser Weise ihr Selbstverständnis als Underdog.
Open-Source-Software hat eine rasante Entwicklung hingelegt und gehört mittlerweile zu den Grundbausteinen zahlreicher Technologien, die der heutigen Welt ihren Stempel aufgedrückt haben. Das zeigt sich auch an dem Stellenwert, den Unternehmen wie Red Hat heute haben.
Udo Urbantschitsch hat einen ähnlichen Höhenflug wie das Unternehmen selbst hingelegt und ist vom Österreich-Chef der Firma bis in die internationale Managementebene aufgestiegen. Im Interview spricht er mit NEW BUSINESS unter anderem über die Strategie des Open-Source-Spezialisten, der seine Fühler in neue Bereiche ausstreckt, aber auch über Spannungen, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Herr Urbantschitsch, Sie sind seit fast acht Jahren bei Red Hat und waren schon davor im Open-Source-Bereich tätig. Seit Oktober 2023 sind Sie Vice President Geo Technology Sales. Zuvor waren Sie seit 2021 Director Worldwide Technology Sales in Go-To- Market. Wie hat sich Ihre Tätigkeit durch die neue Rolle verändert?
Die vorige Rolle war eine globale, wo es darum ging, unseren Go-to-Market auf einer eher programmatischen Ebene zu optimieren. Was müssen wir tun, damit neue Produkte und Portfolio-Erweiterungen bei unseren Partnern und Kunden möglichst gut funktionieren, und wie tragen wir das in den Markt?
Meine aktuelle Aufgabe ist es jetzt, das für eine gesamte Region oder Geography – eine Geo – in die Realität umzusetzen. Ich bin verantwortlich für Tech-Sales in EMEA, also Europe, Middle East and Africa. Für mich ist das die ideale Balance zwischen wahnsinnig viel Einblick in das, was die Firma tut, und sehr viel Mitgestaltungsrecht.
Das ist klassisches Pre-Sales, wir unterstützen also bis zu einem Verkaufszeitpunkt. Aber wir ändern hier gerade ein bisschen unsere Strategie. Wir wollen unseren Kunden nicht einfach nur etwas verkaufen, sondern wir wollen sicherstellen, dass sie den maximalen Nutzen daraus ziehen können. Deswegen gehen wir ab diesem Jahr verstärkt in die Bereiche Technology-Adoption und auch ein Stück weit Customer-Success. Wir bleiben beim Kunden, der uns sein Vertrauen geschenkt hat, dran und helfen ihm, die ersten Schritte mit der Technologie zu machen.
Sie wollen die Kunden also mehr bei der Implementierung unterstützen?
Genau. Natürlich haben wir schon sehr lange eine Services-Abteilung für die Implementierung von ganz großen Projekten. Das ändern wir auch nicht. Aber wir haben oft die Situation, dass sich selbst sehr große oder auch mittelgroße Unternehmen für eine Subscription für eine gewisse Technologie entscheiden, aber kein großes Services-Engagement dazu brauchen, sondern nur eine Begleitung. Genau da wollen wir jetzt verstärkt reingehen.
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„Wir wollen unseren Kunden nicht einfach nur etwas verkaufen, sondern wir wollen sicherstellen, dass sie den maximalen Nutzen daraus ziehen können.“
Udo Urbantschitsch, VP GEO Technology Sales Red Hat
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In den vergangenen acht Jahren hat sich die IT, aber vor allem auch die Open-Source-Welt enorm verändert. Hätten Sie damals gedacht, dass Open Source einmal so eine hohe Akzeptanz erreichen würde?
Absolut nicht. Ich sage nicht, dass es unser Verdienst ist, aber wir haben es sicher mitgestaltet. Für uns ist das ein Riesenerfolg – und auch für mich persönlich. Heute sagt eigentlich jedes Unternehmen, es ist eine Open-Source-Company. Das finden wir gut. Als ich vor acht Jahren hier begonnen habe, habe ich mich so ein bisschen als Underdog gesehen. Seitdem haben wir unser Portfolio irrsinnig verbreitert, und wir sind stark gewachsen.
Es ist witzig. Wir haben viele Mitarbeiter:innen, die schon seit 15 oder 18 Jahren dabei sind. Das ist sehr unüblich in der IT. Wenn man mit ihnen spricht, fühlen sie sich oft noch immer als Underdogs, die etwas gegen die Großen am Markt erreichen wollen. Dabei sind wir ein führender Anbieter von Enterprise Linux mit Red Hat Enterprise Linux sowie im Bereich Application Platform, was bei uns das OpenShift-Thema ist.
Open-Source-Software ist sozusagen der Unterbau der Cloud und von vielen anderen Technologien. Wie sieht es bei KI aus? Wie viel Open Source steckt in KI, und wie viel KI steckt in Open Source?
Red Hat hat das Thema KI schon eine lange Zeit durchaus ernsthaft betrachtet, aber erst vor nicht allzu langer Zeit haben wir uns richtig positioniert – was mich sehr freut. Woran wir gerade sehr intensiv forschen, ist das Thema Transparenz. Einer der Grundpfeiler in der Open-Source-Welt ist Transparenz.
Jeder mit den entsprechenden Fähigkeiten kann nachvollziehen, wie eine Software aufgebaut ist. Das vermissen wir zum Beispiel sehr bei vielen heutigen Large Language Models. Wie kommt die KI zu ihrer Antwort? Da gibt es sehr viele Faktoren. Dazu gibt es kein Produkt von uns, aber wir beschäftigen uns mit der Frage, wie man für den Endkunden mehr Transparenz in KI-Lösungen herstellen kann.
Womit wir uns ebenfalls beschäftigen ist KI als Unterstützung für Entwickler beim Erstellen von Code. Das ist eine sehr spannende Sache, hat aber den gleichen Transparenz-Pferdefuß. Wo kommt diese Idee der KI her, und könnte es sich dabei nicht sogar um eine Copyright-Verletzung handeln, die man gar nicht unter einer Open-Source-Lizenz publizieren dürfte?
Das ist für uns besonders interessant, da einer der Grundgedanken, die eine Red-Hat-Subscription ausmachen, die Copyright-Sicherheit ist. Wenn unsere Kunden eine unserer Lösungen einsetzen, halten wir sie schadlos, weil wir diesen Code quellgesichert haben. Das war für viele Kunden bisher ein sehr untergeordnetes Thema, wird jetzt in Zeiten von „KI schreibt Code mit“ aber wahrscheinlich wesentlich relevanter.
Wir reden da weniger von Large Language Models und Chatbots, das sind Anwendungen von KI. Uns geht es darum, wie wir die Vorteile von KI nutzen können, ohne auf die Transparenz zu verzichten, und wie wir unseren Kunden KI und Machine-Learning möglichst einfach zugänglich machen können.
Red Hat versucht schon seit längerer Zeit, sich auch abseits der klassischen IT zu etablieren, wie zum Beispiel im Automotive-Bereich oder im industriellen Umfeld. Was ist die Strategie dahinter?
Red Hat kommt aus einer sehr stark Datacenter- und IT-orientierten Welt. Da sind wir groß geworden. Aber eigentlich gehen wir konsequent unseren Weg weiter. Wir verfolgen seit mehr als zehn Jahren eine Hybrid-Cloud-Strategie. Für uns steht immer die gleiche Idee dahinter: Wir wollen unseren Kunden, unabhängig vom tatsächlichen Einsatzort, eine ähnliche Experience bieten. Die Unternehmen im Industrial- oder Automotive-Bereich betreiben auch eigene Rechenzentren, arbeiten mit Cloud-Datacentern und Serviceprovidern.
Und wir glauben fest daran, dass eine Lernkurve schon schwierig genug ist. Wir glauben daran, dass sie effizienter arbeiten können, wenn ihre internen Benutzer und Entwickler ein ähnliches Erlebnis haben, egal wo sie ihre Workloads betreiben. Das ist unsere Überzeugung und deswegen gehen wir dorthin, wo unser Portfolio und unser Ansatz Sinn ergeben.
Sie folgen damit also dem Weg der Technologie?
Genau. Und damit wiederholt sich auch ein bisschen das, was wir mit Linux vor 30 Jahren versucht haben. Wir wollten die Hardware von der Software trennen, weil wir an Wahlfreiheit glauben. Zum Beispiel hat man damals bei einem Mainframe immer Hardware und Software gemeinsam gekauft. Das ist heute im Industrial-Edge-Bereich genau das Gleiche. Du kaufst mit einem Gerät auch ein gewisses Ökosystem mit.
Wir wollen unseren Kunden in diesen Bereichen zu der gleichen Wahlfreiheit und damit mehr Innovation, mehr Variabilität, mehr Effizienz verhelfen. Deswegen versuchen wir auch immer unser gesamtes Portfolio in diese Bereiche zu bringen und nicht nur irgendeine Randtechnologie. Wir sehen uns an, ob wir für unsere Kunden in diesem Bereich über unser gesamtes Portfolio hinweg einen Mehrwert bieten können, und wenn ja, dann tun wir das.
Wenn Sie von der Trennung von Hardware und Software reden, denke ich an Virtualisierung – und damit an die Übernahme von VMware durch Broadcom. Diese Akquisition hat am Markt zu einer gewissen Unsicherheit geführt. Spürt Red Hat das vielleicht in irgendeiner Weise?
Wir werden tatsächlich von Kunden deswegen angesprochen, die mittelfristig nach alternativen Lösungen suchen. Ich glaube aber nicht, dass sich die Unternehmen scharenweise umorientieren werden. Darum geht es auch gar nicht, und wir schätzen VMware als guten Partner. Wir sind auch kein Ersatz für VMware per se. Vielmehr sendet diese Situation Impulse aus und lässt sie darüber nachdenken, wie ihre Applikationslandschaft der Zukunft aussieht.
Die war lange Zeit auf virtuellen Maschinen aufgebaut. Das ist eine tolle Technologie, mit der VMware sehr groß geworden ist. In den letzten Jahren haben viele Kunden auf das Thema OpenShift gesetzt, wo eher die Application-Plattform im Vordergrund steht. Damit gehen wir einen Abstraktionsschritt nach oben, weg von Infrastrukturobjekten wie Storage, Netzwerk, CPU, Memory.
Also ja, wir brauchen die Infrastruktur, aber letztlich geht es uns um die Applikation, weil die den Mehrwert erzeugt. Das führt dazu, dass manche Unternehmen ihren Innovationszyklus vielleicht beschleunigen und darüber nachdenken, die Applikation ein bisschen mehr von der Infrastruktur trennen, was wir mit OpenShift unterstützen.
Auch die Akquisition von Red Hat durch IBM vor einigen Jahren hat ordentlich Staub aufgewirbelt, gerade in der Open-Source-Community. Die Aufregung hat sich mittlerweile mehr oder weniger gelegt. Kann man ein Resümee ziehen, was sich für Red Hat dadurch verändert oder auch nicht verändert hat?
Was sich nicht verändert hat, ist unsere Freiheit, das zu tun, was wir wollen. Das war die vielleicht größte Unsicherheitskomponente für uns. Aber da gibt es de facto keine Einflussnahme. IBM wünscht sich von uns ein gewisses Wachstum und eine gewisse Profitabilität. Als wir noch eine Aktiengesellschaft waren, war das nicht viel anders.
Was sich zum Positiven verändert hat, ist, dass wir bei vielen Kunden jetzt eine wesentlich strategischere Rolle spielen. Früher waren wir die Underdogs, die mit den Datacenter-Leuten gesprochen haben, und plötzlich reden wir mit der Vorstandsetage über Riesenprojekte und das Thema holistische Security. Das ist für uns ein großer Change, wie man etwa auch an unserer Partnerschaft mit SAP sieht. In der Vergangenheit mussten wir uns die Kritik gefallen lassen, wir würden ein bisschen hinterherhinken. Heute sind wir auf Augenhöhe mit SAP, entwickeln gemeinsam Lösungen und sind teilweise Preferred Choice von der SAP.
Es gibt aber natürlich auch weniger erfreuliche Entwicklungen. Wir werden immer wieder dahingehend attackiert, auch medial, dass wir nur mehr kommerzorientiert sind und unseren Open-Source-Spirit verloren haben. Das ist schon etwas, das mir echt im Herzen wehtut.
Wie Sie selbst sagen, hat sich die Aufregung noch nicht vollständig gelegt. Kritik wurde zum Beispiel laut, als die Storage-Sparte von Red Hat 2022 in IBM eingegliedert wurde, und auch jüngst gab es Vorwürfe im Zusammenhang mit Änderungen an der Bereitstellung des Quellcodes von Red Hat Enterprise Linux. Was ist Ihre Meinung dazu?
Als ich bei Red Hat angefangen habe, hatten wir eine einfache Produktstrategie: Wir tun alles, um unsere Kunden glücklich zu machen. Das bedeutet, wir nehmen auch neue Produkte in unser Portfolio auf, und – sehr negativ ausgedrückt – „wurschteln“ so gut wir können dahin, um sie glücklich zu machen. Das ist eine tolle Strategie, um Marktakzeptanz zu erzeugen. Aber wenn man eine gewisse Größe erreicht, ist es eine bessere Strategie, den Kunden sauber zu servicieren. Bei einigen Produkten haben wir gesehen, dass wir mit den Innovationszyklen schwer mithalten konnten. Das war zum Beispiel beim Storage-Business der Fall.
Wir haben gesehen, dass der Großteil der Innovation im Bereich Storage, speziell bei dem Produkt Ceph Storage, aus der Red Hat selbst kam, weil die Open-Source-Community sich nicht so stark beteiligt hat. So funktioniert Red Hat nicht. Wir brauchen eine Open-Source-Community rund um uns, die Innovation treibt, und Impulse vom Markt, um seine Bedürfnisse zu adressieren. Das heißt nicht, dass das Produkt nicht gut war. Wir hatten zufriedene Kunden. Aber wir lagen unter unseren Erwartungen. Uns war klar, dass wir uns auf die Bereiche fokussieren müssen, in denen wir wirklich stark sind.
Wir haben also eine Marktanalyse gemacht um herauszufinden, wer die besten Storage-Hersteller sind, und – guess what – IBM ist ein sehr guter Storage-Hersteller. Die IBM hat uns da nichts weggenommen. Ich kann jedem in die Augen sehen und sagen, das war unsere Entscheidung. Eine businessorientierte und kundenorientierte Entscheidung, da wir nicht die Mittel hatten, um für den Kunden einen echten Vorteil damit zu generieren. Diese Entscheidung haben wir bewusst getroffen, und unserem gesamten Top-Management war klar, dass wir wahrscheinlich durch den Kakao gezogen werden. So ist es dann auch passiert.
Auch bei unserer Entscheidung bezüglich des Source-Codes von Red Hat Enterprise Linux, den wir weiterhin jedem unserer Kunden und Partner komplett zur Verfügung stellen, nur eben nicht mehr quelloffen für jeden, war uns klar, dass wir durch den Kakao gezogen werden. Das hat einen einfachen Hintergrund: Wir haben eine aus unserer Sicht sehr negative Entwicklung festgestellt. Für uns ist das Grundgerüst von Open Source Partizipation, eine Balance zwischen Geben und Nehmen. Wenn du dich entwicklungstechnisch an Open Source beteiligst, bekommst du dafür eine wahnsinnige Fülle an Funktionalität. Das ist für uns ein sehr, sehr fairer Austausch.
In letzter Zeit haben wir gesehen, dass sehr viele kommerziell orientierte Anbieter unsere Arbeit quasi eins zu eins kopieren, aber absolut null zurückgeben. Wir haben lange versucht, das auf einem gütlichen Weg zu lösen und diese Anbieter zu ein bisschen mehr Contribution zu bewegen. Das ist nicht passiert. Also haben wir, in dem Rahmen, den die Lizenzbedingungen, die wir gewählt haben, zulassen, gehandelt.
Wir stecken viel Arbeit in unsere Produkte und auch alle Communitys und konnten nicht mehr verantworten, dass das jemand kopiert, kommerziell vermarktet und sogar versucht, damit an unserem Kundenstamm zu sägen. Das hat nichts mit unserem Open-Source-Spirit zu tun. Ich behaupte sogar, dass wir eines der wenigen Unternehmen sind, die immer noch einen vollen Open-Source-Ansatz haben.
Was würde der neun Jahre jüngere Udo Urbantschitsch, der noch nicht für Red Hat arbeitet, zu dieser Argumentation sagen?
Der neun Jahre jüngere Udo hätte es zuerst vielleicht auch nicht ganz verstanden. Aus dem einfachen Grund, weil wir als Red Hat immer ein Stück weit zu defensiv in unserem Marktauftritt sind. Wir haben in unserer Argumentation keine großen Worte verwendet. Wir haben kein Fingerpointing betrieben. Das tun wir alles nicht. Das haben wir vor neun Jahren nicht getan, und das tun wir auch heute nicht. Und darauf bin ich als neun Jahre älterer Udo extrem stolz.
Wahrscheinlich hätte der neun Jahre jüngere Udo aber versucht, hinter die Kulissen zu schauen. Taten sprechen mehr als Worte. Jeder Mensch auf der Erde kann sich eine kostenlose Red-Hat-Developer-Subscription holen und den Quellcode komplett runterladen. In den Bedingungen, die man akzeptieren muss, steht lediglich, dass man den Code nicht kommerziell vermarkten darf. Und ich kann reinen Gewissens sagen, dass die IBM auch daran absolut nicht beteiligt war. Das war eine reine Red-Hat-Entscheidung. (RNF)
INFO-BOX
Zur Person
Udo Urbantschitsch wurde 1984 in Wien geboren. Nach dem Absolvieren einer HTL für Nachrichtentechnik erlangte er Abschlüsse an der Wirtschaftsuniversität Wien (Master of Business Administration – Diplomstudium Betriebswirtschaftslehre) sowie an der FH Technikum Wien (Bachelor of Science – Electronics & Innovation Management) und startete noch während des Studiums seine Berufslaufbahn, die ihn unter anderem zu Unternehmen wie der Generali Group, A-TEC, IPSolutions, Libro, Artaker oder Microsoft führte. Nach der Gründung eines eigenen erfolgreichen IT-Unternehmens ereilte ihn 2016 der Ruf des Open-Source-Spezialisten Red Hat.