KI ist kein Allheilmittel

NEW BUSINESS Guides - IT- & DIGITALISIERUNGS-GUIDE 2024
Peter Lenz zufolge befindet sich der heimische Gesundheitsbereich weiterhin „auf einem intensiven Digitalisierungspfad“. Dort sieht er auch vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten von KI. © RNF

Wohin geht der IT-Trend, und was ist im Alltag angekommen? Peter Lenz, Österreich-Chef von T-Systems, im Gespräch über aktuelle und künftige Technologiehypes sowie den Einsatz von IT in der Praxis.

Alles KI, oder was?! Diese Technologie beherrscht derzeit die öffentliche Wahrnehmung wie keine zweite. Das ist auch nachvollziehbar, denn sie eröffnet große Möglichkeiten. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Womit beschäftigen sich die heimischen Unternehmen tatsächlich?

Peter Lenz ist als Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Systems Österreich für die Großkundensparte der Deutschen Telekom in Österreich verantwortlich. Im Interview mit NEW BUSINESS spricht er unter anderem über die Themen, die für die Kunden des Unternehmens im vergangenen Jahr auf der IT-Agenda standen, und blickt darüber hinaus auch auf die Themen der Zukunft.

Herr Lenz, wie hat sich 2023 für T-Systems in Österreich entwickelt?
2023 war wie auch schon 2022 von Unsicherheiten geprägt. Die Kunden haben hinterfragt, auf welche Themen sie setzen. Da stand IT weit vorn. Die Unternehmen haben sich zeitgemäßer ausgestattet, sind den nächsten Schritt gegangen und haben überlegt, wie sie IT besser einsetzen und mithilfe von IT besser und effizienter werden können.

In den klassischen Industrien haben wir ab Herbst eine gewisse Zurückhaltung gesehen, was Themen und Budgets angeht. Trotzdem war 2023 für T-Systems Österreich ein sehr erfolgreiches Jahr mit einem zweistelligen Umsatzwachstum. IT wird in der österreichischen Landschaft nach wie vor massiv nachgefragt. Diese gewisse Zurückhaltung im Unternehmensbereich wurde durch die öffentliche Hand kompensiert. Da sehen wir sehr viel Engagement.

Gab es bei Ihren Projekten Schwerpunkte oder gewisse Highlights?
Wir konnten zum Beispiel einen Auftrag der Österreichischen Bundesbahnen gewinnen. Wir unterstützen sie gemeinsam mit unserem ­Partner Goal Systems mit einem Automated Resource Planning System, um ihre Personalkapazitäten plus ihr rollendes Material, das heißt Lokomotiven und Waggons, optimal zu steuern. Da werden auch KI-Komponenten zum Einsatz kommen.

Auch der Gesundheitsbereich ist weiterhin auf einem intensiven Digitalisierungspfad. Da haben wir zwei besondere Themen. Einerseits entwickeln wir eine Nachfolgelösung für die Patientenmanagementlösung IS-H von SAP. Wir werden sie selbst weiterentwickeln und auf S/4-SAP-Technologie heben. Diese Lösung hat in Österreich einen Marktanteil von 93 Prozent. SAP hat angekündigt, dieses Produkt nicht weiterzuentwickeln, und wir können den Kundinnen und Kunden anbieten, auf der Plattform zu bleiben und sie auf die nächste Evolutionsstufe zu heben.

Das zweite gute Beispiel ist unsere Kooperation mit Meierhofer Österreich, wo wir die Operations für das Klinikinformationssystem M-KIS zur Verfügung stellen werden und auch in dieser Kombination in Ausschreibungen gehen werden. Aber auch der Mobile Patient Record, die digitale Patientenakte, ist ein Produkt, von dem wir uns dieses Jahr viel erwarten. Digitale Tools helfen dabei, den Patienten die bestmögliche Versorgung zu ermöglichen und den Behandlungserfolg nachhaltig sicherzustellen.

 

© RNF
 


"Ich fand es gut, dass ChatGPT in der Öffentlichkeit einen großen Hype ausgelöst und eine Awareness für KI geschaffen hat. Aber KI ist kein Allheilmittel."

Peter Lenz, Geschäftsführer T-Systems Austria

 

Welche Technologien waren 2023 in der Praxis besonders präsent? 
Public Clouds sind nach wie vor stark im Kommen. Österreich ist ein traditioneller, klassischer Markt, der vielleicht auch immer ein bisschen konservativer ist als der Rest von Europa. Die drei Hyperscaler haben massiven Zulauf, und wir sind herstelleragnostisch, das heißt, wir bieten Unterstützung für alle drei Hyperscaler an, AWS, Microsoft und Google.

Wir haben aber auch eigene Clouds, die Open Telekom Cloud zum Beispiel oder auch die T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud, wo wir sicherstellen, dass das europäische Datenschutzniveau zu 100 Prozent eingehalten und sichergestellt wird und nur das berechtigte T-Systems-Personal physisch ins Rechenzentrum hineindarf.

Hier muss niemand in die Verlegenheit kommen, von irgendwelchen Regierungen ersucht zu werden, Datenbestände zur Verfügung zu stellen. Aber auch Softwareentwicklung und das Zurverfügungstellen von Expertise sind gefragt, wir nennen das Professional Service oder Experts on Demand. Das geht von Rechenzentrums-Unterstützungsleistungen, der Optimierung, bis hin zur physischen Kühlung oder auch zur klassischen Softwareentwicklung, wo Unternehmen für bestimmte Bereiche Experten anfragen. Das sehen wir auch wieder im öffentlichen Bereich.

Im administrativen Bereich, unter den Landesbeamten, wird es in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen massiven Personalabgang, eine Pensionierungswelle geben. Manche Landesregierungen, wie zum Beispiel das Land Oberösterreich, setzen stark auf die Automatisierung von Behördenwegen und Behördenprozessen. 

Allgemein haben die Unternehmen einen Fokus auf Resilienz gelegt. Sie sehen sich sehr genau an, wie sie flexibler und weniger angreifbar werden. Cybersecurity ist noch immer ein Riesen­thema. Nach wie vor sind Verschlüsselungsattacken im Gange, die nicht nur die ganz Großen betreffen, sondern bis zum Einzelunternehmen hinuntergehen.

Da denke ich sofort an NIS 2, die Cybersicherheitsrichtlinie der EU. Wie sieht es da aus Ihrer Perspektive in Österreich mit der Umsetzung aus?
Wir sehen für die Unternehmen und Organisationen in Österreich noch massiven Handlungsbedarf, der viele auch vor große Fragen stellen wird, weil sie sich vielleicht noch zu wenig damit beschäftigt, haben. Aber die Großen in Österreich und die kritische Infrastruktur sind schon gut abgedeckt. Für uns als Teil der kritischen Infrastruktur war das ohnehin schon seit vielen Jahre ein Thema, in dem wir uns entsprechend aufgestellt haben.

Am Thema KI kommt man aktuell nicht vorbei. Wie sieht es da in der Praxis aus? Was kommt da tatsächlich auf den Boden?
Ich glaube, das ist die richtige Frage. Was kommt wirklich auf den Boden? Ich fand es gut, dass ChatGPT in der Öffentlichkeit einen großen Hype ausgelöst und eine Awareness für KI geschaffen hat. Aber KI ist kein Allheilmittel. Die Unternehmen und die Organisationen haben jetzt die Herausforderung, einen Datensee, einen Data-Lake, zu schaffen, auf dem sie diese Tools aufsetzen können. Und welche dieser Tools sind in zwei, drei Jahren wirklich noch da?

Die IT-Abteilungen wie auch die Fachbereiche fragen sich, auf welches Tool sie setzen sollen. Das Schlimmste, was einem Unternehmen passieren kann, ist, dass jede Fachabteilung sich ihr eigenes KI-Tool anschafft und verschiedene Data-Lakes entstehen, die mit verschiedenen Algorithmen bearbeitet werden, anstatt ein Repository für idealerweise ein oder zwei Tools zu schaffen, die es auch noch in fünf Jahren gibt.

Wenn ich jetzt meinen Use-Case entwickle und Arbeit hineinstecke, dann wäre es schon gut, wenn das Bestand hat. Wir helfen ihnen dabei, diese KI-Plattformen zu erstellen und ihre Datensätze einzuspielen und damit bearbeitbar zu machen. Nach dem Hype wird 2024 aber eine gewisse Ernüchterungsphase eintreten.

 

Peter Lenz, Geschäftsführer T-Systems Austria © RNF

 

Wenn Sie hinter den Hype blicken, ­welche Beispiele für sinnvolle Anwendungsfelder von KI sehen Sie da?
Gerade im medizinischen Bereich ist sehr viel möglich. Es wird immer den Arzt, die Ärztin brauchen. Aber als Unterstützung ist KI Goldes wert. Gut trainierte Bilderkennungssysteme in der Dermatologie oder Radiologie weisen eine extrem hohe Entdeckungsrate auf und können Alerts setzen, die dann aber wiederum immer ein Mensch verifizieren oder falsifizieren muss.

Auch im Callcenter gibt es viele Möglichkeiten. Bei immer wieder gleichen oder ähnlichen Anfragen können Bots echte Hilfestellung geben und wahrscheinlich 70 oder 80 Prozent der Normalfälle im Sinne der Konsumenten abarbeiten, und das 24/7. Die Mitarbeitenden, die ich habe, können sich dann auf die 20 Prozent der schwierigeren Fälle konzentrieren. Knifflig wird es vielleicht bei Dialekten. Das ist für die Schweiz und für Österreich ein Thema. Bis man die Modelle auf Dialekte getunt hat, da läuft noch ein bisschen Wasser die Donau ­hinunter.

Die Unternehmen sehen sich heute damit konfrontiert, dass sie einerseits innovativer und digitaler sein bzw. werden müssen, aber auf der anderen Seite auch Nachhaltigkeit, Energieeffizienz etc. erhöhen müssen. Das klingt nach einem Spagat, der schwer zu schaffen ist.
Na ja, es ist in jedem Fall ein Spagat, und auf der anderen Seite ist es auch keiner. Was meine ich damit? Wir haben zum Beispiel Kunden, denen Nachhaltigkeit sehr wichtig ist und die auch bei Ausschreibungen zukünftig verstärkt auf das Thema setzen werden. Da bekommt dann derjenige, der nachhaltigere Leistungen anbietet, auch leichter den Zuschlag. Da ist es kein Spagat, weil es sozusagen ins Geschäfts­modell integriert wird.

Auch wenn wir im Haus auf eine hochmoderne neue Klimatisierung umstellen, inklusive der Kühlung des Rechenzentrums, und damit 30 Prozent weniger Energie verbrauchen, dann rechnet sich dieser Business-Case relativ schnell, abgesehen davon, dass es natürlich auch nachhaltiger ist. Schwierig wird es, wenn es rein um den Preis geht. Das ist in manchen Bereichen, wo die Margen massiv unter Druck gekommen sind, schon ein Thema.

Auch wenn es derzeit vielleicht nicht danach aussieht: Gibt es neben KI auch noch andere Innovationen, die man auf dem Radar haben sollte?
Das Thema Quantencomputing ist im Aufsteigen. T-Systems ist hier eine Kooperation mit AQT, dem in Innsbruck angesiedelten europä­ischen Marktführer im Bau von ionenfallen­basierten Quantencomputern, eingegangen. Das ist ein Spin-off der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wir stellen unseren Kunden eine Plattform zur Verfügung, um damit zu experimentieren. Es gibt auch schon die ersten Use-Cases.

Jetzt sprechen alle von einer KI-Revolution. Wird es auch eine ­Quantenrevolution geben, oder kann man das nicht vergleichen?
Bei ganz großen Datenmengen wird KI sogar so etwas wie Quantencomputing brauchen, um sie überhaupt zu verarbeiten und prozessieren zu können. Von dem her bedingen sich die zwei Technologien sogar. Und die eine boostet dann die andere und wieder zurück. 

Also ich glaube durchaus, das wird noch sehr spannend. Das zeigt mir, dass T-Systems schon intensiv an den Themen für 2026, 2027, 2028 arbeitet. (RNF)

 

INFO-BOX
Zur Person
Seit 1. Jänner 2018 ist Peter Lenz als Vorsitzender der Geschäftsführung von T-Systems Austria für die Großkundensparte der Deutschen Telekom in Österreich verantwortlich. Neben unterschiedlichen Führungspositionen bei Magna Int. und OMV AG war er als Geschäftsführer der ÖBB IKT GmbH tätig und hat als Konzern-CIO bei der ÖBB – ­Österreichischen Bundesbahnen AG die IT-Agenden vorangetrieben. Im Jänner 2017 begann Peter seine Karriere bei T-Systems Austria als VP Delivery und ­übernahm im ein Jahr später den Vorsitz der Geschäftsführung der T-Systems Austria.