Nicht länger warten

NEW BUSINESS Guides - IT- & DIGITALISIERUNGS-GUIDE 2025
Bernd Konnerth ist seit 2023 Public Sector Lead bei Microsoft Österreich und Mitglied der ­Geschäftsleitung. Der gebürtige Oberösterreicher ist seit 2010 bei Microsoft tätig. © RNF

Österreich muss Tempo machen. Noch wäre die Chance da, mit KI im ­öffentlichen Bereich international eine Vorreiterrolle zu übernehmen. ­Aktuell herrscht aber noch Nachholbedarf.

Künstliche Intelligenz kann eine Schlüsselrolle in der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors spielen. Doch wie sieht es dahingehend in Österreich tatsächlich aus? Bernd Konnerth, Public Sector Lead bei Microsoft Österreich sowie Mitglied der Geschäftsleitung, verfügt über jahrelange Digitalisierungserfahrung im öffentlichen ­Sektor aus diversen Führungspositionen. NEW BUSINESS hat sich mit ihm über die Chancen und Herausforderungen von KI im öffentlichen Bereich unterhalten.

Herr Konnerth, im Dezember fand der Innovationstag für den ­öffentlichen Bereich bei Microsoft statt. Was waren die Highlights?
Eines der vielen Highlights war das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, das vorgestellt hat, wie es KI-Technologie nutzt. Damit sind sie definitiv Vorreiter unter den Ministerien. Ganz konkret haben sie damit begonnen, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Lehrerinnen und Lehrern generative KI-Unterstützung anzubieten. Sie stellen eine KI-Plattform mit den klassischen Funktionen zur Verfügung: Zusammenfassen, Kontrollieren und Verbessern von Texten. Sie wird sehr gut angenommen, und es entstehen ganz neue Nutzungsszenarien, etwa für die Zentralmatura, um Beispiele im gleichen Schwierigkeitsbereich zu finden – basierend auf der Datenbasis des Ministeriums, die frei zugänglich ist, ohne Datenschutzprobleme. So führt Innovation zu neuer Innovation.

Und damit sind wir bei einem wichtigen Thema: KI, insbesondere generative KI, ist eine Allzwecktechnologie. Es gibt auch Einzeltechnologien, wie einen ­Rasenmäher, der gut Rasen mähen kann, aber sonst nicht viel. Strom ist eine Allzwecktechnologie. Unser primäres Interesse liegt nicht im Stromverbrauch, sondern in der effizienten Erledigung von Aufgaben wie dem Trocknen von Haaren oder dem Abwaschen von Geschirr. So kann Strom ganz unterschiedliche Szenarien bedienen. Und so ist es bei generativer KI auch. 

Wie ist der öffentliche Bereich in Sachen KI heute aufgestellt? Wird sie schon breit genutzt?
Die Akzeptanz ist unterschiedlich. Im klassischen Verwaltungsbereich gibt es viele Auflagen und Restriktionen, da sehen wir noch viel Potenzial. Bei den Energieversorgern wiederum, die in einem regulierten, aber auch freien Markt und im Wettbewerb agieren, sind die Ansprüche anders. 

Wobei kann KI die verschiedenen ­Akteure im öffentlichen Bereich unterstützen?
Wir stehen vor großen Herausforderungen in Österreich, insbesondere im öffentlichen Bereich: Personal- und Fachkräftemangel und eine Pensionierungswelle. Parallel dazu sehen wir seit Jahren einen Rückgang der Produktivität. Im öffentlichen Bereich betrifft die Pensionierungswelle etwa 48 Prozent der Mitarbeiter, die aktuell nicht nachbesetzt werden sollen. Bis 2032 werden wir nur noch die Hälfte der Mitarbeiter im öffentlichen Bereich haben. Daher müssen wir überlegen, wie wir effizienter vorgehen und bessere Bürger- und Kundenservices anbieten können. KI kann eine Antwort sein.

Neben dem Fachkräftemangel geht es auch ­darum, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positio­nieren. Der neuen Generation an Mit­arbeiterinnen und Mitarbeitern ist wichtig, welches Arbeitsumfeld sie vorfindet und mit welchen Werkzeugen sie arbeiten kann. Ein weiterer Aspekt sind die Services für die Bürger. Im E-Government sind wir im europäischen Vergleich nicht schlecht, aber wir sind von Platz drei auf Platz neun abgerutscht. Es gibt eine gewisse Erwartungshaltung an die Digitalisierung der Amtswege, und man kann die Zufriedenheit der Bürger steigern.

Die WKO beispielsweise nutzt generative KI in einem Projekt mit Ernst & Young, um aus den vielfältigen Fördermitteln die passenden für Unternehmen zu finden. Spannend finde ich, dass es sich nicht um einen „Selbstbedienungs-Chatbot“ für Kunden handelt, sondern ein Werkzeug für ihre Mitarbeiter, um ihre eigenen Informationen leichter zu finden, so effizienter zu sein und damit die Kundenzufriedenheit zu steigern.

Wir haben auch ein Projekt mit der MedUni Wien durchgeführt, das die Trefferquote in der bildlichen Erkennung von Tumoren gesteigert und menschliche Fehler reduziert hat. Aber auch hier dient KI nur der Unterstützung. Der Mensch bleibt im Mittelpunkt. 

Im Zusammenhang mit KI, gerade in ­sensiblen Bereichen, wird oft auch von Risiken gesprochen.
Deshalb sind uns Responsible-AI-Standards wichtig, die auch für unsere eigenen Lösungen zum Einsatz kommen: Inklusion, Fairness, Zuverlässigkeit und Sicherheit, Transparenz und Verantwortlichkeit. Wir empfehlen allen, die diese Technologie einsetzen, sich über die Abgrenzung Gedanken zu machen.

Wir haben beispielsweise in Kooperation mit dem Haus der Digitalisierung das Projekt „Niederösterreichisches Landesgedächtnis“ durchgeführt. Jeder kann diesen Bot verwenden, um Wissen über Niederösterreich zu erlangen. Was wir aber nicht möchten, sind Vergleiche, etwa welche Gemeinde die beste auf gewissen Gebieten ist. Das muss abgegrenzt werden.

Sie haben Beispiele genannt, wo ­generative KI heute eingesetzt wird. Wo würden Sie KI in Österreich gerne in naher Zukunft sehen?
In der klassischen Verwaltung sehen wir viel Potenzial, da es viele repetitive Abläufe und schwer zu sichtende Daten gibt. Man kann dort Services mit Nutzen kreieren, wie eine ­schnellere Abwicklung eines Meldeservices oder die Zugänglichmachung parlamentarischer Anfragen. Was wir zum Beispiel in Madrid sehen, ist der Einsatz im Tourismus. Man stellt einen Bot zur Verfügung, der es ermöglicht, ­personalisierte Reisevorschläge zu erstellen, basierend auf den Interessen der Reisegruppe.

Ein augenöffnender Case ist Hera, ein Projekt der ESA, für das eine Sonde ins Weltall geschickt wurde, um Bedrohungen durch Asteroiden zu identifizieren. Terra Mater Studios hat mit der ESA einen Bot entwickelt, über den man mit der Raumsonde kommunizieren und Fragen stellen kann. Je nachdem, ob man Astrophysiker oder ein fünfjähriges Kind ist, bekommt man angepasste Antworten.

Dieser Case zeigt plastisch, wie man Forschung und Technik für alle zugänglich machen kann. Davon bin ich auch für den öffentlichen Bereich überzeugt. Er sollte Vorreiter und Vorbild für das gesamte Ökosystem und den Wirtschaftsstandort Österreich sein.

Es ist aber noch viel Luft nach oben?
Definitiv. Aber es gibt auch viel Interesse. Es geht mehr um die Geschwindigkeit. Es muss schneller gehen. Regulierung ist wichtig, aber wir dürfen nicht überregulieren. Wir dürfen nicht zu lange warten, weil Österreich internatio­nal eine Vorreiterrolle übernehmen könnte. Dazu müssen wir jetzt beginnen und Kompetenzen aufbauen – was wir am österreichischen Markt auch intensiv tun.

Ist dieses Interesse in den letzten zwei Jahren gestiegen?
Die ersten Schritte sind gemacht, aber da ist noch Raum für mehr. Deswegen sind Beispiele wie das Bildungsministerium wichtig, um zu lernen, wo man KI einsetzen möchte und wo es wirklich einen Nutzen bringt. Ich würde mir mehr Breite wünschen und dass man sich jetzt die Einsatz­szenarien überlegt. Auch die neue Regierung muss das Thema Digitalisierung priorisieren. Es muss Chefsache sein. Wenn jede Organisation es für sich herausfinden muss, gibt es Reibungs­verluste. In anderen Ländern, wo zentral entschie­den wird, entstehen Projekte und Geschwindigkeit. Da sehen wir noch Nachholbedarf. 

Wie sieht es mit dem Thema Halluzina­tionen bei generativer KI aus, gerade in kritischeren oder sensibleren Bereichen? Was wird dagegen getan? Muss man selber aufpassen? Passt eine Software darauf auf?
Das ist eine spannende Frage, und die Antwort ist wahrscheinlich Ja auf alle Punkte. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen. Das ist nicht nur ein Problem von generativer KI. Schon in den letzten Jahren gab es etwa auch Fake News im Netz. Das gab es schon immer. Deswegen ist es gerade bei Schülern wichtig, die Grenzen der Technologie aufzuzeigen und Kompetenzen aufzubauen. 

Zweitens kann man diese Sprachmodelle mit eigenen Daten anreichern und die Systeme anweisen, sich auf dieses Wissen zu beschränken – im Fachjargon „Grounding“ genannt. Dann hat man das Beste aus zwei Welten: die Dialogfunktion und fundierte Daten. 

Kann man Halluzinationen komplett vermeiden? Nein, zumindest heute noch nicht. Aber wir nutzen unter anderem vielfältige Datensets, um unsere KI-Modelle zu trainieren, und reduzieren so die Wahrscheinlichkeit, dass sie ungenaue Antworten generieren. Die Technologie entwickelt sich sehr schnell weiter. Das Mantra sollte sein: die Chancen nutzen, das Risiko minimieren, aber nicht auf ein Nullrisiko warten. 

Ein anderes wichtiges Thema im Zusammenhang mit KI ist Nachhaltigkeit, gerade hinsichtlich des Energieverbrauchs. Bringt man das unter einen Hut, oder widerspricht sich das eigentlich?
Das bringt man sehr gut unter einen Hut. Das ist auch ein Einsatzszenario bei Energieversorgern, zum Beispiel die Optimierung der Netze oder die optimale Verteilung von PV-Anlagen. Auch Spar arbeitet mit KI und unseren Lösungen an der Reduzierung der Lebensmittel­verschwendung, optimiert seinen logistischen Beschaffungsprozess bei Gemüse und Obst, um die Ausschussrate zu reduzieren. Das sind perfekte Einsatzszenarien für KI. Zweifelsohne braucht diese Technologie Energie. Aber auch hier werden wir in Zukunft Verbesserungen sehen, weil die Technologie und die Modelle effizienter werden. (RNF)