Die weltweiten Reaktionen auf die Ausbreitung sowie die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie haben Transportwege durcheinandergewirbelt und alles auf den Kopf gestellt. © Khusen Rustamov/Pixabay
Auf der Straße, der Schiene, zu Wasser und in der Luft haben sich die Dinge durch die internationalen Reaktionen auf die Coronavirus- Pandemie schlagartig verändert.
Corona hat alles durcheinandergewirbelt. So hat etwa die Unsicherheit über den Verlauf der Krise im März zu einem sprunghaften Anstieg von Frachtangeboten auf dem europäischen Transportmarkt geführt. „Viele Unternehmen haben mit Aussicht auf Grenzschließungen und andere Beschränkungen im Zeichen von Corona Bestellungen vorgezogen“, kommentiert Tilman Fecke, Business Analyst beim Freight-Tech-Unternehmen TIMOCOM, den ungewöhnlich hohen Anstieg von Frachtangeboten, die bis Mitte März auf der Frachtenbörse des Unternehmens eingestellt wurden. Über diese Börse werden täglich immerhin bis zu 750.000 internationale Fracht- und Laderaumangebote abgewickelt, wodurch sich durchaus Rückschlüsse auf die Gesamtentwicklung ziehen lassen. So konnte TIMOCOM im ersten Quartal 2020 bei den Frachtangeboten ein Plus von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verbuchen; Transporte aus EU-Ländern in Richtung Italien stiegen um 26 Prozent, nach Polen sogar um 53 Prozent. Besonders begehrt waren Kühlfahrzeuge. In der Spitze lag die Nachfrage nach temperaturgeführten Transporten dem Unternehmen zufolge um 50 Prozent über den Werten des Vorjahres.
Wendepunkt Mitte März
Den Wendepunkt der Aufwärtsbewegung markiert ab Mitte März der europaweite Lockdown, der weitgehend zum Stillstand von Produktionsbetrieben und – mit Ausnahme des Lebensmitteleinzelhandels – zu einem Einbruch der Liefermengen geführt hat. „Trotz steigender Transporte im Lebensmittelbereich sind die Frachtmengen von Mitte bis Ende März europaweit um mehr als zwei Drittel zurückgegangen“, berichtet Fecke. „Eine vergleichbare Entwicklung hat es so vor Ostern noch nicht gegeben.“
Obwohl Transportunternehmen in Zeiten des Lockdown händeringend nach Aufträgen suchen, um ihre LKW auszulasten, sind die über TIMOCOM am Markt platzierten Frachtkapazitäten im ersten Quartal dieses Jahres gesunken. So ging die Zahl der frei verfügbaren LKW in diesem Zeitraum im Vergleich zum Vorjahresquartal europaweit um drei Prozent zurück; in Deutschland sank die Zahl der Fahrzeugangebote sogar um 15 Prozent. Wie passt das zusammen?
„Wir beobachten, dass Transportunternehmen Teile ihrer Fahrzeugflotte mangels Auslastung vorübergehend vom Markt nehmen“, kommentiert Unternehmenssprecher Gunnar Gburek. So komme es durch den Ausnahmezustand, in dem sich die Welt in diesen Wochen befindet, zu Marktverzerrungen. Gburek zeigt sich dennoch zuversichtlich: „Zurzeit zeichnen sich beim Frachtangebot leichte Aufwärtstendenzen ab. Wie sich die Transportwirtschaft im Zeichen der Corona-Pandemie weiterentwickelt, wird sich allerdings erst im zweiten Quartal zeigen.“
Verlagerung auf die Schiene
Nicht nur auf der Straße, sondern auch im Gütertransport auf Schienen wurde reagiert. So hat beispielsweise die ÖBB Rail Cargo Group Anfang April mitgeteilt, dass sie zusätzliche Transportkapazitäten bereitstellen konnte. Ziel war es, so den internationalen Warenstrom am Laufen zu halten und die nationale, aber auch internationale Versorgung der Bevölkerung und des Handels sicherzustellen. Zuwächse gab es bei der Beladung mit Konsumgütern, insbesondere Lebensmitteln und Papier, aber auch Bio-Ethanol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln. „In dieser herausfordernden Zeit sind wir uns unserer verantwortungsvollen Rolle bewusst, den Warenstrom aufrechtzuerhalten, wir führen neue Produkte für unsere Kunden ein und können unsere bestehenden Kapazitäten erhöhen, um gerade auch über Ländergrenzen hinweg die Versorgung sicherzustellen“, so An-dreas Matthä, CEO der ÖBB-Holding AG.
So konnte die ÖBB Rail Cargo Group etwa ihre Transporte für Salinen Austria massiv aufstocken. Binnen weniger Tage wurden zusätzliche Transporte auf der Schiene für den Salzhersteller bereitgestellt und innerhalb einer Woche an den Zielort in Ungarn transportiert. Auch Bio-Ethanol des österreichischen Nahrungsmittel- und Industriegüterkonzerns AGRANA wurde auf der Schiene zu den Produktionsstandorten der verschiedenen industriellen Hersteller von Desinfektionsmitteln transportiert. Für das österreichische Unternehmen Julius Meinl konnte die ÖBB Rail Cargo Group innerhalb einer Woche sieben gedeckte Waggons mit Kaffee vom italienischen Logistikzentrum Santo Stino di Livenza nach Wien transportieren und damit das Transportvolumen von insgesamt 14 LKW übernehmen.
Nicht zuletzt wurde auch dem heimischen Hygieneartikelhersteller Essity Austria unter die Arme gegriffen. Er verzeichnete durch die gestiegene Nachfrage nach Toilettenpapier eine rekordverdächtige Produktion mit einem Auslieferrekord bei 6.000 Paletten Toilettenbedarf, der zu 15 Prozent durch die Erhöhung der Kapazitäten im Schienengüterverkehr der ÖBB Rail Cargo Group national, aber auch international abgedeckt wurde.
Neue Seidenstraße hoch im Kurs
In diesen schwierigen Zeiten sind die Frachtkapazitäten von See- und Luftfrachtverkehren gegenüber den Vormonaten stark zurückgegangen. Die großen Containerschiffe durchkreuzen die Weltmeere nur mit halber Fracht. Gründe dafür sind unter anderem fehlende Leercontainer und dass volle Container wegen fehlender Lagerkapazitäten nicht mehr angenommen werden sowie weltweit stillstehende Produktionsanlagen. Aufgrund der stark eingeschränkten Schifffahrt fordern fast alle Containerreedereien derzeit erhebliche Aufschläge.
Als Resultat sei eine verstärkte Nachfrage nach Transporten über den Schienenweg und die Routen der Neuen Seidenstraße zu verzeichnen, meldete die Group of European TransEurasia Operators and Forwarders (GETO) ebenfalls im April. Deswegen haben GETO und der Koordinierungsrat für den Transsibirischen Verkehr (CCTT; derzeit mit mehr als 120 Mitgliedsgesellschaften aus 24 Ländern) ihre Zusammenarbeit intensiviert, um die eigenen Routen gezielt auszubauen und zu verbessern. Harm Sievers, Präsident der GETO, sieht gerade in der aktuellen Zeit großes Potenzial für alle Routen der Neuen Seidenstraße: „Der asiatische Raum beginnt bereits, sich von der Corona-Krise zu erholen. In Zeiten der Normalisierung wird die Containerzugverbindung eine große Rolle spielen, da sie einen leistungsstarken alternativen Verkehrskorridor darstellt. Deswegen ist es enorm wichtig, ihr Potenzial zu nutzen und weiter auszubauen. Vor allem müssen wir daran arbeiten, den Bahnverkehr in Europa, Russland und Asien gemeinsam zu koordinieren, um die Seidenstraße insgesamt zu verbessern.“
Wie wichtig gemeinsame Koordination und gemeinsames Vorgehen, gerade im jetzigen Ausnahmezustand, sind, belegen Zahlen der United Transport and Logistics Company – Eurasian Rail Alliance (UTLC-ERA; ständiges Mitglied von CCTT, das Dienstleistungen für den Transport von Containern mit regulären Containerblockzügen auf der Strecke China–Europa–China durch die Gebiete der Republik Kasachstan, der Russischen Föderation und der Republik Weißrussland bietet): Das UTLC-ERA-Transportvolumen aus China Richtung Europa lag in den ersten beiden Monaten des Jahres 20 Prozent über dem des Vorjahreszeitraums, in der Gegenrichtung sogar um mehr als 60 Prozent darüber. Über das gesamte Jahr verteilt und unter normalen Umständen rechnet die UTLC-ERA mit einem Wachstum des Transportvolumens von circa 15 Prozent. Ziel sei es jedoch nicht, den gesamten Transport von Schiffen auf die Schiene zu verlagern, sondern sinnvolle und optimale Ergänzungsoptionen zu schaffen und sich als „High Quality Boutique“ einen beachtlichen Prozentsatz des Verkehrsaufkommens zu sichern. (RNF)