Die retoflow-Gründer Jannis Kupka, Leon Thurner und Simon Drauz-Mauel (von links nach rechts). © retoflow
Mit dem Boom von privaten Energieanlagen sind auch die Anschlussgesuche an die Netzbetreiber gestiegen. Eine neue Software erleichtert jetzt die Anschlussprüfungen ...
... und verspricht, die Prozesse zu beschleunigen.
Der Energiemarkt ist im Umbruch – erneuerbare Energien boomen, Förderprogramme für Solaranlagen, Wärmepumpen und E-KFZ-Ladesäulen bewirken einen massiven Anstieg an Anschlussgesuchen. Mit der neuartigen Cloud-Software retoflow können Energienetzbetreiber diese Gesuche automatisiert und effizient prüfen, Strom- und Rohrnetze sektorübergreifend modellieren, simulieren und langfristig planen. Entwickelt wurde das nutzerfreundliche Programm von dem gleichnamigen Start-up retoflow GmbH – einer Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.
Wer sich eine Photovoltaikanlage, eine Wärmepumpe oder eine Ladestation fürs E-Auto anschaffen möchte, muss sich an seinen Energienetzbetreiber wenden. Dieser prüft, ob der Anschluss an das kommunale Netz möglich ist. Bislang wurde das zeitaufwendig manuell durchgeführt. Mit retoflow erhalten Netzbetreiber eine Software, die den Prozess der Anschlussprüfung automatisiert und den Ablauf deutlich vereinfacht und beschleunigt.
Mithilfe des Systems wird ein digitaler Zwilling des komplett digitalisierten Energienetzes erstellt. Ist der Anschluss einer neuen Anlage geplant, lässt sich dies per Knopfdruck simulieren. Die webbasierte Plattform ruft die passenden Netzdaten ab, testet die Auswirkungen in den verschiedenen Netzebenen sowie die technische Machbarkeit und prüft, ob ein entsprechender Ausbau erforderlich wäre.
Entwickelt wurde die Software retoflow von Leon Thurner und seinen Kollegen Jannis Kupka und Simon Drauz-Mauel, drei Wissenschaftlern. 2021 entschloss sich das Team zusammen mit Kollegen der Universität Kassel zur Ausgründung. Das Spin-off wurde vom Ahead-Programm, einer Fraunhofer-Start-up-Initiative, gefördert und begleitet. Mittlerweile zählt das Unternehmen acht Mitarbeiter.
Anstieg der Anschlüsse nimmt exponentiell zu
„Der derzeitige Anschlussprozess ist langwierig, da er manuell erfolgt. Bis zur Rückmeldung seitens des Netzbetreibers können Wochen vergehen. Unsere Software hingegen prüft die Anschlussmöglichkeit von PV-Anlagen in Privathaushalten und PV-Parks, von E-Ladestationen, Wärmepumpen und Haushaltsstrom automatisiert in Echtzeit“, sagt Leon Thurner, CEO bei retoflow. „Mit der Energiewende stieg die Zahl der Anfragen exponentiell an. Selbst ein kleines Stadtwerk erhält pro Jahr über tausend Anfragen und müsste viele neue Fachkräfte einstellen, um die Gesuche abzuarbeiten. Mit retoflow können Netzbetreiber und Stadtwerke Ressourcen einsparen und einer Überforderung der Mitarbeitenden entgegenwirken.“
Einige Pilotkunden setzen das Programm bereits erfolgreich ein: Die Stadtwerke Fürstenfeldbruck, Netze BW und BS Netz profitieren bereits von den Automatisierungsalgorithmen.
Für die strategische Langfristplanung
Darüber hinaus ist retoflow für die Langfristplanung von Stromnetzen und Rohrnetzen konzipiert. Dies gelingt mithilfe einer Metaheuristik, die Vorschläge für die künftige Netzkonfiguration und -planung generiert und Empfehlungen etwa für den Bau oder den Rückbau von Leitungen ausspricht. Im Übersichtsmodus lassen sich sämtliche Versorgungsleitungen einblenden, das Netzmodell bis zum letzten Hausanschluss wird übersichtlich dargestellt.
Überlastete Leitungen werden ebenso angezeigt wie mögliche künftige Kabelverläufe. Routenführungen, Auslastungen der Leitungen, Spannungsdifferenzen und weitere technische Parameter berechnet retoflow in Echtzeit und kalkuliert zudem die anfallenden Kosten.
Die Idee für die Software wurde mit den Open-Source-Programmen pandapipes und pandapower gelegt, die der Ingenieur gemeinsam mit mehreren Wissenschaftlern am Fraunhofer IEE und der Universität Kassel entwickelte. Die beiden Tools werden weltweit in großer Anzahl heruntergeladen.
Gekoppelte Betrachtung
retoflow läuft in der Cloud, lässt sich jedoch auch vor Ort beim Netzbetreiber hosten. Aktuell ist die Software darauf ausgelegt, Stromnetze zu modellieren. Thurner und sein Team wollen die Software jedoch zusätzlich für die Planung von Gas- und Wärmenetzen ausbauen. „Die hierfür erforderlichen Berechnungsalgorithmen kommen aus dem Fraunhofer-Universum und der Universität Kassel. Wir bei retoflow kümmern uns um die Oberfläche und die Softwarelösung“, erläutert der Forscher.
„Aktuell behandeln Netzbetreiber und Stadtwerke die Technologien der Energiewende noch getrennt. Doch mit der fortschreitenden Sektorkopplung werden Strom-, Wärme- und Gasnetze zunehmend kombiniert und zusammengeführt. Diese Entwicklung unterstützen wir mit retoflow und bieten die übergreifende Planung der verschiedenen Sektoren zusammen an.“ (BS)