Digitale Technologien transformieren die Lieferkette. © Fotolia/Jakub Jirsák
Beschaffungsprozesse verändern sich rasant und die Blockchain-Technologie ist in aller Munde. Doch ist das nur ein Hype oder ist das der Beginn einer Revolution?
Werden im Jahr 2025 wirklich zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts mit Hilfe der Blockchain abgewickelt, wie das World Economic Forum unlängst prognostizierte? Wird die Distributed-Ledger-Technologie globale Handelsbarrieren reduzieren und gleichzeitig mehr Transparenz und Sicherheit garantieren? Werden Smart Contracts die Supply Chain völlig auf den Kopf stellen? Diese und weitere Fragen versucht eine aktuelle Blockchain-Studie zu beantworten.
Blockchain sorgt für Transparenz und Rückverfolgbarkeit
Die Blockchain-Technologie könnte das Supply-Chain-Management und den Handel revolutionieren. Eine neue Studie des AIT im Auftrag der Wirtschaftsauskunftei CRIF und des Handelsverbandes zieht aus bestehenden Anwendungsfällen eine erste, vielschichtige Bilanz.
In einer Lieferkette haben viele Akteure miteinander zu tun, die einander nicht unbedingt vertrauen. Allerdings sind Vertrauen und Transparenz jene Faktoren, die eine effiziente Zusammenarbeit befördern. Hier kommt die Blockchain ins Spiel. Ein Team des AIT Austrian Institute of Technology unter Leitung von Ross King hat im Auftrag von CRIF und Handelsverband untersucht, wie die Technologie hinter Bitcoin im Supply-Chain-Management eingesetzt werden kann. „Derzeit ist die Blockchain in aller Munde. Das ist einerseits wohlverdient, denn der Erfolg von Bitcoin beweist, dass die Technologie grundsätzlich funktioniert. Andererseits begründet sich der Hype aber auch durch den dramatischen Preisanstieg von Bitcoin und manch anderer Kryptowährung im letzten Jahr, der mit der grundsätzlichen Nützlichkeit der Technologie nichts zu tun hat“, erklärt Studienautor Ross King, Senior Scientist, AIT – Austrian Institute of Technology. Der grundsätzliche Mehrwert der Blockchain in der Lieferkette besteht darin, dass ein unveränderbares Verzeichnis aller Aspekte einer Transaktion geschaffen wird – von der Herkunft des Rohstoffs über die Verarbeitung bis zur Verpackungshistorie. Dieses Verzeichnis kann ein neues Fundament für Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Vertrauen schaffen.
Das Problem der Schnittstelle
„Die Crux liegt im Detail. Natürlich kann die Blockchain das Supply-Chain-Management oder auch die Kreditwürdigkeitsbewertung verbessern. Das zentrale Problem ist jedoch die Schnittstelle zwischen der physischen und der digitalen Welt“, sagt Massimo Gentilini, Blockchain-Experte der Wirtschaftsauskunftei CRIF. So muss jeder Vorgang von einem Menschen oder einer Maschine außerhalb der Blockchain protokolliert werden, erst dann kann er in der Blockchain unveränderbar und nachvollziehbar festgehalten werden. Wenn man diesen Einheiten (Menschen oder Maschinen) außerhalb der Blockchain ohnehin vertrauen kann, dann bräuchte man in vielen Fällen gar keine Blockchain. „Oft würde eine zentrale Datenbanklösung mit gemeinsamen Lese- und Schreibrechten ausreichen. Wenn man umgekehrt den externen Einheiten nicht vertrauen kann, dann kann leider auch die Blockchain das Vertrauensproblem nicht lösen“, so Gentilini.
Automatisierung mit Smart Contracts
Eine Applikation der Blockchain-Technologie besteht in der potenziellen Automatisierung einzelner Prozessschritte des Wirtschaftsgeschehens. Verantwortlich dafür sind im Vorhinein programmierte Smart Contracts: So könnte das Eintreffen eines Produkts an einem bestimmten Ort automatisch weitere Verarbeitungsschritte auslösen. Routineprozesse könnten auf diese Weise selbstständig ablaufen. „Die technologischen Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig, der rechtliche Rahmen für Smart Contracts ist jedoch noch nicht geklärt. Daher ist Vorsicht geboten. Entwicklungsländer könnten profitieren, sofern die neue technische Infrastruktur mittelfristig geringere Anforderungen als die vorherrschenden standardisierten Datenbanksysteme erfordert, um beispielsweise alle Bauern und Zwischenhändler einzubeziehen“, bestätigt Ross King. Die in der Studie untersuchten Anwendungsfälle setzen auf sogenannte „Permissioned Blockchains“. Bei diesen können – im Gegensatz etwa zu Bitcoin – bewusst nur bestimmte Akteure teilnehmen, wodurch der Zugang zu den Daten gezielt eingeschränkt werden kann. Das ist laut Studie auch sinnvoll, da in manchen Fällen zu viel Transparenz Mitbewerbern Wettbewerbsvorteile verschaffen könnte. Andere Entwicklungen setzen auf offene Blockchains als „Infrastruktur“, um darauf aufbauend Geschäftsprozesse abzubilden, die anonym durchgeführt werden sollen.
Positive Bewertung der Blockchain
Um neben der Unternehmensperspektive auch die Sicht der Kunden besser einschätzen zu können, haben Handelsverband und Mindtake Research eine „Consumer Check“-Kurzumfrage zum Thema Blockchain durchgeführt. Das überraschende Ergebnis: Trotz aller Medienberichte und Forschungs- und Entwicklungsvorhaben hat nur ein Viertel der befragten Österreicher schon von der Blockchain-Technologie gehört. „Eines der spannendsten Anwendungsfelder ist die Verwendung der Blockchain zur Sicherstellung der Produktqualität im Lebensmittelhandel und in der Zertifizierung. Dies scheint auch bei Konsumenten sehr gefragt zu sein, denn knapp zwei Drittel der Befragten können sich die Nutzung einer Blockchain-basierten App dafür vorstellen“, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Was die Potenzialanalyse betrifft, ist eines ganz klar ersichtlich: Die Österreicher brauchen noch mehr und v. a. leichter verständliche Informationen, um das Potenzial der Blockchain wirklich einschätzen zu können. Bereits mehr als ein Drittel ist jedenfalls überzeugt davon, dass die Blockchain innerhalb der nächsten zehn Jahre die heimische Wirtschaft ähnlich stark verändern wird wie einst das Internet.
Potenziale ausschöpfen, Rechtssicherheit schaffen
„Jede Entwicklung braucht mutige Pioniere, die auch mal bereit sind, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Obwohl die Blockchain-Technologie noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es bereits viele spannende Use Cases und Anwendungen – auch in Österreich. Jetzt ist die Zeit, innovative Pilotprojekte zu starten, um in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil zu haben“, appelliert Rainer Will an die heimischen Handelsunternehmen, sich noch intensiver mit der Blockchain-Technologie zu beschäftigen.
„Um das volle Potenzial der Blockchain und möglicher Folgetechnologien, die wie Hashgraph oder IOTA ohne Verkettung von Blöcken funktionieren, ausschöpfen zu können, braucht es für Unternehmen vor allem Steuer- und Rechtssicherheit“, meint Will. Der Handelsverband fordert daher sogenannte „regulatory sandboxes“, um helle Köpfe junger Start-up-Unternehmen auch für die Umsetzung im Lande zu halten. Nur so kann auch die Volkswirtschaft von Erfolgen profitieren und sich auch in diesem Zukunftsbereich als Front Runner positionieren. (VM)
INFO-BOX
Was sind Smart Contracts?
Wichtiges Anwendungsfeld der Blockchain sind sogenannte Smart Contracts. Hierbei handelt es sich nicht um klassische Verträge in Textform. Sie können diese aber in Zukunft ersetzen, sofern die entsprechenden Rahmenbedingungen erfüllt werden. Über eine Software wird eine beliebige Transaktion automatisch unter der Voraussetzung abgewickelt, dass alle beteiligten Parteien die zuvor niedergelegten Konditionen erfüllt haben. Vorzugsweise kann die Software selbst überprüfen, ob die Parteien ihre Leistungen erbracht haben.
Ein Smart Contract ist weniger ein Vertrag im zivilrechtlichen Sinne, sondern vielmehr ein Stück Software, das eine bestimmte rechtlich relevante Aktivität kontrolliert und/oder dokumentiert oder sogar bewirken kann, sofern die vorgegebenen Voraussetzungen vorliegen. Diese Technologie wird daher häufig auch mit einem Warenautomaten verglichen, bei dem sich der Vertragsschluss ebenfalls aus äußeren Umständen ergibt und dessen Ausführung allein über die Mechanik gesteuert wird. Diese Kommunikationsweise ist in allen Anwendungskonstellationen des Wirtschafts- und Rechtsverkehrs denkbar. Beispielsweise können in „Smart Homes“ intelligente Kühlschränke verbrauchte Lebensmittel automatisch nachbestellen (B2C). Auch im Rechtsverkehr zwischen Unternehmen (B2B) sind im Zuge von Industrie 4.0 vergleichbare Rechtsgeschäfte denkbar. Und auch im rein privatrechtlichen Bereich (C2C) ließe sich beispielsweise regeln, dass sich eine smarte Tür erst öffnen lässt, sobald der vereinbarte Mietzins auf dem Konto des Vermieters eingegangen ist.
(Quelle: PWC Deutschland)