Arbeitsplatzsicherheit gilt als einer der wichtigsten Faktoren für die Zufriedenheit von Mitarbeitern. © Rawpixel/Pixabay
Die Gig Economy krempelt den Arbeitsmarkt um: Freiberufler und befristet Beschäftigte sollen in den kommenden Jahren Vollzeitangestellte weitgehend ersetzen.
In einem Wettbewerbsumfeld, in dem Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung für erhebliche Umwälzungen sorgen, ändern sich nicht nur fortlaufend die Arbeitsabläufe, sondern auch, wer die Arbeit macht. Insbesondere der Gig Economy prognostizieren Führungskräfte einen Aufwärtstrend: Weltweit erwarten 79 Prozent, dass vorübergehend Beschäftigte und Freiberufler in den kommenden Jahren Vollzeitbeschäftigte weitgehend ersetzen werden. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Global Talent Trends Studie 2019 von Mercer. Die Studie gibt Einblicke in die Ansichten von über 7.300 Führungskräften, Personalverantwortlichen und Mitarbeitern aus neun Branchen und 16 Regionen weltweit.
Fast drei Viertel (73 Prozent) der Führungskräfte weltweit prognostizieren für die nächsten drei Jahre erhebliche Disruptionen für ihre Unternehmen. 2018 sagten lediglich 26 Prozent disruptive Entwicklungen voraus. Als Antwort auf die anstehenden Umwälzungen werden Transformationsprozesse angestoßen, die allerdings signifikante personalwirtschaftliche Risiken bergen. Jedoch glaubt global nur jede dritte Führungskraft, dass ihr Unternehmen in der Lage sei, solche Risiken zu minimieren – und z. B. effektiv Qualifikationsdefizite abzubauen oder die Veränderungsmüdigkeit von Mitarbeitern dauerhaft zu überwinden.
„In den letzten Jahren hat sich die Herangehensweise an und die Vorbereitung von Unternehmen auf die Zukunft der Arbeit gewandelt: weg von Antizipation und hin zu proaktiver Vorgehensweise. Allerdings riskieren Organisationen, ihre Mitarbeiter mit zu viel Veränderung zu verwirren. Traditionell geschätzten Werten, wie z. B. sinnvolles Arbeiten, Verantwortung, Anerkennung oder Mitspracherecht, wird zu wenig Beachtung geschenkt und die Arbeitnehmer werden mit endlosen Prozessen überfordert“, sagt Sebastian Karwautz, Leiter des Bereichs Career Central & Eastern Europe bei Mercer.
Mitarbeiter wünschen sich vor allem Arbeitsplatzsicherheit
Im heutigen Klima der Unsicherheit suchen Mitarbeiter Stabilität. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Arbeitsplatzsicherheit weltweit einer der wichtigsten Gründe ist, warum Mitarbeiter in ihr Unternehmen eingetreten sind und der Hauptgrund, warum sie bleiben. Jedoch befürchtet jeder Dritte, dass Künstliche Intelligenz und Automatisierung den eigenen Arbeitsplatz ersetzen werden. Ein Ansatz, um Arbeitnehmern das Gefühl von Sicherheit zu geben, ist das Fördern von sozialen Beziehungen. Das unterstreicht auch die Studie: Mitarbeiter, die gesund sind, denen es finanziell gut geht und die mit ihrer Karriere zufrieden sind, beschreiben ihre Rolle im Unternehmen als „fokussiert auf soziale Beziehungen“ und ihr Arbeitsumfeld als „kollaborativ“ – und zwar doppelt so häufig wie Mitarbeiter, die sich nicht entsprechend charakterisieren.
„Die Zukunft der Arbeit liegt in der Fähigkeit, Beziehungen und Netzwerke aufzubauen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das die Mitarbeiter von heute anspricht. Dafür ist es notwendig, dass Arbeitnehmer das Gefühl haben, nicht austauschbar zu sein. Außerdem sollte eine datenbasierte Individualisierung der Angebote an die Mitarbeiter ermöglicht werden. So können z. B. die Unternehmenskommunikation, aber auch Benefits- oder Weiterbildungsmöglichkeiten an die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer angepasst werden“, erklärt Kate Bravery, Global Leader des Bereichs Career bei Mercer.
VIER GLOBALE TOP-TRENDS
Über alle Themenbereiche hinweg werden im Rahmen der Studie vier globale Top-Trends identifiziert, die führende Unternehmen im Jahr 2019 verfolgen: Arbeit auf zukünftige Wertschöpfung ausrichten, Markenresonanz aufbauen, den Arbeitsalltag sinnvoll gestalten und einen mitarbeiterbasierten Wandel einleiten.
1. Arbeit auf zukünftige Wertschöpfung ausrichten
Weltweit planen 60 Prozent der Unternehmen, innerhalb der nächsten zwölf Monate mehr und mehr Arbeitsabläufe zu automatisieren. Im Hinblick auf den Bereich Talent-Investment versprechen sich Führungskräfte von der Neugestaltung von Jobs das höchste Potenzial für einen Return-on-Investment. Diese Neugestaltung beschäftigt auch die Mitarbeiter, von denen sich 65 Prozent klarer definierte Verantwortlichkeiten wünschen. Die Herausforderung für das HR-Management besteht darin, eine integrierte Personalstrategie zu entwickeln (ein Ansatz, der von wachstumsstarken Unternehmen viermal häufiger angewandt wird) und die richtigen Talentanalysen vorzunehmen, um fundierte Entscheidungen über die zukünftige Größe und Struktur des Unternehmens treffen zu können. Jedoch analysiert weltweit nur ein Drittel der Organisationen die Effizienz ihrer Talent-Strategien und versteht, welche Auswirkungen es hat, wenn Talente selbst aufgebaut, extern rekrutiert, temporär beschäftigt oder stattdessen Prozesse automatisiert werden, um Arbeitsplätze einzusparen. „Es ist entscheidend, Arbeitsplätze und Menschen auf zukünftige Wertschöpfung auszurichten und eine Strategie zu etablieren, die zukunftsfähige Qualifikationen und Verhaltensweisen belohnt“, erklärt Sebastian Karwautz.
2. Markenwirkung aufbauen
Für Arbeitnehmer und Arbeitssuchende ist es wichtig, wie ein Unternehmen seine Geschäfte führt und die Werte seiner Marke wahrt. In einer transparenten Welt, in der die sozialen Medien immer relevanter werden, verschwimmen die Grenzen zwischen der Consumer Brand eines Unternehmens und seiner Employee Value Proposition (EVP). Um den Beitrag besser abzubilden, den z. B. befristete Mitarbeiter und Freiberufler leisten, hat sich in vielen Unternehmen die EVP in Richtung einer Talent Value Proposition (TVP) entwickelt. Der Grund: Erfolgreiche Unternehmen wollen sicherstellen, dass ihre Marke alle Beschäftigungsgruppen anspricht. 68 Prozent der wachstumsstarken Unternehmen weltweit passen ihre TVP für verschiedene Gruppen an (z. B. für befristet Beschäftigte), während unter den moderat wachsenden Unternehmen lediglich 47 Prozent solche Anpassungen vornehmen. Die Total-Rewards-Philosophie eines Unternehmens ist ein Bereich, in dem die Markenwerte brillieren können: Erfolgreiche Mitarbeiter arbeiten viermal häufiger für ein Unternehmen, das Gleichbehandlung in Bezug auf Bezahlung und Beförderungsentscheidungen gewährleistet (78 Prozent vs. 18 Prozent).
3. Arbeitsalltag sinnvoll gestalten
Ein von Effektivität und Relevanz geprägter Arbeitsalltag ist unerlässlich, um Spitzentalente an das Unternehmen zu binden. Erfolgreiche Mitarbeiter arbeiten dreimal häufiger für ein Unternehmen, das schnelle Entscheidungsprozesse ermöglicht (81 Prozent vs. 26 Prozent) und Tools sowie Ressourcen zur Verfügung stellt, damit Arbeit effizient erledigt werden kann (82 Prozent vs. 30 Prozent). Personalisierte und einfache Weiterbildungspläne stehen bei Mitarbeitern hoch im Kurs – mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Arbeitnehmer weltweit wünscht sich eine kuratierte Weiterbildung, die ihnen hilft, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln und sich auf zukünftige Jobs vorzubereiten. Das Konzept des kuratierten Lernens ist nichts Neues. Neu sind jedoch die Ziele, die damit verfolgt werden: Die Studie zeigt, dass für Mitarbeiter weltweit kreatives Denken und die Weiterbildung im Bereich Technologie die wichtigsten Skills sind, um konkurrenzfähig zu bleiben. „Insbesondere Technologie spielt dabei eine entscheidende Rolle“, kommentiert Karwautz. „So sind z. B. der Remote-Zugriff auf Arbeitsdokumente, die intuitive Erledigung von HR-Aufgaben mit digitalen Tools oder eine onlinebasierte Zusammenarbeit mit Kollegen immer noch nicht selbstverständlich.“ Im Hinblick auf den Grad der Digitalisierung bezeichnen weltweit Führungskräfte von wachstumsstarken Unternehmen ihre Organisation doppelt so häufig als digitalisiert wie Führungskräfte von Unternehmen mit moderatem Wachstum.
4. Mitarbeiterbasierten Wandel einleiten
Um sicherzustellen, dass Mitarbeiter im Mittelpunkt des Wandels stehen, sollte die HR-Abteilung ein Mitspracherecht bei der Business Transformation haben. Die Studie ergab, dass weltweit 61 Prozent der HR-Führungskräfte an der Planung großer Veränderungsprojekte und 54 Prozent an der Umsetzung dieser Pläne beteiligt sind. Aber nur zwei von fünf HR-Führungskräften waren bereits während der Ideenfindungsphase der Transformationsinitiativen involviert. HR-Abteilungen sehen mangelnde Offenheit und fehlendes Commitment seitens der Mitarbeiter als wesentliche Hindernisse für die Verfestigung von Veränderungen: „Mitarbeiterfluktuation“ und ein „Rückgang des Mitarbeitervertrauens“ sind weltweit zwei der größten Herausforderungen im kommenden Jahr.
„Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen sowie der voranschreitenden Automatisierung und den Fortschritten in der Künstlichen Intelligenz sind jetzt die Unternehmen am Zug: Sie müssen einen talentbasierten Wandel einleiten. Das unterstreichen auch die Studienergebnisse, die aufzeigen, wie wichtig es ist, dass sich Transformationsbemühungen auf den Menschen fokussieren. Von ähnlich großer Bedeutung ist der Einsatz besserer Workforce-Metrics, denn so lässt sich besser verstehen, wie Menschen Veränderungen erleben und annehmen“, erläutert Sebastian Karwautz. (BO)