Wie mobil können wir bleiben?

NEW BUSINESS - NR. 9, SEPTEMBER 2022
Künftig wird es wohl „entspannter, nachhaltiger und kreativer“ heißen, wenn wir uns durch die Welt bewegen. © Adobe Stock/cherezoff

Lassen sich individuelle Mobilität und Klimaschutz vereinen? Es gibt eine Vielzahl an Ideen, Initiativen und Geschäftsmodellen, die eine Lösung versprechen. Eine Spurensuche.

Schneller, höher, weiter – das war die Maxime der letzten 120 Jahre. Unser Radius hat sich Dank der für viele leistbaren Flugreisen um ein Vielfaches erweitert und wir haben die Autos zu einem Schutzraum unserer Individualität gemacht. Nun zeigen sich die Kehrseiten unserer Mobilität.

Staus sind aus dem täglichen Berufsverkehr nicht mehr wegzudenken, Straßen und Parkplätze versiegeln den Boden im halben Land und der CO2-Ausstoß in Österreich ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl der zweithöchste in der EU. Zwar waren die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs im Corona­jahr 2021 niedriger als 2019, aber um über 50 Prozent höher als im Jahr 1990.

Darauf macht die Mobilitätsorganisation VCÖ aufmerksam. Und für 2022 ist statt mit einem Rückgang mit einem weiteren Anstieg der Emissionen zu rechnen. Am Umdenken führt also kein Weg mehr vorbei, wenn Österreich die vereinbarten Klimaziele innerhalb Europas erreichen will. Dabei geht es nicht um eine vertragliche Bringschuld, sondern um nichts weniger als die Erhaltung eines halbwegs lebenswerten Planeten. Die Wege und Ideen, wie das gemeinsam – Politik, Wirtschaft und jeder Einzelne – zu schaffen ist, sind vielfältig. 

Zielerreichung ungewiss
Elektromobilität gilt vielen als die beste Lösung. Daher sind Verbrennungsmotoren für die EU ab 2035 Auslaufmodelle. Ab dann sollen nur mehr emissionsfreie Neuwagen in der Europäischen Union zugelassen werden. In Österreich ist das im Rahmen des „Mobilitätsmasterplans 2030“ bereits fünf Jahre früher vorgesehen. Und schon jetzt steigen die Zulassungen der E-Autos. 13,3 Prozent der Neuwagen waren in der ersten Jahreshälfte 2022 in Österreich vollelektrisch – das entspricht rund 14.500 Fahrzeugen und einem Anstieg des Marktanteils von 1,9 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Mit Ende Juni 2022 betrug der Bestand an E-Fahrzeugen in ganz Österreich 130.907.

In Hinblick auf den Absatz von rein elektrischen Fahrzeugen zählt Österreich laut einer Analyse von Strategy &, der globalen Strategieberatung von PwC, zu den aufstrebenden Märkten. Zumindest mit Blick auf den aktuellen heimischen Automarkt scheint für den Berater die Erreichung des von der EU ausgegebenen Ziels realistisch.

Das sieht Bernhard Wiesinger, Leiter der Interessenvertretung ÖAMTC völlig anders. „In Österreich gibt es rund 5,1 Millionen PKW und 250.000 Neuanmeldungen pro Jahr. Selbst wenn ab sofort alle neu zugelassenen Pkw Elektroautos wären, könnte man in acht Jahren keine 2,5 Millionen Diesel- und Benzin-Autos durch E-Fahrzeuge ersetzen. Wir werden das verpflichtende CO2-Einsparungsziel von 48 Prozent für 2030 deutlich verfehlen“, rechnet der ÖAMTC-Vertreter vor.

Da jedoch kaum jemand freiwillig aufhören wird, sein Auto zu nutzen, müsste die Regierung, um wieder auf Klima-Kurs zu kommen, das Fahren massiv verteuern. „Wer einem Verbrennerverbot zustimmt und damit verhindert, dass auch Bestandsfahrzeuge grüner betrieben werden können, wird in der Folge den Betrieb von Benzin- oder Diesel-PKW so weit verteuern müssen, bis etwa ein Drittel der Autofahrer ihr Fahrzeug stehen lassen. Spritkosten von vier Euro je Liter sind zu erwarten. Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, werden dramatische Einschränkungen erleben“, warnt Wiesinger.

Auf alle Fälle hält der Trend zum PS-Boom laut der Wiener Städtischen Versicherung weiter an. Aktuell liegt die PS-Stärke bei durchschnittlich 123 PS. Zum Vergleich: 2012 genügten Herrn und Frau Österreicher noch 104 PS. Das entspricht einer Steigerung von 18,5 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. „Weder die Klimadebatte noch die Coronapandemie konnten diese Entwicklung bremsen. Der Sicherheitsaspekt mit schwereren und damit PS-stärkeren Autos steht bei Österreicherinnen und Österreichern weiter im Vordergrund“, sagt Doris Wendler, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtischen Versicherung.

Bei einer von der Versicherung beauftragten Umfrage gaben 60 Prozent an, dass der Umweltgedanke, wie etwa Schonen der Ressourcen oder der Klimawandel, beim Autofahren Relevanz haben. Die Analysedaten zeigen aber ein recht unterschiedliches Bild beim Blick auf die CO2-Emissionen. Während diese zwischen 2012 und 2019 von 155 g/km auf 140 g/km zurückgegangen sind, stiegen sie in den letzten zwei Jahren wieder marginal auf 142 g/km an.

Mit großzügigen Prämienrabatten für schadstoffarme Fahrzeuge versucht die Wiener Städtische, einen Anreiz zum Umstieg zu setzen. „Mit einem Ausstoß von unter 141 g/km beginnt das Sparen – je nach Ausstoß reduziert sich die Prämie zwischen 10 und 20 Prozent. Bei einem reinen Elektroauto spart man in jedem Fall 20 Prozent bei der Prämie“, sagt Wendler.

Runter vom Gas
„Österreich kann seine Klimaziele nur mit weniger LKW-Verkehr und weniger Autoverkehr erreichen. Deshalb sind Maßnahmen, die zu mehr Kfz-Verkehr führen, zu unterlassen. Dazu zählen der Ausbau der Straßen ebenso wie umweltschädliche Förderungen sowie Zersiedelung“, fordert Michael Schwendinger, Experte des VCÖ. „Wir sind die letzte Generation, die die Erderhitzung noch bremsen kann. Jeder und jede kann einen Beitrag leisten. Letztlich geht es um die Frage, in welchem Zustand wir diesen Planeten unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen“, warnt Schwendinger.

Eine rasch umsetzbare und rasch wirksame Maßnahme wären für ihn niedrigere Tempolimits wie Tempo 100 auf Autobahnen, Tempo 80 auf Freilandstraßen und Tempo 30 im Ortsgebiet. Dem kann auch der bekannte Physiker Werner Gruber etwas abgewinnen, wie er es der „Krone“ gegenüber formulierte. Bei seinen Fahrten ins Burgenland mit reduzierter Geschwindigkeit habe er den Weg mit einer Tankfüllung zehn- bis elfmal satt nur fünf- bis sechsmal geschafft. Und das mit einem Zeitverlust von nur fünf Minuten. 

Zukunft Wasserstoff
Was das E-Auto im Individualverkehr, ist der Wasserstoff bei den Öffis. Im Projekt H2Together erproben etwa die Wiener Linien, Wien Energie, Wiener Netze und der Verkehrsverbund Ost-Region, kurz VOR, zusammen erstmals einen Wasserstoff-Elektrobus im niederösterreichischen Regionalverkehr. Nach vielversprechenden Testfahrten der Wiener Linien im Stadtverkehr wird der elf Meter lange Elec-City-Wasserstoff-Elektrobus auch im VOR-Regionalbusverkehr in Niederösterreich getestet.

Längere Strecken, höhere Geschwindigkeiten, andere Straßenbedingungen wie Steigungen oder Kurvenradien im Überlandverkehr stellen andere Herausforderungen dar als in einer Großstadt. Mit einem vollen Tank schafft der Bus bis zu 550 km und kann damit die spezifischen Vorteile dieser Technologie gegenüber dem Elektrobetrieb anwenden. Die Betankung soll während des Testbetriebs einmal täglich stattfinden. Ergebnisse und Rückschlüsse aus dem Testbetrieb sollen voraussichtlich bis Ende des Jahres vorliegen.

„Als Verkehrsverbund für die Ostregion ist es uns wichtig, den öffentlichen Verkehr noch klimafitter zu machen. Daher sind Synergien in der gemeinsamen Nutzung von Ladeinfrastruktur für Wasserstoff auch für regionale Verkehre ideal, um dieses Ziel zu erreichen. Es freut mich sehr, dass gerade für die Pendlerverkehre der Einsatz von Wasserstoff bundesländerübergreifend getestet werden kann, in enger Zusammenarbeit mit Wien Energie, Wiener Netzen und den Wiener Linien“, so VOR-Geschäftsführerin Karin Zipperer. 

Über den Dächern der Stadt
Vor allem in Metropolen in Südamerika und Asien gehören sie bereits zum Portfolio des städtischen Verkehrs: Seilbahnen. Sie geraten wieder in den Fokus von Stadtplaner:innen, bieten sie doch gegenüber anderen Verkehrsmitteln technisch und wirtschaftlich zahlreiche Vorteile. Hierzulande gelten Seilbahnen nur als touristischer Zubringer auf Almen und Skipisten, aber noch lange nicht als Teil des Nahverkehrs.

Einem Seilbahnprojekt auf den Kahlenberg wurde bereits vor Jahren eine Absage erteilt, jetzt geht es um eine Stadtseilbahn in Wien zwischen Hütteldorf und Ottakring, die das Otto-Wagner-Areal an U- und S-Bahn anbinden soll. So steht es zumindest im Koalitionsabkommen von SPÖ und Neos. Die Ergebnisse der geplanten Machbarkeitsstudie sind jedenfalls noch nicht vorhanden. 

Weniger skeptisch ist man diesbezüglich in Deutschland. Hier rechnet das Bundesministerium für Digitales und Verkehr Seilbahnen seit 2020 dem förderfähigen Teil des öffentlichen Personennahverkehr zu. Jetzt beschreibt die deutsche PwC-Studie „Urbane Seilbahnen im ÖPNV. Innovativ, nachhaltig – und ein sinnvoller Lösungsansatz?“ den potenziellen Nutzen von Seilbahnen als Verkehrsmittel. Maximilian Rohs, Senior Manager Infrastructure & Mobility bei PwC Deutschland, sagt: „Luftseilbahnen haben eine hohe maximale Taktdichte, die Unfallwahrscheinlichkeit ist sehr gering, was sie zu einem sehr pünktlichen Verkehrsmittel macht.“ 

Seilbahnen transportieren rund 6.000 Fahrgäste pro Stunde. Das entspricht etwa einer U-Bahn. Demgegenüber können Straßenbahnen etwa 2.000 bis 3.000 Personen pro Stunde bewegen, Busse 600 bis 1.000. Einen weiteren Vorteil sieht er im geringen Bauaufwand. Tunnel und Brücken seien ja nicht erforderlich. Noch größer seien die wirtschaftlichen Vorteile von Seilbahnen bei den Betriebskosten.

Maximilian Rohs weiß: „Sowohl die Personalkosten als auch die Energiekosten sind niedriger als bei allen anderen Systemen. Das liegt vor allem am hohen Automatisierungsgrad. Menschen müssen lediglich den Betrieb überwachen.“ Und Seilbahnen verbrauchen relativ wenig Energie: durchschnittlich nur 5,8 kWh pro 100 Passagierkilometer, bei U-Bahnen sind es 11,6 kWh, bei Straßenbahnen mit 12,5 kWh mehr als doppelt so viel. Inzwischen gibt es zahlreiche Seilbahnprojekte in ganz Europa. Planung und Umsetzung sind unterschiedlich weit fortgeschritten. 

Mobilität im Tourismus
Ansätze, die Mobilität bei gleichzeitiger Reduktion des Verkehrsaufkommens zu erhalten, sind vielfältig. In der Region Semmering-Rax wird kräftig in den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes investiert. Zu den neuen Mobilitätsmaßnahmen zählen ein bedarfsorientierter Kultur- und Wander-Shuttle sowie eine verstärkte Frequenz bei bestehenden Linien. Durch das verringerte Verkehrsaufkommen im Individualverkehr soll zukünftig die Lärmbelastung gesenkt und die Luftverschmutzung reduziert werden. Das Projekt wird, so die Hoffnung, zudem für eine deutliche Entspannung der Parkraum-Situation in der Region sorgen.

Die individuell buchbaren Shuttles lassen sich via App oder direkt in der Unterkunft buchen und bringen die Gäste vom Hotel aus zu Wanderausgangspunkten, Ausflugszielen oder Kulturveranstaltungen in der Region, betont Mariella Klement-Kapeller, Geschäftsführerin der Wiener Alpen in Niederösterreich Tourismus GmbH, und ergänzt: „Damit eine Verkehrswende hin zu einer zukunftsfähigen Mobilität gelingen kann, sind nicht nur neue Mobilitätsinnovationen entscheidend. Es kommt auf die Bereitschaft der Nutzerinnen und Nutzer an, die den Umstieg vom persönlichen Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel vollziehen – eben diese Bereitschaft ist durchaus gegeben.“

Die Zielsetzung in der Region ist klar: die Reduzierung von Staus, CO2-Emissionen, Lärm und Feinstaubbelastung. „Mittlerweile haben über tausend Gäste unsere Shuttles für eine Fahrt zu diversen Kulturveranstaltungen oder Wanderausgangspunkten genutzt. Wir werden unser Angebot daher bis Ende Oktober verlängern“, sagt Christian Blazek, Obmann des Tourismusverbandes Semmering-Rax-Schneeberg.

Autos besser nutzen
Im Durchschnitt lassen die Österreicher:innen ihr zweites Zuhause rund 23 Stunden pro Tag ungenutzt – meist im öffentlichen Raum – herumstehen. Im Sinne einer effizienteren Nutzung von Fahrzeugen und damit auch von Stellflächen haben sich in den letzten Jahren in Österreich mehrere Initiativen etabliert, die Carsharing entweder gewerblich oder in privat organisierter Form umsetzen. Eines der Versprechen: Solange sich die jährlich gefahrenen Distanzen in Grenzen halten, ist Carsharing billiger, als ein eigenes Auto zu besitzen. 

Auch Firmenfahrzeuge stehen die meiste Zeit ungenutzt auf einem Parkplatz. Das möchte die Wiener Kir Group mit „Smartmove“ ändern. Ihr Modell soll es Firmen und Kommunen ermöglichen, ihren bestehenden Fuhrpark einem weiteren Nutzerkreis zu öffnen. Etwa weitere Mitarbei­ter:innen, Familienangehörige oder auch Anwohner:innen im direkten Einzugsgebiet können auf die Autos zugreifen und sie in ungenutzten Zeiten für Besorgungen und kleinere Wege verwenden. Stehzeiten, die bei Firmenautos oft über 60 Prozent betragen, werden deutlich reduziert, vorhandene Autos optimal ausgelastet und durch die Mieteinnahmen im Carsharing wirtschaftlicher betrieben.

„Smartmove ermöglicht es jedem Unternehmen und jeder Gemeinde, bestehende Fuhrparks sinnvoll zu nutzen und die Mobilität der Zukunft zu gestalten, in der weniger Autos auf der Straße rollen und hergestellt werden. Die bessere Nutzung der Ressource Auto erhält den notwendigen Individualverkehr und trägt zur Erreichung der Klimaziele bei“, erklärt Geschäftsführer Florian Löschenberger.

An einer anderen interessanten Idee versucht sich das in Tirol gegründete Start-up ummadum. Mit seiner All-in-one-Mobilitätsplattform werden sämtliche Verkehrsströme des Individualverkehrs und des öffentlichen Verkehrs durch eine Echtzeit-Mitfahrplattform in Form einer mobilen App für alle Verkehrsteilnehmer:innen sichtbar und dadurch nutzbar gemacht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Pendlerverkehr.

„Mit der ummadum-App haben wir ein Tool geschaffen, das es Unternehmen und Städten ermöglicht, Verkehrsströme zu visualisieren, CO2 zu sparen und aktiv nachhaltige Mobilität zu fördern”, erklärt René Schader, CEO. Und wer die App eifrig nutzt und nachhaltige Kilometer zu Fuß, mit dem Rad oder in einer Fahrgemeinschaft zurückgelegt, wird dafür mit Punkten belohnt, die im regionalen Einzelhandel eingelöst werden können.

In den letzten sechs Monaten konnte das Unternehmen enorme Zuwächse verzeichnen. Beispielgebend ist die Gemeinde Wattens: Mit 250 aktiven Nutzer:innen wurden bereits 35.000 km nachhaltig zurückgelegt und über sechs Tonnen CO2 eingespart. Das Bezirkskrankenhaus BKH Kufstein konnte allein im Juni 205 Mitarbeiter:innen zur täglichen Nutzung der App begeistern. „ummadum wird unter unseren Mitarbeiter:innen sehr gut angenommen. Mit über 100.000 Aktivitäten können wir jährlich bis zu 14 Tonnen CO2 sparen”, so Robert Hauser, Mobilitätsbeauftragter des BKH Kufstein.

Künftig soll es auch Belohnungen für Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder fürs Arbeiten im Homeoffice geben. Einen Anreiz, sich als Unternehmen an der Plattform zu beteiligen, setzt künftig die EU-Taxonomie. Ab nächstem Jahr müssen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen nachweisen, welche Maßnahmen sie zur CO2-Einsparung ergreifen. Auch im Bereich der Mitarbeitermobilität. 

Fazit
Künftig wird es wohl „entspannter, nachhaltiger und kreativer“ heißen, wenn wir uns durch die Welt bewegen. Mobilität neu denken, lautet das Credo. Ideen und Initiativen gibt es zuhauf. Nicht alle bedeuten als Einzelmaßnahme den großen Wurf, zusammen können sie der dringend nötige Start in die Zukunft sein. (BS)