Bei der Sicherheitsüberprüfung ihrer Handynetze muss Deutschlands Telekommunikationsbranche nacharbeiten und bereits benutzte Bauteile chinesischer Zulieferer genauer unter die Lupe nehmen. Das Innenministerium hält eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit in Deutschland durch Komponenten von Huawei und ZTE für möglich, geht aus einem Schreiben an die deutschen Netzbetreiber hervor. Sicherheitsrelevante, schon verbaute Teile sollen nun geprüft werden.
Bisher bezog sich diese Prüfpflicht nur auf kritische Teile, die neu eingebaut werden. Mit Komponenten gemeint sind Antennenmodule und Steuerungselemente. Auf welche genau sich die neue Prüfpflicht bezieht, ist noch unklar. In der Branche wird der Standpunkt vertreten, dass es nicht um Antennen gehen könne, da diese nur Daten durchleiteten und die Beeinträchtigung von einigen Antennen nicht wirklich kritisch sei für ein ganzes Handynetz. Bei Servern im sogenannten Kernnetz ist das anders. Diese spielen in der aktuellen Huawei-Debatte aber keine Rolle, da zum Beispiel Vodafone in diesem Netzbereich gar keine Komponenten dieses Herstellers verbaut hat. Die Deutsche Telekom entschied 2019, chinesische Ausrüster aus dem Kernnetz zu nehmen.
Über den restriktiveren Kurs der Bundesregierung hatten mehrere Medien berichtet. Die USA warnen Deutschland seit langem eindringlich vor einer Beteiligung von Huawei am Mobilfunknetz. Mehrere Länder, unter anderem die USA und Kanada, haben Netztechnik von Huawei und ZTE bereits aus ihren Märkten ausgeschlossen. Die USA vertreten die Auffassung, China könne über die 5G-Technik etwa von Huawei Spionage betreiben. Die Firma wies die Vorwürfe stets zurück.
Es gehe um mögliche Sicherheits- und Missbrauchsrisiken, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, am Dienstag in Berlin. "Natürlich geht es auch darum, nicht zu abhängig zu sein von bestimmten Anbietern." Darüber hinaus werde geprüft, "ob es auch weitergehenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt". Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, es gehe hier generell um die Sicherheit der kritischen Infrastruktur, nicht um einzelne Hersteller oder Staaten.
In dem Schreiben, das dpa vorliegt, werden Huawei und ZTE allerdings namentlich genannt. Das Ministerium bittet die Netzbetreiber um eine Liste besagter kritischer Bauteile bis Anfang April. Danach dürfte eine Überprüfung mehrere Monate dauern.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Dienstag, die Frage, ob chinesische Hightech-Komponenten generell aus Netzwerken der kritischen Infrastruktur verbannt werden sollten, könne "nicht abstrakt und generell beantwortet werden". "Es geht um Umsetzung bestehender Gesetze." Institutionelle Zuständigkeiten dazu seien vorhanden. "Und alle machen ihre Arbeit - mehr gibt es nicht zu berichten." Finanzminister Christian Lindner (FDP) formulierte es so: "Wir können nicht abhängig sein von Komponenten einzelner Hersteller. Und erst recht darf nicht kritische Infrastruktur kompromittierbar sein durch Hintertüren", sagte er dem Sender Welt TV.
Mit der Sicherheitsüberprüfung will die Bundesregierung ausschließen, dass China Zugriff auf deutsche Handynetze bekommt und dies ausnutzt, etwa zur Spionage. Mit der Ausweitung des Prüfumfangs will das deutsche Innenministerium nun vermutlich auch das Antennennetz in den Blick nehmen, bei dem die drei deutschen Handynetzbetreiber Deutsche Telekom, Vodafone und O2 unter anderem Huawei-Komponenten verbaut haben.
"Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Bundesregierung China-bezogene Risiken für die nationale Sicherheit endlich ernst nehmen könnte", kommentierte Noah Barkin, Experte für deutsch-chinesische Beziehungen bei der Analysefirma Rhodium. "Aber nach Jahren des Zögerns ist das deutsche 5G-Netz stark von chinesischen Anbietern abhängig. Es wird viele Jahre dauern, dies aufzulösen." Auch Thorsten Benner, China-Experte und Mitgründer der Denkfabrik Global Public Policy Institute (GPPi), ist skeptisch: "Wir haben viereinhalb Jahre lang ernsthaft über Huawei und 5G debattiert und sind immer noch nicht zu einem Ergebnis gekommen." Deshalb hinke Deutschland hinterher.
Huawei hat den Spionagevorwurf mehrfach zurückgewiesen, wollte zu den aktuellen Plänen der deutschen Regierung aber nichts sagen. Die betroffenen deutschen Mobilfunk-Anbieter äußerten sich zurückhaltend. "Die Deutsche Telekom beteiligt sich nicht an politischen Spekulationen und potenziellen Konsequenzen", sagte ein Sprecher des Bonner Konzerns. Außerdem wies er darauf hin, dass sein Unternehmen bereits 2019 entschieden habe, chinesische Ausrüster aus dem Mobilfunk-Kernnetz herauszunehmen. Ein Sprecher der Firma ZTE sagte, die Produkte seien sicher. Man erfülle die deutschen Sicherheitsstandards.
Vodafone Deutschland verwendet eigenen Angaben zufolge im Kernnetz keine Bauteile von Huawei. Lediglich in unkritischen Bereichen kämen Komponenten von diesem Anbieter zum Einsatz. Ähnlich äußerte sich die O2-Mutter Telefonica Deutschland.
Hinter vorgehaltener Hand äußerten Vertreter der Telekommunikationsbranche ihren Unmut über das veränderte Vorgehen des Ministeriums. Obwohl bei den bisherigen Prüfungen keine Sicherheitslücken gefunden worden seien, verschärfe die Politik nun ihre Gangart und weite den Prüfradius wohl deutlich aus.
Finde man technisch keine Sicherheitslücken, könnte die Bundesregierung trotzdem den Ausbau der Bauteile fordern und dies damit begründen, dass Huawei nicht vertrauenswürdig sei, befürchten Branchenvertreter. Die Huawei-Technik auszubauen, wäre ein "Funknetz-Alptraum", den auch die Verbraucher zu spüren bekommen könnten: "Die Netzqualität würde dann sinken."
Ein Sprecher des chinesischen Unternehmens sagte am Dienstag, man habe in den vergangenen 20 Jahren "äußerst verlässlich Technologie in Deutschland und der ganzen Welt geliefert – mit einer sehr guten Sicherheitsbilanz ohne nennenswerte Vorfälle". Selbstverständlich müsse "stets objektiv und sachlich" darüber gesprochen werden, wie Risiken im Cyberspace durch sinnvolle Maßnahmen reduziert werden können", sagte der Huawei-Sprecher. "Beschränkungen eines stets verlässlichen Herstellers mit sehr guter Sicherheitsbilanz gehören aber sicher nicht dazu, Infrastrukturen sicherer zu machen."
(APA)