Über Onlinekurse können Personen aus ganz Österreich an Gebärdensprachkursen teilnehmen. © equalizent/Christine Miess
Das Erlernen von Fremdsprachen ist ausgesprochen sinnvoll. Englisch- oder Spanisch-Kenntnisse sind nützlich, sorgen aber nicht dafür, dass man aus der Masse hervorsticht ...
... Wie wäre es mit einer Sprache, die in Österreich verwendet wird, aber selten in Bewerbungen auftaucht?
Die meisten gehörlosen Menschen verwenden hierzulande Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) als ihre Erstsprache. Informationen sind für Gehörlose in ÖGS am einfachsten zugänglich, noch einfacher als in geschriebenem Deutsch. Wenn ein Unternehmen Dienstleistungen wie beispielsweise Beratung oder Betreuung in ÖGS anbietet, zählen Gehörlose häufig zu den treuesten Kunden. Das zeigen Beispiele wie die Marienapotheke in Wien oder die Gehörlosenambulanzen der Barmherzigen Brüder. Dort arbeitet Personal mit Gebärdensprachkompetenz. Im In- und Ausland haben teilweise bereits Dienstleister wie Banken, Versicherungen, Telekommunikationsanbieter oder auch Restaurants und Cafés die gehörlose Zielgruppe für sich entdeckt.
Bedarf in Dienstleistung, Gesundheit und Sozialbereich
Hörende Personen, die Gebärdensprache beherrschen, können eine Brücke zwischen gehörlosen oder schwerhörigen Kunden und Unternehmen sein. Je nach Position übernimmt man diese Rolle als Sprachvermittler auch in unterschiedlichen Situationen des Alltags, wie in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz. Dafür bietet sich das Belegen von ÖGS-Kursen bis Sprachniveau B2 an. Die Sprachniveaus orientieren sich wie auch in anderen Sprachen am gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen in sechs Stufen von A1 (Anfänger) bis C2 (Experte). Stellen, die explizit Gebärdensprachkompetenz verlangen, werden zum Beispiel von staatlichen Organisationen, Sozialunternehmen, Gesundheitsdienstleistern, aber auch teilweise von der Privatwirtschaft ausgeschrieben.
Eine Ausbildung als Dolmetscher oder Dolmetscherin würde noch darüber hinaus gehen. Der Bedarf ist eindeutig gegeben: Österreich hat mit acht Millionen Einwohnern nur 125 Gebärdensprachdolmetscher. Schweden hat mit zehn Millionen Einwohnern immerhin 600 Dolmetscher. Auch Länder wie Finnland, Dänemark, die Niederlande oder Slowenien haben mehr Dolmetscher im Verhältnis zur Anzahl der Gehörlosen als Österreich.
Lernen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten – online und vor Ort
Einfache Gebärdensprachkurse gibt es an verschiedenen Orten in Österreich. Ein sehr umfangreiches Angebot an Gebärdensprachkursen findet man zum Beispiel bei equalizent in Wien. Über Onlinekurse können hier Personen aus ganz Österreich teilnehmen. Vor Ort in Wien-Leopoldstadt werden unterschiedliche Kurse und Schulungen angeboten. Reguläre Kurse finden an einem Abend pro Woche statt. Bei Intensivkursen in den Semesterferien kann man mit drei Terminen pro Woche intensiver lernen.
Wer es besonders intensiv mag, kann sich für die ÖGS-Diplomlehrgänge bei equalizent anmelden. Im Diplomlehrgang kann man innerhalb weniger Semester B2-Sprachniveau erreichen. Seit 2020 bietet equalizent auch einen weiteren Diplomlehrgang für Personen an, die über B2 hinausgehen wollen und sich in Richtung C1 entwickeln wollen bzw. für eine ÖGS-Dolmetsch-Ausbildung vorbereiten. Wichtig dabei: Die Trainer und Trainerinnen aller ÖGS-Schulungen sind selbst gehörlos.
Neue Chancen für Gehörlose
Das Schulungszentrum equalizent engagiert sich in beide Richtungen und eröffnet gehörlosen Menschen auch neue Möglichkeiten. Denn europaweit liegt deren Arbeitslosigkeitsrate um 70 Prozent höher als jene von hörenden Personen. Seit 16 Jahren arbeitet equalizent daran, das Stück für Stück zu ändern, und bietet Gehörlosen Ausbildungen in Bereichen an, die ihnen zuvor kaum zugänglich waren, wie etwa Pflegehilfe, Mechatronik, Zahntechnik, Kindergartenassistenzpädagogik, Animation, Familienhilfe und jetzt auch Freizeitpädagogik. Trainer und Trainerinnen von equalizent – zumeist selbst gehörlos – bereiten die Teilnehmer unter anderem in Vorbereitungslehrgängen über mehrere Monate konkret auf eine berufliche Fachausbildung vor. Dabei werden auch fachliche Konzepte erklärt und Fachgebärden gelernt bzw. bei Bedarf entwickelt.
Die gehörlosen Teilnehmer des Vorbereitungslehrgangs „Freizeitpädagogik“ haben diesen Sommer ihre acht Monate bei equalizent abgeschlossen. Schon im Herbst geht es für sie los mit dem Hochschullehrgang Freizeitpädagogik an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems in Strebersdorf. Vor Ort werden sie durch Dolmetscher unterstützt sowie in Praktika und im Begleitlehrgang von equalizent durch Kommunikationsassistenz und Trainer.
Aber auch andere, kürzere Fortbildungen, die für Hörende jederzeit zugänglich sind, werden durch equalizent für Gehörlose in ÖGS zugänglich gemacht. Dazu zählen zum Beispiel der Staplerführerschein oder auch ein Erste-Hilfe-Kurs. Das Schulungszentrum equalizent arbeitet bei den meisten Angeboten eng mit Förderstellen zusammen, vor allem dem Sozialministeriumservice (SMS), der Landesstelle Wien und dem Arbeitsmarktservice (AMS).
Österreichische Gebärdensprache ist übrigens eine der drei Sprachen (ÖGS, Deutsch, Englisch), bei denen man den AK-Bildungsgutschein in Höhe von 120 Euro einlösen kann, da diese als beruflich relevant gelten. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, für Gebärdensprachkurse Förderung vom WAFF zu erhalten. Sie sehen also: Es spricht vieles dafür, sich für einen Kurs in Gebärdensprache zu entscheiden. (RNF)
INFO-BOX
Über equalizent
Gebärdensprache, Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit und Diversity-Management sind die Schwerpunkte von equalizent. Das Schulungszentrum in Wien bietet Bildung und Beratung für hörende und gehörlose Menschen sowie für Unternehmen an. Dazu zählen Gebärdensprachkurse. Equalizent hat den Diversity Ball sowie die Ausstellung „HANDS UP – Erlebnis Stille“ erschaffen. 2004 gegründet, arbeiten über 60 Personen in diesem Social Business, davon sind rund 30 Prozent gehörlos. Equalizent ist bilingual, barrierefrei und lebt Diversity im Arbeitsalltag.
www.equalizent.com