Entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und damit auch der entsprechenden Aus- und Weiterbildung kommen im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI besondere Bedeutung zu. © Adobe Stock/Furkan
Künstliche Intelligenz wird großen Einfluss auf Jobs, den Arbeitsmarkt und den Bildungsbereich haben. Wie genau dieser Einfluss aussehen wird, darüber kann nur spekuliert werden.
Fest steht: KI ist ein Werkzeug. Der Umgang damit will gelernt sein.
Digitale Werkzeuge, die sich der verschiedenen Formen dessen bedienen, was heute unter dem Begriff „künstliche Intelligenz“ zusammengefasst wird, sind jetzt schon seit einiger Zeit groß im Kommen. Ihnen wird quer durch die Bank, über alle Branchen hinweg, großes Potenzial zugeschrieben, da sie versprechen, die Produktivität zu erhöhen und die weiterhin knapp bemessenen Arbeitskräfte von sich wiederholenden, fast schon lästigen Arbeitsschritten zu entlasten. So sollen sie in die Lage versetzt werden, sich auf wichtigere, kreativere und wertschöpfendere Aufgaben zu konzentrieren. Eigentlich eine Win-win-Situation, oder?
Noch dazu, wenn man sich den eklatanten Mangel an Arbeitskräften in manchen Branchen vor Augen führt. So hat etwa die Wirtschaftskammer Österreich kürzlich ein Defizit von alleine bis zu 28.000 IT-Spezialist:innen festgestellt. Der sich daraus ergebende Wertschöpfungsverlust soll sich auf bis zu 4,9 Milliarden Euro belaufen. Die unbesetzten Positionen hätten besonders in Wien, dicht gefolgt von Oberösterreich und der Steiermark einen spürbaren Einfluss. Es mangelt nicht an Aufträgen, es fehlen schlicht die Leute.
Produktivitätssprung durch KI
Da käme doch etwas Unterstützung vom „KI-Kollegen“ für überlastete Mitarbeiter:innen gerade recht. Studien, wie etwa das „PwC AI Jobs Barometer 2024“, sprechen sogar von einem regelrechten „Produktivitätssprung“, der sich durch KI erreichen ließe. Dafür hat die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC unter anderem eine halbe Milliarde Stellenanzeigen aus 15 Ländern, davon zehn europäische, analysiert.
Das Ergebnis: Branchen mit hoher KI-Nutzung erleben fast fünfmal höhere Wachstumsraten in der Arbeitsproduktivität. KI könnte somit vielen Nationen ermöglichen, das stagnierende Produktivitätswachstum zu überwinden, den Fachkräftemangel zu lindern und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, sind sich die PwC-Expert:innen sicher.
Auf jede Stellenanzeige, die im Jahr 2012 KI-spezifische Fähigkeiten – wie etwa Expertise in maschinellem Lernen – verlangte, kommen demzufolge heute sieben solcher Anzeigen. Diese Jobs werden in einigen Märkten bis zu 25 Prozent höher entlohnt als andere Berufe. Parallel dazu ändern sich die von Arbeitgebern geforderten Fähigkeiten in Berufen mit hoher KI-Nutzung um 25 Prozent schneller. Um am Arbeitsmarkt gefragt zu bleiben, müssen Arbeitnehmer:innen also neue Fähigkeiten nachweisen oder erlernen.
„KI transformiert den Arbeitsmarkt weltweit und bringt gute Nachrichten für die globale Wirtschaft, die vor tiefgreifenden Herausforderungen steht. Für viele Volkswirtschaften mit Arbeitskräftemangel und niedrigem Produktivitätswachstum bieten die Ergebnisse Optimismus, da die Technologie eine Chance für wirtschaftliche Entwicklung darstellt“, kommentiert Rudolf Krickl, CEO von PwC Österreich, die Studie. „Unternehmen und Regierungen weltweit müssen sicherstellen, dass sie angemessen in die erforderlichen Fähigkeiten von Menschen und Organisationen investieren, um im KI-Zeitalter erfolgreich zu sein.“
Kehrseite der KI-Medaille
Doch die KI-Medaille hat auch eine Kehrseite – und das Thema polarisiert. Während die Wirtschaft positive Effekte erwartet, ist die Bevölkerung weit weniger optimistisch. Das hat etwa eine aktuelle Umfrage des Kreditversicherers Acredia gemeinsam mit Allianz Trade unter 6.000 Personen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Polen und Spanien herausgefunden.
36 Prozent der Befragten sehen mehr Risiken als Chancen. In Österreich ist die Skepsis gegenüber KI mit 41,8 Prozent sogar am größten. Lediglich 21 Prozent haben optimistische Erwartungen. „Die Befragten sehen mehr Risiken als Chancen, wenn es um künstliche Intelligenz geht“, so Michael Kolb, Vorstand bei Acredia. „Die Menschen haben Angst um ihre Jobs und befürchten, dass Einkommensunterschiede verstärkt werden.“
Wenn von erhöhter Produktivität die Rede ist, klingeln bei vielen sofort die Alarmglocken. So erwarten der Umfrage zufolge 46 Prozent der Befragten einen Stellenabbau. In Österreich gehen sogar 48 Prozent davon aus, dass Arbeitsplätze bedroht sind. Gleichzeitig sehen 35 Prozent die Möglichkeit für neue Jobs, in Österreich sind es rund 32 Prozent. „Der Internationale Währungsfonds IWF schätzt, dass 60 Prozent aller Jobs durch künstliche Intelligenz beeinflusst werden“, so Acredia-Vorstand Kolb.
Was das Einkommen betrifft, erwarten die Befragten eine negative Entwicklung. 51 Prozent befürchten, dass Einkommensunterschiede durch die KI verstärkt werden; in Österreich sind es über 54 Prozent. Vor allem Ältere sind dieser Meinung. Nur 26 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sich die Gehälter angleichen werden, in Österreich 20,1 Prozent.
Michael Kolb dazu: „Der Schlüssel liegt nicht darin, Menschen durch KI-Tools zu ersetzen, sondern KI zur Ergänzung und Erweiterung ihrer Fähigkeiten einzusetzen. Dies erfordert massive Investitionen in Aus- und Weiterbildung und eine umfassende Vorbereitung auf neue Arbeitsformen.“
Wie viel ist zu viel?
Künstliche Intelligenz ist eine Universaltechnologie. Sie ermöglicht eine neue Generation von Produkten und Dienstleistungen und kann dazu beitragen, Leistung und Qualität zu steigern. Auf der anderen Seite bergen KI-Systeme Gefahren und Risiken. Daher ist eine Regulierung unabdingbar. Die Frage ist nur, wie viel Regulierung es braucht, ohne die Wettbewerbsposition Europas zu gefährden.
Laut der Studie von Acredia und Allianz Trade sprechen sich 48 Prozent der Befragten für eine strikte Regulierung aus; in Österreich knapp 46 Prozent. Hingegen meinen 32 Prozent, dass eine leichte Regulierung besser wäre, um Europa einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.
„Die Zeit ist reif für künstliche Intelligenz“, so Michael Kolb. „Damit können die Unternehmen dem zunehmenden Arbeitskräftemangel gegensteuern und die Produktivität nachhaltig steigern. Allerdings müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam eine Route festlegen und zwischen Regulierung und freiem Wettbewerb navigieren. Nur dann kann das Potenzial von künstlicher Intelligenz für alle bestmöglich genutzt werden.“
Österreich ist nicht KI-fit
Entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und damit auch der entsprechenden Aus- und Weiterbildung kommen im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI besondere Bedeutung zu. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt, ohne den sich die Potenziale von künstlicher Intelligenz nicht heben lassen. Denn die entsprechenden Werkzeuge brauchen Anleitung und Kontrolle durch Menschen, von allein bringen sie nur wenig Brauchbares zustande.
Zudem schüren mangelnde Kenntnisse über den Stand der KI-Technologie nicht nur überzogene Erwartungen an ihre Nützlichkeit, sondern darüber hinaus auch überflüssige Ängste. Gerade hier gibt es auch in Österreich noch viel nachzuholen.
So hat jüngst das „Digital Skills Barometer 2024“ in der Sonderedition Künstliche Intelligenz (DSB-KI), erhoben von „fit4internet“ – Verein zur Steigerung der digitalen Kompetenzen in Österreich, gewisse Mängel der Österreicher:innen aufgezeigt. Im Fokus der repräsentativen Umfrage standen 2.000 internetnutzende Personen im Alter von 16 bis 87 Jahren aus ganz Österreich.
Das Marktforschungsinstitut bilendi führte die Umfrage im Auftrag von fit4internet und den Co-Herausgebern Wirtschaftskammer Wien, Siemens AG Österreich, ETC-Enterprise Training Center, Cisco und Microsoft Österreich durch. Ganz oben in der Ergebnisliste stehen die Defizite im Grundlagenwissen zu KI und damit in der Basis für eine kompetente, sichere und selbstständige Nutzung von KI-Anwendungen und -Systemen. Österreich droht damit den Anschluss an die digitale Zukunftsfähigkeit zu verlieren.
Eigene Kompetenz überschätzt
Der Erhebung liegt der Kompetenzbegriff zugrunde, der laut Definition von fit4internet „das Verständnis und Wissen, die Fertigkeiten und Einstellung, dieses Wissen anzuwenden, sowie die eigene Wirksamkeit in der Nutzung von Technologien umfasst“. Die befragten Personen schätzen ihr KI-Grundlagenwissen im Durchschnitt als „solide grundlegend“ ein, gehen also selbst davon aus, dass sie über solides KI-Basiswissen verfügen und selbstständig – nur mit temporärer Hilfestellung – einfache KI-basierte Routinearbeiten durchführen können.
Damit überschätzen sie sich allerdings deutlich. Denn tatsächlich erreichen sie dem DSB-KI zufolge durchschnittlich nur die Stufe des elementaren Basiswissens und benötigen direkte Anleitung zur Durchführung einfacher KI-basierter Routinearbeiten.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass 52 Prozent der Befragten keine KI-Anwendungen nutzen. 70 Prozent dieser Personen geben an, nur über mangelndes Wissen zu verfügen und auch sicherheitstechnische Bedenken zu haben. 66 Prozent geben außerdem an, dass sie Datenschutz- und urheberrechtliche Bedenken in der KI-Nutzung haben.
Auch die KI-Fertigkeiten fehlen 61 Prozent der Befragten. Sie würden allerdings KI-Anwendungen nutzen, wenn sie kostenlosen Zugang hätten (60 %), wenn sie in Sachen (Cyber-)Sicherheitsrisiken besser geschult wären (60 %) und wenn sie die Funktionsweise besser verstehen würden (56 %) bzw. sie jemand beim Einsatz von KI-Tools unterstützen würde (55 %). Der letzte Wert korrespondiert mit den sehr geringen Ergebnissen im KI-Wissen (direkte Anleitung notwendig).
Auch wenn bis zu 51 Prozent der Befragten Chancen für die Gesellschaft durch KI-Einsatz sehen, etwa durch Verbesserungen in der Forschung, Effizienzsteigerung in der Wirtschaft oder Optimierung des Verkehrswesens, werden verstärkt hohe bis sehr hohe Risiken beim Einsatz von KI in puncto Cybergefahren (62 %), militärischen Anwendungen (60 %) sowie Überwachung und Kontrolle (59 %) gesehen. In der öffentlichen Verwaltung erkennen 38 Prozent eine Chance für Prozessoptimierung, Servicequalitätsverbesserung sowie Kosteneinsparungen.
Gemäß dem letztem Länderbericht Österreich der Europäischen Kommission zur Digitalen Dekade nutzen gerade einmal elf Prozent der österreichischen Unternehmen KI-Anwendungen und nur 24 Prozent Data-Analytics. Durchschnittlich 50 Prozent der Führungskräfte in österreichischen Unternehmen (mit strategischer, Mitarbeitenden- oder Budget-Verantwortung) sehen bei der DSB-KI-Erhebung die Top-Hemmnisse für den KI-Einsatz in ihren eigenen Unternehmen im „Mangel an Fachwissen“ (57 %), „unklaren rechtlichen Vorgaben“ (54 %) und „Akzeptanz der Mitarbeitenden und des Managements“ (49 %).
Sieht man auf die Mitarbeitendenseite, so geben 28 Prozent der Arbeitnehmenden an, dass KI-Systeme und -Anwendungen in den kommenden fünf Jahren eine hohe bis sehr hohe Relevanz haben werden, zwölf Prozent gehen von keiner Relevanz bzw. 20 Prozent von geringer Relevanz aus. Über 50 Prozent würden KI-Anwendungen dann nutzen, wenn dies ihre Arbeit verbessert und neue oder bessere Ideen für die eigenen Tätigkeiten entstehen.
KI und Lernen
32 Prozent der durch fit4internet Befragten eignen sich ihre KI-Kompetenzen durch regelmäßiges Learning by Doing und 21 Prozent durch Learning on the Job an. Knapp 70 Prozent geben an, dass sie in ihrer bisherigen formalen (Aus-)Bildung nicht ausreichend auf KI-Anwendungen vorbereitet wurden, und 44 Prozent wünschen sich Unterstützung, um mit KI-Anwendungen und -Systemen zurecht zu kommen.
Über 40 Prozent zeigen sich von den unterschiedlichen KI-Anwendungen und Möglichkeiten verwirrt, aber immerhin ein Drittel wäre bereit, KI-Kompetenzen aufzubauen, wenn Staat oder Arbeitgeber dies finanziert. Nur 13 Prozent der Arbeitnehmenden haben sich in den vergangenen zwölf Monaten KI-Kompetenzen im Rahmen einer betriebsinternen Schulung angeeignet, über zwei Drittel nicht.
Der richtige Umgang mit künstlicher Intelligenz will also erlernt sein. Umgekehrt kann KI aber auch beim Lernen unterstützen. Denn gerade im Bildungsbereich ergeben sich durch ihren Einsatz viele Chancen. Auf die einzelnen Lernenden zugeschnittenes Lehrmaterial beispielsweise, also individuelle, maßgeschneiderte Lernpfade. Die Technologie könnte außerdem das Lehrpersonal entlasten, indem sie administrative Aufgaben übernimmt. So bliebe mehr Zeit für die Schülerinnen und Schüler.
KI ist und bleibt aber trotzdem ein Werkzeug in der Hand des Menschen – wie eine Säge, ein Schraubenzieher oder ein Hammer. Mit dem Kauf eines Hammers ist es nicht getan, der Nagel schlägt sich davon nicht von selbst in die Wand. Und wer keine ausreichende Übung hat, schlägt sich damit vielleicht auf den Daumen. Aber auch dann hat er am Ende etwas gelernt. (RNF)