Die Kunst einer guten Führungskraft

NEW BUSINESS Guides - BILDUNGS- & KARRIERE-GUIDE 2024
Jürgen Hürner, Geschäftsführer der Stadtwerke Amstetten GmbH, spricht sich für einen empathischen Führungsstil aus, der niemals auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vergisst. © Patricia Washüttl/Stadtwerke Amstetten

Worauf kommt es wirklich an, wenn man seine Mitarbeiterinnen und ­Mitarbeiter nicht nur halten, sondern ihnen auch einen Sinn in ihrem Tun und eine Perspektive vermitteln will?

Worauf kommt es wirklich an, wenn man seine Mitarbeiterinnen und ­Mitarbeiter nicht nur halten, sondern ihnen auch einen Sinn in ihrem Tun und eine Perspektive vermitteln will? Und wie schafft man es, dass sie sich das Firmenlogo auf die Haut tätowieren lassen?

Strom, Wasser und Mobilität bezieht man in Amstetten von den Stadtwerken, deren Wurzeln bis ins Jahr 1893 zurückreichen. Seitdem ist viel Wasser die Ybbs ­hinabgeflossen, an der die Stadtwerke übrigens ein Laufwasserkraftwerk betreiben. Um auch für die Zukunft gerüstet zu sein, angesichts einer sehr dynamischen Energiewirtschaft, hat man sich vor einigen Jahren für eine umfassende Reorganisation entschieden.

Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Mitarbeiter:innen gelegt. Jürgen Hürner, Geschäftsführer der Stadtwerke Amstetten GmbH, gibt im Interview einen Einblick in das Erfolgs­rezept, das sich zwar nicht einfach „nachkochen“ lässt, aber als Inspiration dienen kann. 

Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich gelesen, dass sich ein langjähriger Mitarbeiter das Stadtwerke-Logo tätowieren ­lassen hat. Das ist Employer-Branding im wortwörtlichsten Sinne. Was machen die Stadtwerke Amstetten richtig?
Da muss ich ein bisschen ausholen, weil dieser Mitarbeiter eine spannende Persönlichkeit ist. Er kommt aus Ungarn und ist die letzten 35 Jahre immer nach Österreich gependelt, um hier zu arbeiten und damit seinen Kindern das Studium zu finanzieren. Er hat zuvor immer Hilfsarbeiterjobs übernommen.

Vor sechs oder sieben Jahren ist er zu den Stadtwerken Amstetten gekommen und hat dort zum ersten Mal von einer Organisation Wertschätzung erfahren. Man war froh, dass er da ist, weil er ein Mensch ist, auf den man sich verlassen kann. Das war es vielleicht, was den Unterschied ausgemacht hat: Wir versuchen, auf egal welcher Stufe immer wertschätzend miteinander zu kommunizieren. Jede Tätigkeit ist wichtig für das große Ganze. 

Das schaffen wir mit unseren acht Abteilungsleitern ganz gut zu kommunizieren und wirklich zu leben. Ein Leitfaden oder ein Leitbild ist schnell gemacht, aber man muss es auch leben. Es ist ein ganz wichtiger Fokus für unsere Führungskräfte, immer darauf zu achten, dass wertschätzend miteinander umgegangen wird.

Das Resultat ist, dass sich dieser Mitarbeiter bei uns wohlgefühlt hat und es für ihn eine tolle Zeit war. Deswegen hat er das auch gemacht, was wir alle spannend gefunden haben. (lacht) Das ist schon wirklich ein starkes Commitment – wobei ich natürlich nicht die Empfehlung ausgebe, dass sich jeder tätowieren lassen sollte. Das wäre ein bisschen too much. 

Eine charmante Geschichte. So etwas wird in kleineren, familiären Unternehmen oft gelebt, kann aber verlorengehen, wenn ein Unternehmen eine gewisse Größe erreicht. Gibt es einen Punkt, an dem ein Unternehmen zu groß ist, um weiter authentisch so agieren zu können?
Meiner persönlichen Meinung nach nicht. Es geht darum, dass gerade die direkten Führungskräfte oder die Abteilungsleiter genau das leben. Man muss als Geschäftsführer oder Geschäftsführerin sehr darauf schauen, dass das wirklich gelebt wird und auch die dementsprechende Ausbildung zur Verfügung stellen. Auch bei der Besetzung oder Nachbesetzung einer Position muss darauf geachtet werden, ob dieser Mensch empathiefähig ist.

Wenn dieser Wert fest verankert ist und das dem Top-Management wichtig ist, gibt es das an die Bereichsleiter weiter, die wiederum an die Gruppenleiter und so weiter. Das haben wir eingeführt. Und das spüren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch.

Und dann sollte man auch als Geschäftsführer oder Geschäftsführerin selbst an den Leuten dran sein – das geht bei unserer Größe noch. Wir haben zum Beispiel Formate, für die wir einmal im Jahr alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kleingruppen einladen und über die Strategie sprechen, über Visionen sprechen, und wo jeder die Möglichkeit bekommt, Fragen zu stellen.

Diese Open-Door-Policy muss man auch leben. Wobei man natürlich aufpassen muss, dass man damit nicht die direkte Führungskraft aushebelt. Man muss einfach einen empathischen Führungsstil einführen, und dann geht das auch für große Unternehmen.

Empathie und Menschlichkeit schon als Anforderung im Recruiting?
Wenn wir auf dieser Ebene Stellen besetzen, dann ist das für uns ein ganz wichtiger Wert. Der zweite wichtige Wert ist strategisches Denken. Und der dritte ist dann erst die fachliche Komponente. Es ist nicht mehr das Hauptthema, dass der beste Techniker, die beste Technikerin diesen Job bekommt, sondern es ist der Mix aus diesen drei Komponenten. Der natürlich nicht einfach ist, das wissen wir. Aber nichtsdestotrotz suchen wir das und bieten auch dementsprechende Unterstützung an.

Wir haben einerseits ein Business-Coaching mit Führungskräfteseminaren und zusätzlich auch eine Psychologin, die zu uns ins Haus kommt und mit der die Leute auch andere Themen besprechen können. Der Mensch besteht aus sehr vielen Facetten. Und umso mehr man sich mit sich selbst beschäftigt, umso besser wird man als Führungskraft. Jeder Mensch, der selbstreflektiert ist, hat die Möglichkeit, eine gute Führungskraft zu werden.

Das Unternehmen ist ein Organismus, so wie der menschliche Körper, und besteht aus vielen Einzelteilen. Der beste Techniker bringt nichts, wenn er nicht im Team arbeiten kann, weil er dann quasi ein Fremdkörper ist.
Es ist wichtig, dass man solche Dinge als Organisation erkennt. Wir haben zum Beispiel einen Ausgliederungsprozess hinter uns. Wir waren Teil der Gemeinde Amstetten, sind jetzt privatrechtlich organisiert, was sehr viele Themen mit sich bringt. Eines der wichtigen Themen, das vorher nicht abgebildet war und das wir implementiert haben, war, dass wir eine Fachexperten­karriere gestartet haben. Bei uns kann man als guter Techniker, gute Technikerin eine Fach­expertin, ein Fachexperte werden, was auf dem Gehaltsschema gleichbedeutend ist mit einem Manager.

Auch der Stellenwert in der Organisation ist ähnlich. Es ist super, wenn wir einen tollen Techniker oder eine Technikerin haben, der oder die zum Beispiel auf das Leitsystem spezialisiert ist. Warum soll die bitte Abteilungsleiterin werden, wo sie sich mit Themen wie Mitarbeiterführung, Strategiemeetings oder Organisatorischem herumschlagen muss, wenn sie mit viel Spaß bei der Sache ist und gerne Bugs im Leitsystem auflöst?

Vorher hatten wir die Situation, dass diese Menschen in Managementpositionen aufgestiegen sind, weil sie dort besser verdienen konnten. Es gab ja nur diesen Weg, und man wollte ihnen damit etwas Gutes tun. Damit hat man dann aber eine gute Technikerin verloren und eine schlechte Führungskraft gewonnen.

Ist das so etwas wie eine Maßnahme gegen das Peter-Prinzip? Das besagt ja ungefähr, dass man so lange in einer Hierarchie aufsteigt, bis man für seine aktuelle Position ungeeignet ist.
Interessante Hypothese. Ich hätte das ein bisschen anders interpretiert. Eher so, dass Menschen immer nach neuen Herausforderungen suchen, bis sie irgendwann einmal überfordert sind. Wenn man von seiner Expertise weg­driftet, erst zu hundert Prozent Techniker ist, dann als Gruppenleiter nur noch zu 70 Prozent Techniker, dann 40 Prozent, dann nur noch zehn Prozent, weil man es auf das C-Level geschafft hat, ist man natürlich überfordert. Weil man von seiner Leidenschaft als Technikerin oder Techniker sehr weit weg ist. Was dann oft passiert, ist, dass diese Menschen Micromanager werden, weil sie gerne auf ihrem Fachgebiet mitdiskutieren wollen. Das ist ein Riesenfehler. 

Ihnen sind also Führung und Empathie wichtig, damit tatsächlich ein funk­tionierendes Team zustande kommt?
Ich glaube sogar, es ist heutzutage notwendig, so zu agieren. Mit der alten hierarchischen Managementform wird es zukünftig schwierig, in einem Dienstleistungssektor erfolgreich zu sein. Die Menschen agieren anders und haben viel mehr Möglichkeiten als damals. Auch die Wechselbereitschaft ist eine ganz andere. Es ist heute gesellschaftlich akzeptierter, zu wechseln. Das war noch vor 40 oder vor 30 Jahren ganz anders. Die Leute sind viel emanzipierter, was das betrifft.

Wie man hört, ist in der Energiewirtschaft die Mitarbeiterfluktuation besonders hoch, trotz guter ­Gehälter. Kämpfen Sie auch damit, oder sind die Maßnahmen, die Sie setzen und gesetzt haben, erfolgreich?
Das ist schwer hochzurechnen, weil wir diesen Prozess der Ausgliederung hinter uns haben. Wir haben von einem Gemeindebetrieb in eine privatrechtliche Struktur umgeswitcht. Das hat eine gewisse Energie erzeugt. Und in dieser Energie haben wir auch Menschen verloren, die gerne bei der Gemeinde bleiben wollten. Das hat sich aber wieder eingependelt. Wir haben im heurigen Jahr eine Wechselrate von 2,3 Prozent. Wir hatten vier Austritte, davon sind drei Pensionierungen. Wir sind also stabil.

Diese Umfirmierung war 2021?
Genau, der Prozess hat insgesamt drei Jahre gedauert, und 2022 wurde er vollendet. Das war ein wichtiger Schritt für uns. Wir waren in einem Gemeindebedienstetenschema eingebettet, das sehr starr ist. Das hat Vorteile, aber für unsere Situation in der Energiewirtschaft, am Energiemarkt, der sehr dynamisch geworden ist, war es zum Nachteil. Wir haben eine sehr dynamische Situation am Markt gesehen und haben eine sehr starre Konstruktion in unserer Organisation vorgefunden.

Die Änderungen waren überlebensnotwendig, weil du heutzutage schnell reagieren können musst – sei es, um neue Stellen auszuschreiben, ein adäquates Gehalt bezahlen zu können, Topleistungen incentivieren zu können und, und, und. Wir haben beispielsweise eine Elektroinstallationsabteilung, in der wir unsere eigenen Fachkräfte ausbilden, und konnten unsere ausgebildeten Fachkräfte nicht halten. Aber wir brauchen unsere Elektriker, die dann ins Verteilnetz gehen – wir sind auch Verteilnetzbetreiber – und dort Erfahrungen sammeln, damit sie dann als Schaltwärter in unserem Laufwasserkraftwerk arbeiten können.

Wir können keine Schalt­wärter am Markt suchen. Unser Netz und unser Kraftwerk sind so speziell, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Jahre dafür ausgebildet werden müssen. Wenn ich irgendwo im Prozess Menschen verlieren, dann ist das für die gesamten Stadtwerke Amstetten ein Thema. Das war einer der Hauptgründe, warum wir andere rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen haben, um dem entgegenzutreten.

Was haben Sie getan, damit in diesem großen Change-Prozess möglichst wenige Ängste unter den Mitarbeiter:innen aufkommen?
Das Wichtigste war, zu kommunizieren. Es braucht natürlich ein gewisses Grundvertrauen. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre bei den Stadtwerken Amstetten, und wichtige strategische Entscheidungen wurden immer kommuniziert. Es gab auch immer die Möglichkeit, Inputs zu geben. Es geht dabei nicht ­darum, immer alle zu überzeugen, sondern darum, mit den Menschen über die Argumente für eine Entscheidung zu reden. Vielleicht sind nicht alle immer für die Entscheidungen, die wir treffen, aber sie wissen zumindest, warum wir etwas machen. 

Wir haben unsere bestehenden Formate genutzt, um zu kommunizieren, warum wir uns ausgliedern und wie die Rahmenbedingungen aus­sehen. Dadurch wurde verstanden, dass es nicht etwa um die Maximierung des Gewinns gegangen ist, sondern darum, dass wir gemeinsam weiterkommen wollen. Wir haben eine 120-jährige Geschichte, die wir immer mit eingebunden haben, und die Ausgliederung war für uns der nächste logische Schritt.

Dazu kommt, dass jeder sich aussuchen konnte, über Personalüberlassung in der alten Welt zu bleiben oder in die neue Welt mitzugehen. Jeder hat sein persönliches Angebot für die neue Struktur auf Basis von Kollektivverträgen bekommen. Und ich habe auch mit unserem HR-Manager alle 126 Übergabegespräche persönlich geführt. Wir haben alle Vor- und Nachteile besprochen, und ich habe mich dafür verbürgt, dass es keine Nachteile für diejenigen geben wird, die in der alten Welt bleiben wollen. Am Anfang haben 30 Prozent gewechselt, bis Ende dieses Jahres kommen wir schon auf 80 Prozent. Das Vertrauen ist mit der Zeit gewachsen.

Ein tolles Signal, das man damit als Geschäftsführer setzt. Das funktioniert aber wahrscheinlich nur bis zu einer gewissen Anzahl an Mitarbeiter:innen.
Da gebe ich Ihnen recht. Was man verstehen muss, ist, dass es, nur weil es bei uns funktioniert hat, nicht automatisch auch woanders funktionieren muss. Weil es andere Menschen sind und es ein anderes System ist. Bei unserer Größe hat es funktioniert, Unternehmen, die größer sind, müssten es anders versuchen. Aber die Grundidee ist trotzdem, Vertrauen aufzubauen und glaubhaft zu bleiben.

Es ist ein toller Effekt entstanden. Viele Menschen haben negativ über das Gemeindeschema gesprochen. Aber ab dem Zeitpunkt, an dem sie sich dafür entschieden haben, zu bleiben oder in die neue Welt zu wechseln, hat jeder seine eigene Entscheidung für sich selbst gut argumentieren können. Am Ende des Tages hatten wir durch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, glücklichere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Sie haben sich aktiv dafür entschieden. Das hat gut funktioniert. Aber es ist sehr viel Aufwand, der oft ein bisschen unterschätzt wird. Wenn man so ein Projekt angeht, hat man sehr viel am Schirm – rechtlich, wirtschaftlich, die Abläufe –, und man vergisst, dass man den Menschen Raum geben muss, Zeit geben muss, zuhören und mit ihnen reden muss. Dabei ist das das Wichtigste.

Wie schafft man es, nicht nur in einer Change-Phase, die Mitarbeiter:innen im Unternehmen zu halten? Über Kommunikation haben wir schon gesprochen. Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig?
Das Erste ist, einen Sinn hinter die Tätigkeit zu stellen. In Ausschreibungen schreiben wir zum Beispiel: „Wir können nicht die ganze Welt retten, wir werden es trotzdem versuchen. Sei Teil des Teams.“ So nach dem Motto. Damit ziehst du grundsätzlich Menschen an, die affin zu dem Thema sind, die einen Sinn dahinter sehen. Das ist ein super Motivator. Man muss dabei aber auch aufpassen. Einen Elektriker oder Wasserleitungsmonteur erwischt man damit vielleicht nicht. Da geht es darum, ein cooles Team zu kreieren.

Damit meine ich, dass man ein Team schafft, in dem ein wertschätzender Umgang miteinander vorherrscht, wo auch Spaß passieren kann. Das schafft man damit, dass die direkte Führungskraft darauf achtet. Wenn die direkte Führungskraft als Vorbild wertschätzend ist, dann ist automatisch das Team wertschätzender.

Man muss auch aufpassen, dass man die Ziele, die man den jeweiligen Teams vorgibt, die KPIs zum Beispiel, so gestaltet, dass ein gewisser Freiraum bleibt. In Organisationen, die sehr von wirtschaftlichen Kennzahlen getrieben werden, ist der Druck sehr groß. Entweder schafft man es als direkte Führungskraft, das abzufedern, oder man ortet die Ziele anders aus. Nichtsdesto­trotz muss man aufpassen, dass dieser Druck dem Team nicht zu sehr übergestülpt wird.

Das Team muss Raum zum Atmen haben. Man muss diese Balance finden und ein Gespür dafür entwickeln. Jedes Team ist anders. Es gibt auch zu viel Freiraum. Aber wenn man es schafft, dass die Leute Spaß bei der Arbeit haben, dann sind sie auch wirklich committet.

Darüber steht die Sinnhaftigkeit des Unternehmens. Am Anfang habe ich sehr auf diese Vision und die Sinnhaftigkeit gepocht. Ein Learning-Effekt für mich war, als in einer der Kleingruppen, von denen ich gesprochen habe, ein Magazineur zu mir gekommen ist und gesagt hat, er findet es super, dass wir die Welt retten wollen – aber er sortiert Steckdosen ein. Er hat gefragt, was sein Beitrag dazu ist. Und natürlich leistet er auch seinen Beitrag.

Aber für ihn sind andere Aspekte wichtiger, wegen denen er gerne zur Arbeit geht – Kolleginnen und Kollegen, Kommunikation im Team, Lagermanagement. Es braucht eine Kombination aus einem guten Teamgefüge, mit einem guten Umfeld und einer Sinnhaftigkeit im täglichen Tun. Damit schafft man es, die Leute zu motivieren. Das Gehalt ist nicht der einzige, ausschlaggebende Faktor. Es darf natürlich nicht zu niedrig sein. Aber auch nicht zu hoch, sonst zieht man wiederum Menschen mit anderen Werten an. Die Motivatoren sind Sinn und Teams-Spirit. Deswegen ist die direkte Führungskraft so wichtig.

Die Ausbildung von Lehrlingen ist wahrscheinlich einer der größten Garanten dafür, später langjährige Mitarbeiter zu haben. Sie bieten zum Beispiel ein MaturaProgramm für ­Lehrlinge an, das vollständig in der Arbeitszeit ermöglicht wird. Wie viele Lehrlinge bilden Sie bei den Stadt­werken Amstetten aus, und können Sie Ihren Bedarf decken?
Wir haben jetzt zwölf Lehrlinge und bilden jedes Jahr zwei bis drei Lehrlinge aus. Das ist genau die Zahl, die wir brauchen. Wenn sie mit der Ausbildung fertig sind, sind sie bei uns eine Zeitlang Elektromonteur. Wenn man dann möchte, kann man als Monteur ins Verteilnetz gehen, zuerst Nieder- und dann Hochspannung. Wenn man sich dort bewährt und das möchte, kann man sich als Schaltwärter für unser Kraftwerk bewerben. Man kann also, wenn man möchte, eine Expertenkarriere bei uns machen.

Was die Lehre mit Matura betrifft, haben wir eine gewisse Symbolik gesetzt. Wir haben das gemeinsam mit der Gemeinde Amstetten um­gesetzt, die auch Lehrlinge ausbildet – toller Synergieeffekt. Jeden Freitag werden bei uns Kurse abgehalten, für die wir unser großes Sitzungszimmer reserviert haben, weil wir den Stellenwert der Ausbildung hochhalten wollen. Für unsere Sitzungen weichen wir dann in einen kleineren Raum aus. Das sind kleine Dinge, an denen die Auszubildenden erkennen, dass das, was sie machen, einen Wert hat.

Es ist schön, wenn sie nach der Ausbildung bei uns bleiben wollen. Aber wenn sie sich anderswo weiterentwickeln wollen, ist das auch in Ordnung. Man muss gesellschaftlich denken. In einem meiner ersten Jahre haben wir jemanden aufgenommen, der Lernschwierigkeiten gehabt und spezielle Betreuung gebraucht hat. Wir wollten diesen jungen Menschen gerne begleiten, und er hat die Lehrabschlussprüfung mit gutem Erfolg bestanden.

Es ist eine tolle Sache, wenn man das miterleben darf und einem jungen Menschen diese Chance fürs Leben geben kann, die er sonst vielleicht nicht bekommen hätte. Gesellschaftlich ist das sehr sinnvoll, weil diese Menschen dann vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft sind und dazu beitragen können. Junge Menschen gut auszubilden, ist ein gesellschaftlicher Auftrag, den jedes Unternehmen wahrnehmen sollte.

Welche Rolle spielt die Weiterbildung von bestehenden Mitarbeitern?
Wir glauben nicht daran, dass jemals ein Unternehmen in den Konkurs gegangen ist, weil es die Mitarbeiter zu viel ausgebildet hat. Wir ermöglichen vieles und haben Richtlinien entwickelt, um das unterstützen zu können. Viele machen berufsbegleitend einen Master, streben ein anderes Studium an oder arbeiten an Diplom­arbeiten, die wir betreuen. Wir versuchen, die Leute aus der Reserve zu locken. Unsere Abteilungsleiter haben das Ziel, die Mitarbeiter zu motivieren, Ausbildungen zu machen – neben den Fachausbildungen, die notwendig sind, wie zum Beispiel Wassermeister­ausbildung für die Trinkwasserversorgung oder andere Dinge.

Nur wenn man sich weiterbildet, schafft man es, seinen Horizont zu erweitern, und findet dann auch andere Lösungen für seine speziellen Probleme. Weil man sich automatisch mit sich selbst beschäftigt. Das ist eine Investition in sich selbst, und das bedeutet auch, dass man für sich selbst wichtig ist. Das ist eine gute Einstellung. Aber da sind wir definitiv noch nicht dort, wo wir sein wollen.

Es braucht einfach manchmal einen Tritt in den Allerwertesten. Gerade, wenn man bequem sitzt.
Aus der Komfortzone rauszukommen, ist nicht ganz einfach, das muss man auch verstehen. Es ist aber erschreckend, wie viele Menschen gedanklich auf die Pension hinarbeiten. Als wäre dann auf einmal alles anders. Das Ziel sollte sein, sein tägliches Tun mit den eigenen Interessen zu verbinden und einen Sinn, im besten Fall vielleicht sogar seine Bestimmung, darin zu finden. Die Kunst einer guten Führungskraft ist es, die Menschen so einzusetzen, dass sie sich entwickeln können. (RNF)


INFO-BOX
Zur Person
Ing. Jürgen Hürner B. Sc. M. A. hat nach ­Abschluss der HTL Waidhofen, Elekro- und Elektronik-Ingenieurswesen, an der FH Oberösterreich Produktion und Management und an der FH Kufstein Tirol European Energy Business studiert. Als Ergänzung zur theo­retischen Ausbildung durchlief er Berufspraktika bei den Firmen Doka GmbH, Voest­alpine und Mondi AG sowie zwei Aus­landssemester an der Sungkyunkwan University in Seoul, Südkorea. In den darauf­folgenden Tätigkeiten als Senior Project Engi­neer bei Doka GmbH sowie Produktmanager bei Fronius International GmbH wirkte er weltweit im Bereich der Ener­giewirtschaft sowie im Kraftwerksbau. Zudem ist Jürgen Hürner ausgebildeter systemischer Businesscoach. Im Juni 2019 übernahm er die Geschäftsführung der Stadtwerke Amstetten.