Hoffnung und Realität

NEW BUSINESS Guides - BILDUNGS- & KARRIERE-GUIDE 2024
Der Weg zur erfolgreichen KI-Integration ­erfordert es, Schritt für Schritt vorzugehen. © Peggy und Marco Lachmann-Anke/Pixabay

Künstliche Intelligenz schürt derzeit eine Goldgräberstimmung. Doch während Unternehmen investieren, schaffen es die meisten Angestellten nicht, den erhofften Produktivitätsschub zu erzielen.

Wie also meistern Unternehmen die Integration von KI?

Während Führungskräfte von den Möglichkeiten der KI schwärmen, zeichnet sich bei den Mitarbeitenden ein ganz anderes Bild ab. Erstaunliche 77 Prozent der Angestellten berichten in einer aktuellen Upwork-Studie von einer erhöhten Arbeitsbelastung durch KI-Tools. Im Gegensatz dazu geben mehr als die Hälfte der Freiberufler an, dass sie keine Probleme haben, mit den Produktivitätsanforderungen der Kunden Schritt zu halten.

Fast die Hälfte der Angestellten gibt zu, ratlos zu sein, wie sie die potenziellen Produktivitätssteigerungen erreichen sollen. Viele Angestellte finden sich in der Situation wieder, mehr Zeit mit der Überprüfung KI-generierter Inhalte zu verbringen oder zusätzliche Stunden in das Erlernen dieser neuen Tools zu investieren. Nicht selten fällt für sie als direkte Folge von KI sogar mehr Arbeit an.

Mangelnde Schulung führt zu mehr KI-Arbeit 
Die Studie nennt auch das Grundproblem dahinter: Es fehlt massiv an Schulungen zur effektiven Nutzung von KI. Das „Digital Skills Barometer“ zeichnet ein ernüchterndes Bild: Nur 10,4 Prozent der österreichischen Bevölkerung zwischen 15 und 74Jahren nehmen jährlich an entsprechenden Weiterbildungen zu digitalen Skills teil.

Die Realität sieht oft so aus, dass Mitarbeitende auf sich allein gestellt sind und sich durch individuelles Ausprobieren oder in Onlineforen weiterbilden müssen. Diese Diskrepanz zwischen den hochfliegenden Erwartungen der Führungsebene und der Überforderung der Belegschaft offenbart ein grundlegendes Problem in der Herangehensweise vieler Unternehmen an die KI-Integration.

Innovation bedeutet Veränderung
Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur erfolgreichen KI-Nutzung ist die häufige Praxis, neue Technologien in veraltete Arbeitsmodelle zu pressen. Dies mindert ihre Effizienz erheblich und verhindert, dass das volle Potenzial ausgeschöpft wird. Dabei wäre es durchaus möglich, dass KI sowohl die Produktivität steigert als auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden durch Entlastung von zeitintensiven Routinearbeiten verbessert. Es braucht ein grundsätzliches Umdenken in der Organisation von Talenten und Arbeit, um die Chancen der KI wirklich zu nutzen.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Österreich noch deutlichen Aufholbedarf hat. Mit nur 28 Prozent der Unternehmen, die eine KI-Strategie verfolgen, hinkt das Land hinter Vorreitern wie den USA, China oder den Niederlanden her. Dabei liegen die Vorteile der KI-Nutzung auf der Hand: Unternehmen, die KI erfolgreich in ihre Geschäftsmodelle integrieren, profitieren von schnelleren Prozessen, höherer Qualität und innovativen Ansätzen.

Typische Beispiele sind die verbesserte Kundenzufriedenheit bei niedrigeren Kosten im KI-basierten Kundenservice, die deutlich beschleunigte Produktentwicklung oder die stabilere und energieeffizientere Produktion. In vielen Bereichen sind Effizienzsteigerungen von über 30 Prozent möglich.

Vor der Nutzung stehen die Skills 
Der Weg zur erfolgreichen KI-Integration erfordert einen strategischen Ansatz und ein systematisches Vorgehen. Wie beim Marathontraining gilt es, Schritt für Schritt vorzugehen und nicht sofort Wunder zu erwarten. Viele Unternehmen bleiben in der Experimentierphase stecken, anstatt den Fokus auf langfristig skalier­bare Lösungen zu legen.

Die Tatsache, dass nur 18 Prozent der österreichischen Angestellten bezahlte Weiterbildungen erhalten, zeigt, dass hier enormes Potenzial brachliegt. Unternehmen müssen erkennen, dass Investitionen in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden genauso wichtig sind wie die in die Technologie selbst.

Vom Experimentieren zur KI-Strategie
Derzeit wird eher zu viel mit KI experimentiert, ohne dabei klare Ziele zu verfolgen und sich auf die langfristige Skalierbarkeit sowie die praktische Anwendung von KI zu konzentrieren. Diese Herangehensweise führt dazu, dass viele KI-Anwendungen in einem Stadium des Experimentierens stecken bleiben und nie ihr volles Potenzial entfalten können.

Jetzt geht es darum, KI nachhaltig in die Unternehmensstruktur zu integrieren und dabei die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Nur so kann eine Situation vermieden werden, in der die erhofften Produktivitätssteigerungen ausbleiben oder sogar ins Gegenteil umschlagen.

Unternehmen, die es schaffen, ihre Mitarbeitenden auf dieser Reise mitzunehmen und sie zu befähigen, die neuen Tools effektiv zu nutzen, werden wachsen. Sie müssen sicherstellen, dass die Implementierung von KI nicht nur kurzfristige Vorteile bringt, sondern langfristig nachhaltig und erweiterbar ist. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass der in die Technologie investierte Aufwand einfach verpufft. (CB)


DER AUTOR
Christoph Becker
ist Geschäftsführer des österreichischen Bildungsanbieters ETC.
Nähere Informationen finden Sie unter www.etc.at