ERP-Modernisierung

NEW BUSINESS Guides - IT- & DIGITALISIERUNGS-GUIDE 2022
Justierungen am bestehenden System oder gleich ein Release-Wechsel? Fest steht: Die Mehrzahl der ERP-Systeme wurde nach der Jahrtausendwende implementiert. © Markus Winkler/Pixabay

Viele bestehende Systeme für Enterprise-Resource-Planning sind mittler­weile in die Jahre gekommen. Jens Krüger, Chief Product Architect bei Workday, erläutert Strategien im Umgang mit ERP-Altsystemen

Während der Pandemie haben Unternehmen schmerzhaft erfahren, dass sie ihre bestehenden Strategien und Prozesse verändern müssen. Die Unternehmens-IT war besonders gefordert, den plötzlichen Umstieg zum digitalen Arbeitsalltag sicher und lückenlos zu gestalten. Und dabei gleichzeitig dem Management die erforderlichen Betriebs- und Finanzdaten immer rascher als Entscheidungsgrundlage zu liefern. Dabei hat sich gezeigt, dass klassische ERP-Systeme oft nicht die Flexibilität und Agilität ermöglichen, die für die Wettbewerbsfähigkeit in Krisenzeiten notwendig sind. Überlegungen zur Modernisierung der bestehenden ERP-Systeme stehen bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Prioritätenliste.

Unterschiedliche Wege der Modernisierung 
Die Mehrzahl der ERP-Systeme wurde nach der Jahrtausendwende implementiert. Justierungen an bestehenden ERP-Installationen, Anpassungen und Konfigurationsänderungen sowie die Erweiterung von einzelnen Funktionen sind beliebte Methoden, um dem akuten Handlungsdruck entgegenzuwirken. Ebenso denken viele Unternehmen über einen Release-Wechsel nach, der von Anbietern oft als zwingende Voraussetzung für einen weiteren Ausbau der ERP-Landschaft betrachtet wird. 

Jens Krüger, Chief Product Architect bei Workday, erklärt dazu: „Herkömmliche On-Premises-ERP-Systeme sind komplex und unterstützen nur unzureichend eine digitale Arbeitswelt. Hinzu kommt, dass jede Änderung an einem bestehenden System eine Reihe von Ressourcen, ein Budget und Zeit für die Implementierung erfordert. Damit wird ein Unternehmen weder agiler noch stärker im Wettbewerb.“

Eine weitere Strategie besteht darin, eine Art Digitalisierungs-Layer über klassische ERP-Anwendungen zu legen. Dabei werden die Daten aus den transaktionalen Systemen genutzt, während die Workflows in einem darüberliegenden System passieren. „Solche Low-Code-Plattformen sind für manche attraktiv, weil sie eine Fülle von Integrationsfunktionen und Programmier- und IAM-Tools bieten“, erklärt Krüger. „Sie können für die nächsten Jahre hilfreich sein. Sie ersetzen allerdings nicht die Kernaufgabe für die Zukunft: die Prozesse im Unternehmen zu verändern und zu digita­lisieren.“

Customizing als Fortschrittsbremse
Unternehmen haben nicht nur viel Budget und Zeit bei der ERP-Einführung aufgewendet, sondern meist auch für die individuelle Anpassung von ERP-Standardprozessen. Krüger dazu: „In vielen Fällen findet ein ERP-Customizing statt, doch meiner Erfahrung nach ist in diesen Fällen ein Standardprozess oft die bessere Alternative, wie zum Beispiel beim Onboarding-Prozess in der HR.“

In vielen Unternehmen ist die IT-Infrastruktur zudem stark fragmentiert, weil Fachabteilungen ihre eigene Software einsetzen möchten. Solche Insellösungen führen in der Regel zu Datensilos. Krügers Urteil: „Customizing ist eine Komplexitäts- und Kostenfalle, die im Extremfall auch zu Schatten-IT im Unternehmen führen kann.“ Die hohen Kosten für die maßgeschneiderten ERP-Anpassungen, der enorme Aufwand bei der Wartung und Modifizierungen von Support- und Upgrade-Prozessen sind Gründe, die gegen die Ersetzung von Altsystemen sprechen. 

Cloud ist nicht gleich Cloud
In der Pandemie hat sich gezeigt: Wer Cloud-Technologie im Einsatz hatte, war schneller handlungsfähig und profitierte von Flexibilität und Skalierbarkeit. Die eigenen IT-Fachleute wur­den entlastet, da sie sich weder um die Infra­struktur noch um Updates oder Erweiterungen kümmern mussten. Zusätzlich waren die Sicherheitsrisiken bei cloudbasierten ERP-Lösungen geringer als beim Zugriff auf Firmenrechen­zentren. 
Nicht nur altbewährte ERP-Anbieter gehen daher den Weg in die Cloud. Auch der Wunsch nach dem Betrieb von ERP-Systemen in einer Public Cloud bei großen sogenannten Hyperscaler-Plattformen wird größer, da man sich dort einen ressourcenschonenden Betrieb verspricht. Es gibt eine Vielzahl von Begriffen rund um Cloud-Computing, wobei die Cloud als Tool, als Plattform oder auch als Software as a Service fungieren kann.

„Bei Workday sprechen wir von einer ‚True Cloud‘ und meinen damit eine Cloud-SaaS-Lösung, die sich durch ihre Architektur unterscheidet. Ein cloudbasiertes ERP muss über folgende fünf Parameter verfügen: ausfallsicher und skalierbar sein, ohne die Geschäftskontinuität zu beeinträchtigen, selbst konfigurierbar und langlebig sein, ohne teure kundenspezifische Entwicklung, offen für andere Systeme, Cloud- und Legacy-Anwendungen, ein ansprechendes Benutzererlebnis ermöglichen und agil sein. Ein ERP von on-premises einfach nur in die Cloud zu hieven, bringt lediglich Vorteile auf der Infrastrukturebene, auf der Software-Ebene ist es immer noch das alte ERP. Das bedeutet, dass das Unternehmen mit den bestehenden Prozessen arbeitet, aber die wirklichen Vorteile von SaaS – wie Agilität, Flexibilität und Innovation – nicht nutzen kann“, erklärt Jens Krüger.

Domain-orientierte ERP-Strategie
Das Hauptziel eines monolithischen ERP-Systems besteht darin, Informationen und Prozesse aus unterschiedlichen Domänen, d. h. allen Abteilungen eines Unternehmens, zu kombinieren und zu einem strukturierten Arbeitssystem zusammenzuführen. „Ich glaube, das ERP der Zukunft wird eine Kombination von echten Cloud-Domain-spezifischen SaaS-Lösungen sein“, so Krüger. In vielen Fachbereichen – Domains – haben sich bereits technologische SaaS-Standards gebildet. Im HR-Bereich wurde HCM durch SaaS-Lösungen als bevorzugte Bereitstellungsoption abgelöst, weil sie neben funktionalen Bereichen auch Analytics, Social Media, Collaboration und Mitarbeiterengagement abdecken können und Self-Service-Funktionen ermöglichen. 

„Die Mehrheit der Unternehmensprozesse findet innerhalb einer Domain statt, ebenso basieren die Reportings und Analysen meist auf Daten innerhalb einer Domain. Auch die abgeleiteten Aktionen finden innerhalb einer Domain statt. Darüber hinaus haben Domains in einem Unternehmen oft unterschied­liche Transformationsgeschwindigkeiten. Eine Domain-orientierte IT-Landschaft, d. h. ein Verbund von domänenspezifischen SaaS-Lösungen, ermöglicht organisatorische Agilität innerhalb der Geschäftsbereiche aufgrund der integrierten Natur der Prozesse und Daten.“

Tipps für die Ablöse von Altsystemen
Jens Krüger ist sich bewusst: „Die Ablösung des traditionellen, monolithischen ERP wird nicht über Nacht geschehen. Die Änderung der Unternehmensarchitektur ist eine Reise, nicht das Ziel. Neue Technologien bieten Unternehmen die Möglichkeit, Prozesse neu zu bewerten und zu überarbeiten. Wer eine echte Cloud-Lösung und alle Vorteile ausschöpfen will, braucht eine Vision für Veränderungen – ein digitales Mindset –, um Geschäftsprozesse und Arbeitsweisen zu verändern.“ 

Es muss aber nicht immer ein radikaler Wechsel von alten Applikationen sein, auch ein sanfter Übergang ist möglich. „Hybride Zwischenschritte werden auch von unseren Kunden genutzt – also die Kombination von on-premises mit cloudbasiertem SaaS.“ Krüger gibt allerdings zu bedenken: „Die Zielarchitektur für die Cloud muss im Mittelpunkt stehen. Wer ein hybrides System betreibt, dem bleiben die Komplexität und Nachteile wie arbeitsintensive Softwarewartung und kostenintensive Implementierungen erhalten.“ 

Sein Tipp für eine schrittweise Modernisierung: „Starten Sie Ihre digitale Transformation mit domänenspezifischen SaaS-Lösungen, zerlegen Sie Ihre bestehende ERP-Landschaft Domäne für Domäne. Lösen Sie diese Domänen aus dem klassischen ERP heraus, um die Transformation zu beginnen und die ERP-Abhängigkeiten Stück für Stück zu reduzieren.“ (RNF)