Dipl.-Ing. Arch. Sabine Erber, Expertin für energieeffizientes Bauen © Markus Gmeiner
Im Projekt „Low-Tech Gebäude“ wurden Konzepte für Gebäude entwickelt, die energieeffizient und wirtschaftlich sind. Sabine Erber, Architektin und Expertin für energieeffizientes Bauen ...
... am Energieinstitut Vorarlberg, ist überzeugt, dass der nachhaltige Gebäudebetrieb vor allem mit weniger Technik auskommen sollte.
Die EU REGIOSTARS Awards, organisiert von der Generaldirektion der EU-Kommission für Regionalpolitik, holen jedes Jahr die innovativsten regionalen Projekte Europas vor den Vorhang: Grünes Europa und Wiederaufbau sowie smarte Transformation für die Menschen sind dabei die großen Themen. Für Österreich ging das Energieinstitut Vorarlberg mit einem richtungsweisenden Projekt für nachhaltige Gebäude ins Rennen.
Signifikanter Aufholbedarf bei energieeffizientem Bauen
Auch wenn das Thema Energieeffizienz in aller Munde ist, herrscht in heimischen Gebäuden noch eklatanter Aufholbedarf. „Ich glaube, dass wir noch nicht ganz den europäischen Standard des Niedrigstenergiegebäudes erfüllen, der notwendig wäre, um die Klimaziele zu erreichen. Die vorherrschende Übergangszeit ist ein bisschen lang, um diese jetzt noch erreichen zu können. Hier müsste auch auf gesetzlicher Ebene sicher nachgeschärft werden“, ist die Architektin Sabine Erber überzeugt.
Die Expertin für energieeffizientes Bauen am Energieinstitut Vorarlberg ist bereits seit mehr als zwanzig Jahren dabei, diesen Wandel voranzutreiben, doch sie beobachtet nach wie vor einen zähen Prozess, insbesondere was das Umdenken in der Bauindustrie betrifft. „Auf der einen Seite gibt es die Spitzenreiter, die der Energieeffizienz sehr viel Aufmerksamkeit schenken und ebenso viel ausprobieren. Auf der anderen Seite steht die breite Masse, die sich hinterherschleppt und diesbezüglich viele Anforderungen scheut, sondern weiterhin möglichst einfach und günstig bauen möchte.“
Länderübergreifende Zusammenarbeit im Bodenseeraum
Um den Wandel weiter zu beschleunigen und wichtige Erkenntnisse zu sammeln, wurde in einer länderübergreifenden Kooperation im Bodenseeraum das Projekt „Low-Tech Gebäude“ ins Leben gerufen. Die lokale Zusammenarbeit ist vorteilhaft, weil es große Überschneidungen bei den klimatischen Bedingungen, den kulturellen Wurzeln und den typischen Nutzern gibt. Das Projekt wurde durch die internationale Bodenseekonferenz 2015 initiiert und durch den EFRE, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, finanziert. Die EU-Regionalpolitik oder Kohäsionspolitik ist das wichtigste Investitionsinstrument der Union und trägt maßgeblich zum Erreichen der Wachstumsziele bei.
Energieeffizienz erfordert das Ineinandergreifen unterschiedlicher Disziplinen
Seit dem Start im Jahr 2015 hat das Projektteam des „Low-Tech Gebäudes“ unter der Leitung des Energieinstituts Vorarlberg, ein Ziel verfolgt: Ein Gebäude zu entwickeln, das energieeffizient und behaglich für die Bewohner ist, jedoch weniger stark gesteuert, automatisiert und technisiert. „Man kann auch mit einer ganz kleinen Heizung auskommen, wenn die Gebäude gut gedämmt sind“, so Erber. Auf die Kühlung des Gebäudes wollte das Team ganz verzichten. Eine Überhitzung ist laut der Expertin nämlich bereits durch die richtige Architektur vermeidbar. „Erst wenn diese an ihre Grenzen stößt, sollte die Haustechnik zum Einsatz kommen. Es wäre wichtig, dass alle Beteiligten von Anfang an an einem Tisch sitzen und sich gemeinsam abstimmen. Dieses Ineinandergreifen der unterschiedlichen Disziplinen wurde in den letzten Jahrzehnten stark vernachlässigt.“
Nachhaltige Dämmung spart Ressourcen
Im Kontext der sogenannten grauen Energie, also jener Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes – oder eines Gebäudes – aufgewendet werden muss, setzt das Low-Tech-Gebäude auf regionale Materialien in der Gebäudehülle. Um größtmögliche Ressourcen zu sparen, sollte diese laut Sabine Erber entweder sehr dick oder gut gedämmt sein. Dafür eignet sich zum Beispiel Stroh, Zellulose, Holzfaser, Hanf oder Flachs. Klassische Dämmstoffe, die in der Bauindustrie zum Einsatz kommen, wie Styropor oder Polyurethan (PU) sind Erdölprodukte, auf die im Sinne der Nachhaltigkeit wenn möglich verzichtet werden sollte. „Wenn keine Wärme durch die Hülle verloren geht, muss man kaum heizen. Je intensiver das Gebäude genutzt wird, umso weniger.“
Weniger Technik, weniger Aufwand
Eine der spannendsten Phasen war für die Architektin die Arbeit in und mit den Pilotgebäuden. Dabei wurden zwei bis drei Gebäude bei laufendem Betrieb pro Projektpartner begleitet. In gemeinsamen Workshops mit Architekten und Gebäudetechnikern wurden wichtige Erkenntnisse zur Enttechnisierung erlangt und wegweisende Entwicklungen vorangetrieben. Viele technische Komponenten, etwa zur smarten individuellen Temperaturregelung, sind aufwendig zu steuern, verbrauchen bei der Herstellung vermehrt Energie und erhöhen sowohl die Baukosten als auch den Endenergiebedarf der Gebäude. Damit stehen sie einem sinnvollen Klimaschutz entgegen.
Die Enttechnisierung von Gebäuden steht aber auch im Gegensatz zum Smart-Home-Trend der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. Dass die Poolbeleuchtung angeht, wenn man sich mit dem Auto dem Haus nähert, ist laut Sabine Erber zwar eine nette Sache, aber keine Notwendigkeit. Außerdem bringen diese Technologien einen erheblichen Wartungs- und laufenden Erneuerungsbedarf mit sich, der gerade in öffentlichen Gebäuden enormen Aufwand und hohe Kosten bedeutet. Konstruktive Materialien sind hingegen sehr lange haltbar und demnach die weitaus sinnvollere Investition. (BO)
INFO-BOX
Über die GD REGIO
Die Generaldirektion für Regionalpolitik und Stadtentwicklung (GD REGIO) ist die Abteilung in der EU-Kommission für regionale und lokale Entwicklung, als Teil der sogenannten EU-Kohäsionspolitik. Ziel ist, dass alle Regionen in der EU zusammenwachsen, damit eine Gemeinschaft entsteht, in der die Menschen in allen Regionen und Städten ihr volles Potenzial entfalten können. GD Regio möchte dauerhafte Verbesserungen in der Wirtschaft sowie in der Lebensqualität für alle Menschen erreichen, egal wo sie leben. Die Leitung von GD REGIO liegt in den Händen von Elisa Ferreira, Kommissarin für Kohäsion und Reformen.
BUCH-TIPP
Wie viel Technik braucht das nachhaltige Haus?
Wie viel Geld wurde für haustechnische Komponenten ausgegeben, die höchstens 20 Jahre lang funktionieren? Diese Frage stellt man sich immer wieder bei der Betrachtung neuer Gebäude. Und die, wie man es anders machen könnte. Über Letzteres haben die Projektpartner nach fünf Jahren intensiver Auseinandersetzung ein gemeinsames Buch veröffentlicht. Viele Praxisbeispiele zeigen darin die Möglichkeiten, technische Komponenten durch gleichzeitige Planung von Architektur und Haustechnik deutlich zu reduzieren.
Das Buch „Low-Tech Gebäude – Prozess Planung Umsetzung“ kann im Broschürenshop des Energieinstituts Vorarlberg sowohl heruntergeladen als auch bestellt werden.
www.energieinstitut.at