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A n einem kalten Februartag brechen in Europa
16 NEW BUSINESS | MÄRZ 2021
alle Stromnetze zusammen. Der totale
Blackout. Der italienische Informatiker
Piero Manzano vermutet einen Hackerangriff
und versucht, zu den Behörden durchzudringen
– erfolglos. Als der Europol-Kommissar Bollard ihm
endlich zuhört, werden dubiose E-Mails auf seinem
Computer gefunden. Selbst unter Verdacht wird Manzano
eins klar: Ihr Gegner ist ebenso raf niert wie gnadenlos.
Unterdessen liegt Europa im Dunkeln, und die
Menschen stehen vor ihrer größten Herausforderung:
Überleben.
Wer meint, in diesen Zeilen den Plot eines Science-
Fiction-Thrillers zu erkennen, hat in diesem Fall vollkommen
recht. In seinem Bestseller „Blackout – Morgen
ist es zu spät“ aus dem Jahr 2012, beschreibt der gebürtige
Wiener, Strategieberater, Kreativdirektor und Standard
Kolumnist Mark Elsberg die beklemmenden Szenen
eines totalen Stromausfalls. Die potenziellen Täter:
falsche Zeit und Desynchronisation. Die erfundene
Geschichte beruht jedoch auf zahlreichen Fakten, die
unsere – mittlerweile noch viel mehr – vernetzte Welt
tatsächlich zum Erliegen bringen können.
Wie ein Störungsfall zum Kollaps führt
Zu dem weltweit größten bisher bekannten Stromausfall,
der über 600 Mio. Menschen betraf, kam es 2012
in Indien. 2015 el in beinahe allen 81 türkischen Provinzen
für ungefähr acht Stunden der Strom aus und
ließ rund 76 Mio. Einwohner ohne Energieversorgung.
Im Juni 2019 legte ein Stromausfall in Argentinien und
Uruguay weite Teile des öffentlichen Lebens lahm. Und
am 8.Jänner 2021 schrammte Europa und damit auch
Österreich infolge einer Netzüberlastung in Südosteuropa
knapp an der Katastrophe vorbei. Die Gefahr eines
totalen Blackouts ist nämlich auch im europäischen
Stromnetz trotz hoher Versorgungssicherheit nicht
auszuschließen. Davon ist auch Herbert Saurugg überzeugt.
Der Blackout-Experte und Präsident der Österreichischen
Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV)
beobachtet die steigende Fragilität des europäischen
Verbundsystems bereits seit einigen Jahren – aus triftigen
Gründen.
Zum Einen wurden durch die Strommarktliberalisierung
ab der Jahrtausendwende die vormaligen Energieversorgungsunternehmen
in einzelne Kraftwerks-, Netz-
sowie Vertriebsgesellschaften aufgesplittet. Der sogenannte
„Energy-only-Market“, der im Gegensatz zum
Kapazitätsmarkt nur die tatsächlich erzeugte Energie
und nicht die Bereitschaft zur Stromerzeugung vergütet,
braucht de nitionsgemäß keine Rücksicht auf physikalische
und infrastrukturelle Voraussetzungen nehmen.
Eine Freiheit, die ihren Preis hat. Denn dafür
müssten grenzüberschreitende Last üsse von mindestens
70 Prozent ermöglicht werden, wofür das System
nie gebaut wurde. Was im Alltag zu einer Kostensenkung
1
Die bislang sehr
hohe Versorgungssicherheit
wiegt uns in
einer gefährlichen
Sicherheit.