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Kein Weg zurück

NEW BUSINESS Export - NB EXPORT 2/2018
Großbritannien zählt zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Österreichs. © Pixabay

Der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU wirft seine Schatten voraus: ­Hamsterkäufe, sinkende Kaufkraft sowie rückläufige Profitabilität aufgrund verunsicherter Unternehmen ...

... Und der Point of no Return rückt immer näher.

Nach 45 schwierigen Jahren steht die „Ehe“ zwischen Großbritannien und der Europäischen Union kurz vor dem Aus. Im Vorfeld des geplanten Brexits am 29. März 2019 standen Diskussionen über unterschied­liche Austrittsszenarien auf der Tagesordnung.
Die im Oktober veröffentlichte Studie des führenden Kreditversicherers ACREDIA Euler Hermes mit dem Titel „Brexit: A blind date better than a bad breakup“ hat diese unter die Lupe genommen und ist den Konsequenzen für österreichische Exporteure auf den Grund gegangen.

Österreich: vier Milliarden Euro Exportvolumen
„Das Vereinigte Königreich ist mit rund vier Milliarden Euro Exportvolumen unter den Top Ten der österreichischen Handelspartner. Besonders betroffen sind dabei die Sektoren Maschinenbau und die Automobilzulieferindustrie. Das Datum für eine Entscheidung, in welcher Form sich der Brexit ereignen wird, rückt immer näher, daher sind die Exporteure bereits jetzt gefordert, ihre Verträge im Hinblick auf einem etwaigen Brexit zu überprüfen und diese entsprechend anzupassen. Dies betrifft vor allem Zollbestimmungen und eine etwaige Ausstiegsklausel, falls sich die kommerziellen Bedingungen stark verändern“, kommentiert Ludwig Mertes, ACREDIA-Vorstand, die verschiedenen Szenarien.

Anhaltende Diskussionen kosten bis zur Einigung jedes Quartal 0,1 Prozent­punkte an Wirtschaftswachstum
„Dass noch immer keine Einigung in Sicht ist, verunsichert Wirtschaft und Unternehmen“, so Mertes weiter. „In Kombination mit der sehr polarisierten politischen Landschaft in Großbritannien sind das keine guten Vorzeichen im Brexit-Scheidungsprozess. Selbst Neuwahlen vor März 2019 können wir aktuell nicht ausschließen, denn Mehrheitsverhältnisse sind denkbar knapp und die Debatten auf der Insel hitzig. Vermutlich wird es dazu nicht kommen, aber die Möglichkeit trägt dennoch erheblich zur allgemeinen Verunsicherung bei.“
Diese Unsicherheit dürfte nach Berechnungen der ­ACREDIA-Experten bis zu einer Einigung jedes Quartal bis zu 0,1 Prozentpunkte des britischen Wirtschaftswachstums kosten. Insgesamt erhält das Wirtschaftswachstum also einen weiteren Dämpfer, und die Volkswirte gehen beim britischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch von einem Zuwachs von 1,3 Prozent für 2018 und 1,2 Prozent für 2019 aus.
„Das britische Pfund gerät zunehmend unter Druck. Die Kaufkraft der Briten sowie der Konsum sind dadurch rückläufig. Am stärksten leiden jedoch die Unternehmen. Ihre Profitabilität und ihre Gewinnmargen sind im Sog des Pfunds dahingeschmolzen“, sagt Mertes. „Um ganze 2,5 Prozentpunkte sind die Unternehmensmargen seit Anfang 2016 geschrumpft – und vorerst ist kein Ende abzusehen. Die Abwertung der Währung geht im Brexit-Karussell in den kommenden Monaten erst einmal weiter, die Löhne steigen gleichzeitig an. Um die verbleibenden Margen zu sichern, werden sich britische Unternehmen wohl zunehmend nach lokalen Lieferanten umsehen.“
Das gilt insbesondere für Branchen, die stark vom Import abhängig sind: die Automobil- und Chemiebranche, der Maschinen- und Anlagenbau, der Einzelhandel und die Lebensmittelbranche. Vereinzelt dürften sich aber lokale Kapazitäten ergeben, da europäische Unternehmen ebenfalls vermehrt versuchen, britische gegen europäische ­Lieferanten auszutauschen.

Unternehmen horten Importware, um Lieferkette zu sichern
„Wir sehen außerdem zunehmend Hamsterkäufe – wie nach einer Sturmwarnung“, sagt Ludwig Mertes. „Um mögliche Zölle, Verzögerungen oder gar Unterbrechungen der Lieferkette zu vermeiden, horten britische Unternehmen immer mehr Importwaren, die sie für ihre Produktion dringend benötigen. Sie wollen vorbereitet sein. Zusätzliche Zollkontrollen und Staus wären für ihre Lieferkette ein Desaster. Diese Hamsterkäufe sollen zwar ihre Margen und Produktion zunächst absichern, sie bergen gleichzeitig aber auch bilanzielle Risiken – für die Unternehmen selbst und indirekt für ihre Lieferanten.“

Rosenkrieg: Britische Exporteure wären die größten Verlierer bei „No Deal“
Im Falle eines „No Deal“-Szenarios würden die Regeln der World Trade Organization (WTO) greifen und etwa vier bis Prozent Zölle auf ­beiden Seiten anfallen. Das britische Pfund würde in diesem Fall massiv abwerten und bis Ende 2019 auf voraussichtlich 0,88 Euro f­allen. Exportverluste wären die Folge.

Deal in letzter Sekunde erwartet: Für Unternehmen ein „Blind Date“ mit Überraschungen
„Angesichts der anhaltenden Diskussionen auf beiden ­Seiten wird es aber vermutlich eine Einigung auf den ­letzten Drücker geben“, sagt Mertes. „Für Unternehmen ist das wie ein Blind Date, denn sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Das kann im Detail positive oder auch böse Überraschungen bereithalten. Dennoch ist es für sie immer noch ­besser als eine unschöne Trennung.“
Ein solcher „Last-Minute-Deal“ im Jänner 2019 könnte den Weg ebnen für eine Übergangsphase bis Ende 2020, in der zunächst beim Handel mit Gütern und Dienstleistungen sowie bei den Grenz­kontrollen alles beim Alten bleibt. Die Märkte würden sich mit einer Einigung merklich ­entspannen. Der Wechselkurs ­zwischen Britischem Pfund und Euro würde voraussichtlich wieder auf etwa 1,14 klettern nach einem erwarteten Tiefstand zwischen 1,06 bis 1,09 bis zum Jahresende 2018 (das entspricht einer monat­lichen Abwertung von rund drei Prozent).

Deutscher Handel mit Groß­britannien bricht ein
Auch in Deutschland wirft der bevorstehende Brexit bereits dunkle Schatten voraus. Wie die aktuelle Ausgabe des Export-/Import-Seismografen Deutschlands (ESD/ISD), der die deutschen Außenhandelsströme analysiert, zeigt, sind die negativen Folgen des Austritts bereits viele Monate vor dem Tag X in aller Deutlichkeit zu spüren. Im ersten Halbjahr 2018 brachen die deutschen Exporte nach Großbritannien gemessen am Gewicht gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 8,1 Prozent auf 8,7 Millionen Tonnen ein. In die umgekehrte Richtung wurden 7,6 Millionen Tonnen Güter gehandelt – das sind sogar 15,2 Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2017.
„Die Delle im Handel mit Großbritannien verdeutlicht die Herausforderungen, mit denen Unternehmen sich ­konfrontiert sehen, wenn Handelsgrenzen aufgebaut ­werden: Supply-Chains müssen umgebaut werden, um weiter im Wettbewerb bestehen zu können“, sagt ­Christian Kille vom Institut für angewandte Logistik (IAL) der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Dieses gibt den ESD/ISD gemeinsam mit dem Softwarehaus AEB ­heraus. „Deutsche Unternehmen suchen Alternativen zu ihren britischen Lieferanten und probieren diese ­bereits aus. Das gilt auch für zahlreiche britische Unternehmen, die gleichzeitig ihre Produktion zurückfahren, weil sie nach dem Brexit weniger Absatzchancen in der EU sehen“, ergänzt Ulrich Lison, Außenwirtschaftsexperte bei AEB.

Europäische Parlamentarier warnen vor hartem Brexit
Auch wenn das britische Parlament zu Redaktionsschluss noch nicht zugestimmt hat, ist man mit der Verabschiedung des Austrittsvertrags am Brexit-Sondergipfel am 25. November 2018 der endgültigen Scheidung wieder ein Stückchen nähergekommen.
Wie es nach der Einigung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien und den dadurch ausgelösten innenpolitischen Turbulenzen in London mit dem Brexit weitergehen soll, damit beschäftigte sich auch die ­COSAC-Konferenz – die Konferenz der Europaausschüsse der ­nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments –, die im Rahmen der ­parlamentarischen Dimension der österreichischen Ratspräsidentschaft im Austria Center Vienna tagte.
Danuta Hübner, die Vorsitzende des Ausschusses für ­konstitutionelle Fragen im Europäischen Parlament, warb für das Abkommen, das ihrer Meinung nach Rechtssicherheit für alle gewährleistet, während der Abgeordnete des britischen Unterhauses Sir William Cash schwere demokratiepolitische Bedenken gegen die Einigung anmeldete und meinte, das Vereinigte Königreich habe gute Gründe, die EU zu verlassen. Sein Kollege vom House of Lords, Timothy Boswell of Aynho, warnte hingegen, ein No-Deal wäre das schlimmste Ergebnis für alle Beteiligten. Unter den Abgeordneten überwog in der Debatte das Bedauern über den Austritt Großbritanniens, aber auch der Wunsch nach weiterhin möglichst freundschaftlichen und engen Beziehungen über den Ärmelkanal hinweg.

Hübner: Abkommen ist beste Option für alle
Sie bedaure die Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, schickte Danuta Hübner voraus und meinte, ein Austritt, der auf einem Abkommen basiert, sei nun für alle die beste Option. Bei der Einigung vorige Woche seien jedenfalls entscheidende Fortschritte erzielt worden, gelte es doch vor allem, die Störungen für Bürger und Unternehmen zu minimieren und darüber hinaus sicherzustellen, dass es keine harte Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und Irland geben wird.
Die Europäische Union und Großbritannien sollen gute Nachbarn bleiben und möglichst enge Beziehungen aufrechterhalten, damit die zahlreichen gemeinsamen ­Interessen auch weiterhin gefördert werden können, unterstrich Hübner den Hintergrund der Vereinbarung, die ihrer Überzeugung nach Rechtssicherheit für alle garantiert und damit die Basis für eine neue Beziehung zwischen den beiden ehemaligen Partnern in der Zukunft bilden könnte. Klar ist für die Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen im Europäischen Parlament allerdings, dass das letzte Wort beim britischen ­Parlament liegt. Deshalb brauche es auch Notfallmaß­nahmen mit dem Ziel, die Folgen eines No-Deals abzu­mildern, gab sie zu bedenken.

Cash: Einigung für Großbritannien nicht akzeptabel
Das Vereinigte Königreich habe gute Gründe gehabt, die Europäische Union zu verlassen, bekräftigte Sir William Cash und übte heftige Kritik an der Einigung zwischen Brüssel und London. Die Parteien hätten klargemacht, dass dieses Abkommen nie durch das Unterhaus gehen werde, die Zahlen würden nicht für die Regierung reichen. Für Cash zeigen allein schon die vielen Rücktritte aus Mays Kabinett, dass zentrale Punkte der Einigung, wie etwa die Regelung über die Grenze mit Irland oder auch die Übergangsbestimmungen, keine Unterstützung finden.
Als völlig undenkbar für sein Land bezeichnete es der Vertreter des Unterhauses, dass dem britischen Parlament durch die Vereinbarung nun Gesetze von außen aufgezwungen werden. Dies stehe im klaren Widerspruch zu einem entsprechenden Gesetz aus dem Jahr 1972 und verstoße darüber hinaus gegen sämtliche demokratische Grundvorstellungen Großbritanniens, argumentierte Cash, der überdies davon ausgeht, dass es kein zweites Referendum geben werde. Was die zukünftigen Beziehungen zur EU betrifft, meinte er, die beiden ehemaligen Partner werden zwar nicht Geschwister, aber jedenfalls Cousins in Europa bleiben. Das Vereinigte Königreich habe in Europa über die Jahrhunderte hinweg immer für Freiheit und Demokratie gekämpft und werde dies auch weiter tun, fügte er an die Adresse der Kollegen aus den europäischen Parlamenten an.

Lord Boswell warnt vor No-Deal
Als engagierter Proeuropäer ersuche er um Verständnis für sein Land, wandte sich Lord Timothy Boswell in seinem Statement an die Abgeordneten. Das Referendum sei der Gipfel einer 40 Jahre dauernden Diskussion gewesen, es verschärfe nun die Spaltungen im Vereinigten Königreich und führe zu einer gefährlichen Destabilisierung, lautete sein Befund. Auch Boswell wandte sich gegen ein zweites Referendum, durch das die Emotionen nur noch weiter hochkochen würden, meinte aber, ohne ein Umdenken könne man einen derart drastischen Schritt wie den Austritt nicht mittragen. Er appellierte an die Geduld Europas, zumal die Entwicklung nur schwer vorauszu­sehen sei und das Trauma jedenfalls weitergehen werde. Keine Seite in der Debatte sollte aber die Brücken abreißen, steht für ihn fest. Ein No-Deal wäre für alle Beteiligten das schlimmste Ergebnis – nicht nur für Großbritannien, sondern auch für Irland und die Bürger der Europäischen Union.
Was immer die Zukunft nun bereithalte, wir müssen die engen Beziehungen zueinander weiter pflegen, mahnte Lord Boswell. Er sprach von einem gemeinsamen Erbe und gemeinsamen demokratischen Werten und erinnerte, dass hinter der Fassade der Brexit-Diskussion die konkreten Interessen der Bürger liegen.

Abgeordnete gegen Abbruch der Brücken zu Großbritannien
In der anschließenden Diskussion der Abgeordneten herrschte vor allem Bedauern über die Brexit-Entscheidung vor, wobei ein Teilnehmer aus Deutschland feststellte, der beste Brexit wäre kein Brexit. Aus Zypern und aus Tschechien kam der Wunsch, das Vereinigte Königreich sollte trotz des Austritts möglichst enge Beziehungen mit der EU aufrechterhalten. Die Briten werden auch weiterhin Bürger Europas bleiben, meinte etwa ein italienischer Abgeordneter. Ein Schweizer Mandatar, der als Beobachter an der Konferenz teilnahm, erinnerte, sein Land habe ­gezeigt, dass eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit der EU auch ohne Mitgliedschaft möglich sei. Ein Parlamentarier aus Estland betonte, die Brücken dürften nun nicht abgerissen werden, was auch sein Kollege aus Finnland mit der Hoffnung bekräftigte, dass man auch nach dem Brexit Freunde bleiben werde.
Aus Bulgarien, Polen und Portugal kam vor allem das ­Anliegen, die in Großbritannien lebenden EU-Bürger vor den Auswirkungen des Brexits zu schützen. Ein Vertreter aus Irland wies auf die Bedeutung einer offenen Grenze seines Landes zu Nordirland hin und appellierte an das britische Parlament, das Abkommen zu unterstützen. ­Solidarität für Irland kam auch aus Frankreich und Deutschland. (BO)