Mit Herz und Hirn!

NEW BUSINESS Innovations - NR. 09, NOVEMBER 2021
Auch bei Schneider Electric am neuen Wiener Standort gilt „New Way of Working“. Damit wird die Arbeit nach Tätigkeit und nicht nach dem Arbeitsplatz strukturiert. © Robert Tober

Karl Sagmeister, Geschäftsführer von Schneider Electric, spricht darüber, warum Technologie bei der Nachhaltigkeit hilft, dass offene Strukturen mehr Erfolg versprechen ...

... und dass man mit dem Einsatz von Herz und Hirn bessere Lösungen schafft.

Die letzten eineinhalb Jahre haben uns gezeigt, wie flexibel man Arbeitsplätze gestalten kann. Schneider Electric setzte schon vor Beginn der Pandemie auf ein modernes, durchdigitalisiertes Arbeitsumfeld. Wie sieht das aus?
Schneider Electric hat eine eigene, weltweit ausgerollte Workplace 2.0 Policy. Wir nennen das Projekt New Way of Working. In Österreich haben wir schon zwei Jahre vor dem Umzug an unseren neuen Standort in Wien im Jänner 2020 mit der Einführung von Homeoffice für alle Mitarbeitenden begonnen. Wir sind von einer Einzelbüro- mehr oder weniger in eine Open-Office-Welt mit Shared Desks umgesiedelt. Dafür haben wir Inseln für die unterschiedlichen Abteilungen geschaffen, zwischen denen sich die Mitarbeiter frei bewegen können. Damit haben wir die Arbeit nach Tätigkeit und nicht nach dem Arbeitsplatz strukturiert. 

An Klimaschutz und Nachhaltigkeit kommt auch kein Unternehmen mehr vorbei. Schneider Electric hat bereits vor drei Jahren verkündet, als Unternehmen bis 2025 klimaneutral zu sein. Wie weit sind Sie in Österreich gekommen? 
Ja, das Thema Nachhaltigkeit ist uns extrem wichtig. Wir haben etwa ein komplett neues Mobilitätskonzept inkl. Förderungen für die Mitarbeiter ausgearbeitet. Am höchsten fördern wir die Jahreskarte der Wiener Linien – die ist kostenlos, gefolgt von den Bahntickets für alle aus dem Umland, und am geringsten fördern wir einen eigenen Parkplatz. Dadurch haben wir es geschafft, dass 50 Prozent der Mitarbeiter vom eigenen Auto auf den öffentlichen Verkehr umgestiegen sind. Das ist gewaltig.

Parallel forcieren wir das Umstiegsprogramm von Schneider-Diesel zu Schneider Electric. Hier stellen wir 100 Prozent unserer Fahrzeugflotte bis 2025 auf Elektromobilität um. 

Sie haben den neuen Standort angesprochen. Der Gebäudeautomatisierung kommt im Sinne der Energieeffizienz ein wichtiger Stellenwert zu. Was ­haben Sie in Wien umgesetzt?
Wir haben klein mit unserer eigenen Fläche begonnen, die wir komplett mit Schneider-Electric-Equipment ausgestattet haben. Unter anderem auch mit einer neuen Softwarelösung, die durch Corona nochmal sehr viel an Bedeutung gewonnen hat: der Schneider Electric Workplace Advisor. Dieses Tool hilft uns, das vorhin angesprochene Space-Management proaktiv zu gestalten und auch die Sicherheit und den Komfort der Mitarbeiter extrem zu verbessern. Da werden Arbeitsplätze mit Sensoren bestückt, die die Luftqualität oder den Lärm messen. Damit können wir sehr gut korrelieren zwischen dem, wo sich Mitarbeiter gerne aufhalten und wo nicht oder welche Arbeitsplätze gereinigt werden müssen, weil sie benutzt wurden.

Das ist ein ganz spannendes Tool, auf das unser Vermieter und das Facility-Management aufmerksam geworden sind. Mittlerweile läuft unser Energiemanagementsystem im gesamten Business Park. Jetzt kümmern wir uns auch um die Elektromobilität in den öffentlichen Tiefgaragen sowie im Mieterbereich. Wir tasten uns also Stück für Stück vor. Solche Use Cases zeigen, was mit Technologie möglich ist und dass man sehr, sehr viel Effizienz gewinnen und Kosten sparen kann.

"Use Cases zeigen, was mit Technologie möglich ist
und dass man sehr, sehr viel Effizienz gewinnen und
Kosten sparen kann." Karl Sagmeister, Geschäftsführer
Schneider Electric Österreich © Schneider Electric

Es ist eindeutig ein Digitalisierungsschub zu erkennen. Was ist besonders hervorgestochen?
Genau, die Automatisierung und Digitalisierung hat einen massiven Schub erhalten. Aus unserer Sicht waren die Hauptapplikationen alles rund um das Thema Fernzugriff. Anlagen waren ja lange Zeit nicht betretbar und damit waren auch herkömmliche Servicemodelle obsolet. Alles, was remote möglich war, hat an Bedeutung zugenommen. Bei Schneider Electric nennen wir das „Remote Everywhere“. Wenn man Anlagen von der Ferne überwachen und warten möchte, dann braucht man natürlich Sensorik und IoT. Das hat alles ineinandergegriffen.

Wir haben aber auch gesehen, dass man sehr schnell an die Grenzen von proprietären Systemen stößt, weil nicht jeder Hersteller immer die aktuellsten Lösungen parat hat. Und da wurde von vielen Seiten der Ruf nach herstellerunabhängigen Systemen, insbesondere auf Software- und Serviceebene, laut. Mit unserem EcoStruxure Automation Expert hatten wir darauf eine sehr gute Antwort. In der Coronakrise hat uns das geholfen, schneller in die Applikationen zu kommen.

EcoStruxure Automation Expert ist seit letztem Jahr auf dem Markt. Was erhalten Kunden mit diesem ­Produkt?
Mit EcoStruxure Automation Expert setzt Schneider Electric die Idee einer vollständig offenen, auf dem IEC-61499-Standard basierenden Automatisierung um. Wir sind der Meinung, dass proprietäre Systeme den Innovationsschub der vierten Industriellen Revolution bremsen und die Produktivität und Agilität einschränken. Man muss die Automatisierung komplett neu denken. Und man kann sie auch neu denken. Dabei folgen wir dem Ansatz der Hardware-Unabhängigkeit.

Die Einführung einer standardisierten, herstellerübergreifenden und einheitlichen Automatisierungsschicht bietet der Industrie nahezu grenzenlose Möglichkeiten, um zu wachsen. Dazu müssen wir unsere Plattformen öffnen, die Software von Hardware entkoppeln sowie die Agilität und die Skalierbarkeit der Systeme verbessern.

Warum propagiert Schneider Electric diese offenen Strukturen? 
Wir gehen den Weg hin zu einem offenen System schon sehr lange. Und wir arbeiten seit Jahrzehnten mit einem Ecosystem an Partnern. Warum machen wir das? Weil uns unsere Partner die Möglichkeit geben, unendlich viele Aufträge abzuarbeiten. Und diese Partner haben uns schon lange kommuniziert, möglichst offen, möglichst breit arbeiten zu wollen, um für die jeweilige Applikation das beste Produkt, die beste Software nehmen zu können, und nicht nur ein Produkt einzusetzen, weil es schon 50 andere installiert haben. 

Um unser Netzwerk aus Partnern, Kunden und Dienstleistern noch weiter zu stärken, haben wir auch unser eigenes, digitales Ökosystem geschaffen. Über unsere Co-Innovationsplattform Schneider Electric Exchange ist es zum Beispiel möglich, Fachwissen und Best Practices auszutauschen oder neue Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Außerdem stellen wir – wie auch unsere Kunden und Partner – Datensätze, Programmiermodule und Apps zur Verfügung, die man ausprobieren und erwerben kann.

Das alles hilft der Community, neue Ideen zu entwickeln, neue Softwareentwicklung voranzutreiben oder Servicemodelle zu verwirklichen. In so einer Gemeinschaft entsteht einfach viel mehr, als wenn man sich nur auf sich konzentriert und mit Scheuklappen stur vorangeht. Auch die Kunden sind offener geworden. 

Wir beschäftigen uns schon seit knapp zehn Jahren mit dem Thema Industrie 4.0. Was ist denn Ihrer Meinung nach der aktuelle Stand der Dinge?
Die Grundlage für Industrie 4.0 waren und sind die Sensorik, die Vernetzung und die Digitalisierung. Das haben wir großteils geschafft. Heute gibt es kaum mehr Maschinen, Prozesse, Anlagen, die nicht mit Sensorik versehen sind und Daten liefern. Aber jetzt geht es um das Thema der Datentransparenz. Was für Daten bekomme ich überhaupt? Woher kommen sie? In welcher Zeit sind sie verfügbar? Wann brauche ich sie? Das ist eines der Themen, die wir im Bereich Industrie 4.0 ganz stark sehen.

Und jetzt geht es um die offenen Standards für die Datenkommunikation. Es fallen viele Daten an, die ich analysieren möchte. Und letztendlich muss ich die Daten nutzbar machen. Das sehen wir als nächsten Schritt in der Welt der Industrie 4.0. Wir sehen das auch an den eigenen Applikationen in unseren Fabriken, was man da noch an Optimierungspotenzial schaffen kann. Und wenn man das dann auch in der Wertschöpfungskette noch mit seinen Vorlieferanten und mit seinen Kunden verknüpft, dann entsteht eine ganz neue Welt an Services, an Applikationen und auch an Geschäftsmodellen. 

Wer ist eigentlich der größte Technologietreiber?
Das ist multidimensional. Die großen Investoren haben erkannt, dass nachhaltige Unternehmen in der Regel auch profitabler sind. Denn große Umweltskandale kosten viel Geld und letztlich die Investoren die Performance. Die Geldgeber wollen zusehends andere Renditen sehen. Sie haben erkannt, dass Nachhaltigkeit nicht nur Geld kostet, sondern dass Nachhaltigkeit ganz stabile, saubere Geschäftsmodelle ermöglicht. Logischerweise denken die Geschäftsführer und die handelnden Personen in der Folge auch darüber nach. Wie können sie die Erwartungshaltung der Investoren befriedigen?

Und wenn die Endkunden beginnen, nachhaltiger zu denken, wenn die Regierungen beginnen, nachhaltiges Verhalten mit Anreizsystemen zu fördern, dann wird das einfacher. So wird das Thema an vielen Ecken und Enden befruchtet. 

Welchen Einfluss haben die Digital Natives auf dieses Umdenken?
Ich denke, es ist ein genereller Grundkonsens da, der uns als Gesellschaft erkennen lässt, dass es so nicht weitergehen kann. Natürlich ist die Jugend ein Treiber und Bewegungen wie die fridays for future haben sehr geholfen. Und ich glaube, es gibt mittlerweile ein breites Bewusstsein. Die Frage ist aber immer, wie kann man Lösungen umsetzen? Ich sag immer: Verbinden wir das Herz mit dem Hirn, und dann schaffen wir eine viel stärkere Bindung an diese Themen. Corona hat sicher einigen Leuten nochmal zusätzlich die Augen geöffnet. Allerdings stehen Trends zu weniger Technik auch im Raum. Vor allem im Bereich Gebäudeautomatisierung, das auch von der EU sehr stiefmütterlich behandelt wird.

Aber stellen Sie sich einmal eine Großstadt wie Wien vor, eine sogenannte Smart City. Wie soll das ohne Technologie funktionieren? Mit den smarten Mülltonnen, die nur abgeholt werden, wenn sie tatsächlich voll sind, geht es in kleinen Schritten in Richtung Nachhaltigkeit. Die gehen aber nur mit Technologie. Wir werden Technologie brauchen, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu realisieren. (BS)

www.se.com/at