Sei es für den Anleger oder den Projektinitiator – Crowdfunding bietet vielerlei Vorteile. © Adobe Stock/Antrey
Startkapital inklusive Marketingeffekt, attraktive Anlageform oder Liquiditätshilfe in mageren Zeiten. Crowdfunding hat sich zu einer beliebten Finanzierungsalternative entwickelt ...
... die Geldgebern wie -nehmern auch in der Krise einen guten Grund zur Hoffnung gibt.
Der österreichische Unternehmer Heinrich Staudinger, Erfinder der berühmten „Waldviertler Schuhe“ hat sich nicht nur als Fabrikant einen Namen gemacht, sondern auch als hartnäckiger Finanzrebell. Da ihm seine Bank dringend benötigte Kredite nicht gewährte, sammelte er bei Kundschaft und Freunden knapp drei Millionen Euro ein, die er mit vier Prozent verzinste. Eine Aktion, die ihm im Jahr 2012 erhebliche Probleme inklusive einer Klage der Finanzmarktaufsicht wegen illegaler Bankgeschäfte bescherte. Nur wenige Jahre später sollte dieser medienwirksame Rechtsstreit einer alternativen Finanzierungsform namens „Crowdfunding“ zum Durchbruch verhelfen. Aber: Fangen wir von vorne an.
Vereinte Finanzkräfte für „Lady Liberty“
Auch wenn Crowdfunding, die sogenannte Schwarmfinanzierung, als Phänomen der modernen Wirtschaft gilt, ist die Idee dahinter älter, als man vermuten möchte. Ihr Ursprung reicht nämlich bis ins 18. Jahrhundert zurück. Das Prinzip, bei dem eine große Menge an Menschen ein Projekt finanziert, ist somit alles andere als neu.
Ein besonders prominentes Beispiel prägt als Freiheitsstatue das Stadtbild von New York City bis zum heutigen Tag. Hätten die New Yorker Bürger im Jahr 1885 nicht einen Teil ihres Ersparten in die Hand genommen, um den Sockel des prestigeträchtigen Bauwerks zu finanzieren, hätte der Big Apple vielleicht auf seine „Lady Liberty“ verzichten müssen. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts und der einsetzenden Digitalisierung hat sich das Crowdfunding dann im heutigen Sinne etabliert. Sein sprachlicher Ursprung befindet sich ebenfalls in den USA, wo der Blogger Michael Sullivan den Begriff zum ersten Mal verwendet hat.
Alternativfinanzierungsgesetz ermöglicht breite Etablierung in Österreich
In Österreich startete im Jahr 2010 die erste Crowdfunding-Plattform www.respekt.net und 2012 mit www.1000x1000.at die erste Crowdinvesting-Plattform. Doch erst am 1. September 2015 wurde mit dem Alternativfinanzierungsgesetz (AltFG) der Grundstein für die breite Etablierung in der heimischen KMU-Landschaft geschaffen. Vor dem Inkrafttreten des AltFG bewegten sich Unternehmer wie Heinrich Staudinger beim Crowdfunding nämlich in einem rechtlichen Graubereich. Sein Rechtsstreit mit der Finanzmarktaufsicht hatte jedoch eine hitzige Debatte ins Rollen gebracht und die Finanzierung via Kleinanleger auf legale Beine gestellt. Das Gesetz konnte erstmals einen klar verständlichen Rechtsrahmen schaffen, der Österreich sogar zu einem Vorreiter bei alternativen Finanzierungen für Mittelstandsunternehmen innerhalb der Europäischen Union gemacht hat. Der Erfolg lässt sich auch mit Zahlen untermauern. Wurden 2014 noch 3,9 Millionen Euro über Crowdfunding eingesammelt, waren es 2015 bereits 11,8 Millionen Euro und 2016 bereits 18,2 Millionen Euro. Seit Durchführung des ersten Crowdfunding-Projekts im Jahr 2012 konnte die heimische Branche per Stichtag 31.12.2017 auf ein kumuliertes Projektvolumen (einschließlich donation und reward based Crowdfunding) von 65,8 Millionen Euro zurückblicken.
Mit der Novellierung des AltFG am 1. August 2018 wurde auch die bisherige Beschränkung auf KMU und deren operative Tätigkeit aufgehoben. Damit wurde erstmals allen Unternehmen der Zugang zu Crowdfunding ermöglicht und dem steigenden Interesse an Crowdinvesting im Immobilienbereich Rechnung getragen.
Finanzierung und effektives Marketinginstrument
Sei es für den Anleger oder den Projektinitiator – Crowdfunding bietet vielerlei Vorteile. Der Geldnehmer erhält die finanziellen Mittel, die er zur Umsetzung seines Projekts benötigt, während die Crowd eine zuvor vereinbarte Gegenleistung erhält. Dabei kann es sich, je nach Modell, um Zinsen, einen Anteil an der Unternehmenswertsteigerung, das fertige Produkt oder eine ideelle Danksagung handeln.
Für Start-ups ist die Schwarmfinanzierung besonders interessant, da sie ihnen die Möglichkeit gibt, Eigenkapital zu generieren. Aber auch etablierte Unternehmen haben die Möglichkeit, mittels des im Crowdinvesting gesammelten Mezzaninkapitals das Eigenkapital zu erhöhen, und so mehrere Projekte parallel zu realisieren. Neben den finanziellen Vorteilen einer Crowdfunding-Kampagne ist der damit verbundene Marketingeffekt ein ebenso wertvoller Bonus. Die Kleininvestoren identifizieren sich mit der Idee und werben durch eigene Motivation neue Kunden an.
Corona-Krise dürfte Crowdfunding-Markt neuen Schwung verleihen
Die Motivation zur gemeinsamen Unterstützung von Projekten dürfte aktuellen Einschätzungen zufolge gerade in Zeiten der Krise weiter zunehmen. Mit der Initiative „CONDA hilft“ beispielsweise wollte die Crowdfunding-Plattform CONDA Unternehmen in Not ein Instrument in die Hand geben, das ihnen eine Abfederung der unmittelbaren finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise erleichtern würde. Mit Erfolg! Insgesamt wurden 287.000 Euro investiert, unter anderem in das Wiener Fahrradfachgeschäft Starbike. Wie viele andere Geschäftslokale musste auch Starbike im 2. Wiener Gemeindebezirk im Corona-Lockdown seine Pforten schließen. Trotz Kurzarbeit, reduzierter Miete und der Beantragung von Förderungen und Überbrückungskrediten stand das Unternehmen vor Cashflow-Problemen. Durch die „CONDA hilft“-Kampagne haben insgesamt 162 Investoren Starbike mit 98.300 Euro unterstützt.
„Die Liquiditätshilfe durch die Crowd wird ähnlich einem Investitionskredit bereitgestellt“, erklärt Franz Hartl, Universitätslektor am MCI Innsbruck sowie an der IBS Akademie. „Der Kredit ist entweder endfällig, d. h., in einem am Ende der Laufzeit zurückzuzahlen, oder in Raten zu tilgen und nach Möglichkeit durch Gutscheine verzinst.“ Dieses Modell ist laut Hartl vor allem für Branchen attraktiv, deren Geschäftsmodell sich an den Endkunden richtet, da ein durchaus erwünschter Effekt einer Crowdfunding-Kampagne die Refundierung mit Konsumationsgutscheinen ist. Sie ermöglichen es dem Unternehmen, eine interessante Verzinsung für den Anleger darzustellen, und sichern dabei auch den nachhaltigen Geschäftsbetrieb. Doch sind dann, wenn Krisenfinanzierung und Kundenbindung Hand in Hand gehen, sämtliche Finanzierungsprobleme ein für allemal beseitigt? „Leider nein“, sagt Hartl. „Die Bewerbung einer Crowdfunding-Kampagne kann viel Zeit und Mühe verursachen und die eingesammelten Beträge sind nicht von vornherein sicher und wachsen dabei von der Höhe her keineswegs in den Himmel.“ Dennoch ortet er Potenzial, das durchaus Bestand haben könnte. „Das oft mühsam zusammengetragene Geld wirkt wie Eigenkapital, weil es in der Krise weder verzinst noch rückgeführt werden muss. Als Hauptfinanzierungsquelle bleibt der Bankkredit wohl noch eine Zeitlang erhalten. Aber eine Ergänzung des Finanzierungsangebotes ist es allemal.“
Immobilienprojekte dominieren österreichischen Crowdinvesting-Markt
Die dynamische Entwicklung der Schwarmfinanzierung ist auch anhand konkreter Zahlen zu beobachten. Wie die aktuellen Daten der Plattform CrowdCircus zeigen, haben sich die Österreicher trotz Corona-Krise durchaus spendabel gezeigt. 97 Crowdinvesting-Kampagnen, neue Gesamtzuflüsse im Ausmaß von 33,86 Millionen Euro und ein Plus von zehn Prozent im Jahresvergleich: Mit diesen Eckdaten hat der heimische Crowdinvesting-Markt die von der Pandemie geprägte erste Jahreshälfte 2020 abgeschlossen. Der Löwenanteil des Investitionskapitals entfiel auf Immobilienprojekte.
Mit 11,18 Millionen Euro an Zuflüssen und einem Marktanteil von 33 Prozent geht die auf Immobilien-Investing spezialisierte Plattform dagobertinvest im ersten Halbjahr 2020 als Marktführer hervor. Ebenfalls mit einem zweistelligen Millionenbetrag konnte sich mit Rendity ein weiterer Immo-Crowdinvesting-Anbieter von der Masse absetzen: Mit 10,81 Millionen Euro beanspruchte die Plattform knapp 32 Prozent der Gesamtzuflüsse für sich. Dass sich die alpenländische Crowdinvesting-Szene weiterhin auf Immobilien-Investments konzentriert, zeigt auch ein Blick auf die drittplatzierte Plattform HOME ROCKET, die ein Projektvolumen im Ausmaß von knapp 8 Millionen Euro über den Schwarm einsammeln konnte.
Warum Immo-Crowdinvesting mehr Sinn macht als manche Aktie
Projektentwickler und Bauträger haben im Crowd-Kapital großes Potenzial erkannt, um ihre Planungssicherheit zu erhöhen. Für den Anleger ergeben sich nicht nur angesichts schwankender Börsenkurse große Vorteile gegenüber einem Aktienkauf. „Die meisten Aktien werden auf dem Sekundärmarkt gehandelt. Hier kauft ein Marktteilnehmer einem anderen Wertpapiere ab, der Blick ist nur auf die Kursentwicklung gerichtet“, erklärt Andreas Zederbauer, Co-Gründer und Geschäftsführer von dagobertinvest. Er weist darauf hin, dass bei Aktieninvestments sowohl einmalige Handelsgebühren (bei Einzeltiteln) oder Ausgabeaufschläge (bei Fonds) als auch laufende Kosten wie Verwaltungsgebühren anfallen. „Ein Blick in die jährliche Marktstudie der FMA über Fondsgebühren österreichischer Publikumsfonds zeigt, dass die Kosten hier im ersten Jahr schnell bei vier bis fünf Prozent liegen. Das muss der Fonds erst einmal erwirtschaften“, so der dagobertinvest-Chef. „Beim Crowdinvesting entstehen für Anleger hingegen keinerlei Gebühren – weder beim Registrieren auf einer Plattform, noch beim tatsächlichen Investment in Projekte. Das Geschäftsmodell der Crowdinvesting-Plattformen ist so aufgebaut, dass die Emittenten dafür aufkommen, dass ein Projekt platziert wird.“
Nachvollziehbares Investment in Realwirtschaft
Seit der Gründung 2015 starteten nicht weniger als 141 Projekte bei dagobertinvest, der Großteil kommt von österreichischen Bauträgern aus dem KMU-Segment. „Wir legen großen Wert darauf, nur nachvollziehbare Projekte von gut prüfbaren Bauträgern anzunehmen“, macht Zederbauer klar. Unter der Errichtung von Reihenhäusern oder einer überschaubaren Wohnhausanlage könne sich jeder Anleger etwas vorstellen. Dazu gibt es noch entsprechende Visualisierungen. Das Crowd-Kapital ist zweckgebunden und unterstützt die Unternehmen dabei, mehr Bauprojekte umzusetzen, kommt also unmittelbar in der Realwirtschaft an.
„Wir wissen von unseren Bauträgern, dass sie dank der Crowd ihren Umschlag um ein Viertel erhöhen, also um 25 Prozent mehr bauen können“, berichtet Zederbauer. Damit wird nicht nur schneller der benötigte Wohnraum geschaffen, auch andere Unternehmen profitieren von den Aufträgen, woran wiederum Arbeitsplätze hängen. Bei Aktienfonds wissen die Investoren hingegen oft nicht so genau, in welche Firmen der Fonds konkret investiert ist oder wie sich die Gewichtung laufend verändert. Um beim Immo-Crowdinvesting für Risikostreuung zu sorgen, sollte das verfügbare Anlagekapital stets auf mehrere Projekte aufgeteilt werden. Ein weiterer Aspekt ist der Faktor Zeit. Vorab definierte Projektlaufzeiten beim Crowdinvesting machen die Geldanlage auch ohne großes Finanzvorwissen überschaubar. Beim Aktienkauf und -verkauf sollten stets allfällige Berg- und Talfahrten der Kurse berücksichtigt werden, denn schlechtes Timing kann unmittelbar Geld kosten – Geld, das in Zeiten wie diesen wahrscheinlich sinnvoller investiert werden könnte. (BO)
INFO-BOX
Welche Crowdfunding-Modelle gibt es?
• „Donation based Crowdfunding“ = Geld für eine gute Tat: Geldgeber unterstützen ein Projekt, ohne eine Gegenleistung zu erhalten
• „Reward based Crowdfunding“ = Geld für Anerkennung: Die Crowd erhält eine nicht-finanzielle Gegenleistung. Dabei kann es sich um ein kleines Dankeschön oder eine Ausfertigung des fertigen Projekts bzw. Produktes handeln.
• „Lending based Crowdfunding“ = Geld für Zinsen: Dieses Segment deckt den Bereich der privaten Mikrokredite für Projekte in Form von aktuell überwiegend nachrangigen Darlehen ab. Der private Geldgeber verleiht sein Geld über einen Plattformbetreiber oder direkt an eine Person bzw. ein Unternehmen seiner Wahl. Durch die Nachrangigkeit des Darlehens im Insolvenzfall wird dieses sogenannte „Mezzaninkapital“ vermehrt als eigenkapitalähnliches Kapital gewertet.
• „Equity based Crowdfunding“ oder „Crowdinvesting“ = Geld für Beteiligung: Die Anleger investieren über eine eigenkapitalähnliche Beteiligung in ein Projekt oder Unternehmen und erhalten im Gegenzug eine feste oder erfolgsabhängige Rendite.
FILM-TIPP
„Das Leben ist keine Generalprobe“ von Nicole Scherg
In „Das Leben ist keine Generalprobe“ porträtiert die österreichische Filmemacherin Nicole Scherg den alternativen Schuhfabrikanten Heinrich Staudinger und seine Co-Geschäftsführerin Sylvia Kislinger. Und natürlich Staudingers Ansichten zum Thema Kapital. Der ruhige und zugleich packende Dokumentarfilm zeichnet das Bild einer kleinen Wirtschaftswelt jenseits des Mainstreams, in der Aktienkurse und Profiterwartungen keine Bedeutung haben. Qualität, Fairness und die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden sind hingegen ein hohes Gut. Regisseurin Nicole Scherg geht der Frage nach: Wie lassen sich die Visionen einer gerechten Welt, die den Firmeninhaber Heinrich Staudinger antreiben, in den wirtschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart verwirklichen?
Als DVD oder Video on Demand erhältlich:
www.hoanzl.at
https://www.flimmit.com/catalog/product/view/id/15801