COVERTHEMA
W as haben die sich denn da jetzt schon wieder
14 NEW BUSINESS | JUNI 2021
ausgedacht?“ So ungefähr sah Valerie Bauers
Reaktion aus, als sie kurz vor Karenzende
vom neuen Organisationssystem erfuhr,
das in ihrer Abwesenheit bei ihrem Arbeitgeber, dem
IT-Dienstleister ONTEC, eingeführt wurde. Unendlich
viele Meetings ohne wirkliche Veränderungen für das
Unternehmen, das war das Vorurteil, das die Marketingverantwortliche
hatte, als sie zum ersten Mal vom
Holacracy-Konzept hörte. Mitten in der Corona-Krise
– im Sommer 2020 – wechselte Bauer also von der Babypause
ins Homeof ce und versuchte, sich in ihrer
neuen Arbeitswelt zurechtzu nden. Das mit den vielen
Meetings bewahrheitete sich schnell – überraschend
war aber der konstruktive und strikte Ablauf, den sie
erstmal erlernen musste. Aber nicht nur der Ablauf war
ihr vorerst fremd – schnell stellte sie sich die Frage: „Und
wer erklärt mir eigentlich dieses System?“
Holacracy: Das Gegenstück zu Hierarchie und
Bürokratie
Die Eckpfeiler von Holacracy (zu Deutsch: Holakratie)
sind schnell erklärt: Es handelt sich dabei um ein Konzept
für agiles Organisieren, das sich durch eine spezielle
Herangehensweise an Aufgabenverteilung, Hierarchien,
Entscheidungs ndung und selbststeuernde
Teams auszeichnet. Eingeführt wurde der Holacracy-
Ansatz im Jahr 2007 vom Softwareentwickler Brian
Robertson als Gegenstück zu vielen bürokratischen und
hierarchischen Formen der Unternehmensführung. Das
Markante: Holacracy überträgt die Verantwortung und
Entscheidungsgewalt auf Mitarbeiter. Hier wird also
schon die ache Organisationsstruktur ersichtlich, durch
die innovativen Ideen und Lösungen schnell Aufmerksamkeit
zuteil wird, was wiederum die Organisation
wendig und handlungsorientiert macht.
Ein weiterer essenzieller Faktor für dieses Konzept ist
die Zweckorientierung: Die Organisation muss sich dessen
bewusst sein oder werden, was für eine Organisation
sie sein und was sie bewirken möchte. Das höhere
Ziel muss also ausformuliert werden. Fragen, die dabei
helfen können, ein Rahmengerüst zu finden: Was ist
ihre Daseinsberechtigung als Organisation? Welche
Veränderung möchte sie in der Welt bewirken? Alle Mitarbeiter
widmen sich nun genau diesem Zweck, das heißt,
es wird nur an Projekten und Aufgaben gearbeitet, die
dem Zweck der Organisation entsprechen. Was sehr
streng klingt, hat aber einen Sinn: die Entstehung von
Silodenken (also starkes Abteilungsdenken und -handeln)
soll verhindert und der Zusammenhalt der Mitarbeiter
gestärkt werden. Zudem motiviert es die Mitarbeiter, ein
gemeinsames höheres Ziel zu haben, und hilft bei Entscheidungs
ndungen, da die Grenzen abgesteckt sind,
innerhalb derer Mitarbeiter selbst entscheiden können.
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Ideen und innovative
Lösungen
werden in fl achen
Hierarchien
schneller
gesehen.