COVERTHEMA
Effi zienzsteigerung als Benefi t
»Meetings, die vor der Einführung von
Holacracy manchmal Stunden gedauert haben
und wenig hervorgebracht haben, dauern nun
bei wesentlich besserem Output weniger als
eine Stunde.«
Daniel Sieder, Geschäftsführer ONTEC AG 3
JUNI 2021 | NEW BUSINESS 15
Fotos: Adobe Stock/REDPIXEL (1), ONTEC (2)
Von Rollen, Kreisen und Domains
Auch Valerie Bauer hat die Struktur schnell durchschaut
und bezeichnet sich heute sogar als ausgesprochener
Fan: „Es dämmerte mir, dass Holacracy doch mehr sein
könnte als ein einfacher Marketinggag. Auf einmal
hatte ich nicht nur die Möglichkeit, in meinem eigenen
Bereich Entscheidungen zu treffen, sondern auch an
der Unternehmensgestaltung selbst ganz direkt mitzuwirken“,
zeigt sie sich begeistert. „Meine Wahl zum
‚Secretary‘ meines Kreises – einer fest de nierten Rolle
im Holacracy-System, die auf Zeit gewählt wird –
brachte mich dazu, mich noch intensiver mit unserer
neuen Organisationsform auseinanderzusetzen“, erklärt
sie und führt uns damit gleich in die nächste wichtige
Eigenheit des holakratischen Systems: Während in traditionellen
Organisationen die Verantwortlichkeiten
oft noch in Stellenbeschreibungen de niert sind und
nur wenigen Veränderungen im Laufe der Zeit unterliegen,
basiert Holacracy auf exiblen Rollen, die im
jeweiligen Moment benötigt werden. Eine Rolle hat
einen bestimmten Zweck („Purpose“), der sich am Zweck
des Unternehmens ausrichtet, und beschreibt das Ziel,
die Verantwortlichkeiten und die Domains. Unter Domains
kann man sich eine Art Eigentumsrecht vorstellen,
das zu einer bestimmten Rolle gehört – beispielsweise
könnte eine „Social Media“-Rolle die Domain
„Twitter Account des Unternehmens“ besitzen. Wenn
eine Rolle eine bestimmte Domain besitzt, kann sie
damit alles tun, ohne dass es dafür der Zustimmung
Dritter bedarf. Wichtig ist dabei: Rollen und Personen
sind zwei unterschiedliche Dinge. Ein Mitarbeiter kann
mehrere Rollen gleichzeitig ausüben. Es können aber
auch mehrere Mitarbeiter dieselbe Rolle übernehmen.
Es muss nur Einigkeit darüber herrschen, wer welchen
Fokus hat. Eine Gruppierung von Rollen, die von der
Logik her zusammenpassen, nennt sich in der holakratischen
Sprache ein Kreis. Jeder Kreis hat feste Kernrollen
(Facilitator, Secretary, Lead Link und Rep Link)
sowie weitere Rollen, die die Arbeit verrichten. Rollen
werden über einen kollektiven Governance-Prozess
regelmäßig neu de niert, um sie den sich ständig ändernden
Anforderungen des Unternehmens anzupassen.
Wenn Skeptiker:innen enthusiastisch werden
Wenn sich das alles für Sie noch relativ kompliziert
anhört und Sie zweifeln, dann sind Sie in guter Gesellschaft.
Bei der ONTEC AG war Valerie Bauer nicht die
einzige Skeptikerin – der Beschluss der Geschäftsführung
im Jahr 2018, die Organisation auf Holacracy umzustellen,
löste in vielen Mitarbeiter:innen Widerstand
aus, wie sich Daniel Sieder, mittlerweile Geschäftsführer
der ONTEC AG, erinnert: „Anfangs gab es bei uns
sehr viele Skeptiker und Skeptikerinnen. Einige befürchteten
sogar, wir würden das Unternehmen an die
Wand fahren, wenn nun auf einmal jeder alles mitbestimmen
darf“, so Sieder. Nach drei Jahren sieht die
Welt anders aus. „Mittlerweile läuft es bei uns sehr
rund. Sogar Personen, die Holacracy bei der Einführung
sehr skeptisch gegenüberstanden, sagen heute, dass es
unsere Ef zienz enorm gesteigert hat. Gab es zu Beginn
noch viel Ablehnung und nur wenige Enthusiasten, hat
sich das mittlerweile umgekehrt.“ So ehrlich bleibt Sieder
aber: „Zu Beginn haben die Meetings zwar funktioniert,
aber wie der große Mehrwert hat es sich nicht angefühlt.
Erst nach einiger Zeit, als die Dinge intuitiver wurden
und die Ef zienz stieg, haben wir mehr und mehr bemerkt,
wie uns das System besser macht. Mittlerweile
funktioniert die stetige Weiterentwicklung sehr gut und
trotz der Anlaufschwierigkeiten gibt es einen wahrnehmbaren
Kulturwandel zu einem selbstlernenden
System, der immer noch andauert.“
Aller Anfang ist schwer
Aber wie stellt man sein Unternehmen auf ein holakratisches
System um? Grundsätzlich ist das Holacracy-
Grundregelwerk (die sogenannte Holacracy Constitution)
frei im Web verfügbar und beinhaltet alle notwendigen
Informationen zur Umsetzung. ONTEC holte sich
aber Unterstützung vom Wiener Beratungsunternehmen
und lizenziertem Holacracy Premium Provider
dwarfs and Giants, denn zugegeben: Das Regelwerk
muss erstmal verstanden werden. „Es hat
damit begonnen, dass Peter Lehner, einer der
damaligen ONTEC-Vorstände (Anm.: jetzt im
Aufsichtsrat) im Rahmen einer Schulung von
dwarfs and Giants vom Konzept Holacracy
erfahren hat. Da es schon damals den Bedarf
gab, unsere Meetings ef zienter zu gestalten,
entstand gemeinsam
mit dem rest l ichen
ONTEC-Management
die Idee, das Holacracy-
Meet ingsystem zu
übernehmen“, erklärt
Sieder. Schnell wurde
klar, dass zwar die
Meetings effizienter
INFO-BOX
Buch-Tipp
Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres
Management-System für eine volatile Welt
Verlag Franz Vahlen, 2016,
205 Seiten, € 24,90, ISBN 978-3-8006-5087-3