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Christian Boos, Global Vice President und Head of Sustainability Innovation bei SAP © SAP SE

Ergänzen sich KI und Nachhaltigkeit ideal – oder ist das ein Widerspruch in sich? Christian Boos von SAP im Interview über KI-Lösungen und die Wahl des richtigen Werkzeugs für die jeweilige Aufgabe.

Christian Boos ist Global Vice President und Head of Sustainability Innovation bei SAP und treibt Innovationen voran, indem er KI-Lösungen einsetzt, um Geschäftsprozesse zu optimieren und intelligente Anwendungen zu entwickeln – und so eine nachhaltige Zukunft durch Technologie zu gestalten. Im Interview mit NEW BUSINESS setzt er KI und Nachhaltigkeit zueinander in Beziehung, spricht über die möglichen Vorteile für Unternehmen und zeichnet ein Bild davon, welche Rolle die SAP und ihre Lösungen dabei einnehmen können.

Herr Boos, wie kann die Anwendung von KI-Technologie in der Industrie für mehr Nachhaltigkeit sorgen?

Sustainability ist ein sehr datengetriebenes Business. Nur wenn ich weiß, wie gut, wie schlecht oder wie nachhaltig ich bin, kann ich etwas verbessern und bin vergleichbar zum Wettbewerb. Nachweisen zu können, wie nachhaltig ich bin und wie wenig CO2-haltig meine Produkte sind, wird auch zum Wettbewerbsvorteil. Auf Basis dieser Daten, die ich ohnehin für meinen ESG-Report brauche, kann ich auch direkt etwas tun, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Ich kann nach nachhaltigeren Materialien suchen, nach alternativen Lieferanten und ich kann in der Fertigung Daten sammeln, um zum Beispiel Energieverbräuche auszuwerten und zu optimieren. So erreiche ich Transparenz und das schafft wiederum Vertrauen und Verbesserungspotenziale.
Für produzierende Industrien besteht auch die Möglichkeit, nicht nur bestehende Prozesse zu verbessern, sondern in ganz neue Geschäftsmodelle zu gehen. Wie etwa von einer linearen Fertigung in die Kreislaufwirtschaft und dort wiederum auch mit anderen Partnern zusammenzuarbeiten. Das beginnt schon beim Produktdesign. Kreislaufwirtschaft fängt dabei an, die Produkte so entwickeln und designen, dass sie gut wiederverwertbar, zum Beispiel durch den Austausch von Komponenten, und recycelbar sind.

Das heißt, im Grunde geht es um Daten. SAP sitzt da mit seinen Lösungen als Dreh- und Angelpunkt genau an der richtigen Stelle. 

In einem SAP-System ist von Einkauf, Fertigung, über Vertrieb, Transport, HR-Daten, bis zu Finanzdaten alles drin, auf transaktionaler Ebene. Wenn ich etwas einkaufe, bekomme ich einen Lieferschein. Wenn ich produziere, habe ich einen Fertigungsauftrag. Diese Wert- und Mengenströme schleusen wir seit eh und je durch unsere ERP-Systeme. Wir bringen Nachhaltigkeitsdaten auf das gleiche transaktionale Level. In einem Lieferschein stehen dann in Zukunft nicht mehr nur Mengen, Euros und Dollars, sondern auch der Carbon-Footprint oder der Wasser-Footprint. Und dann kann ich diese Nachhaltigkeitsdaten ähnlich wie in der Produktkosten-Kalkulation auch planen. Ich kann somit nachhaltigere Entscheidungen treffen.

Daten als Grundlage für Entscheidungen sind nichts Neues. Wo kommt da die KI ins Spiel?

Das ist eine sehr gute Frage. Und in der Tat, Daten haben wir schon immer gesammelt. Analytics ist auch schon ein paar Jahre alt. Die KI kommt sowohl beim Daten-Inbound als auch beim Daten-Outbound ins Spiel. Kunden, die etwa ESG-Reportings aufsetzen müssen, benötigen eine Fülle von Daten. Zum Teil Daten, die in SAP-Systemen sind, aber auch Daten, die potenziell von NGOs oder von Regierungen kommen, Klimadaten, et cetera. Dafür haben wir den SAP Sustainability Control Tower entwickelt, der mit den SAP-Daten aus dem ERP-System integriert ist, sozusagen auf Knopfdruck. Aber ich habe natürlich auch Schnittstellen und APIs, um Daten von nicht-SAP-Systemen einzusammeln. Zusätzlich kann ich Kennzahlen generieren und diese im Benchmark mit Wettbewerbern vergleichen.
Wo kommt die KI beim Outbound ins Spiel? Das ESG-Reporting ist bei vielen unserer Kunden ein sehr manueller und zeitintensiver Prozess, teilweise liegen diese Daten nur in Papierform oder Excel-Tabellen vor. Beim AI-unterstützten ESG Reporting, einem Produkt, das wir unseren Kunden bereits zur Verfügung stellen, unterstützt mich die KI dabei, das Reporting aufzusetzen. Es generiert natürlich keinen fertigen Report, sondern einen ersten guten Draft. Aber schon das spart viel Zeit und erhöht Effizienz und Qualität. Wir stellen verschiedene Templates zur Verfügung, nehmen die Daten aus dem SAP Sustainability Control Tower und mithilfe von generativer KI entsteht ein Textdokument mit Daten aus dem SAP-System. Das wird stetig weiterentwickelt, da es auch immer neue Compliance-Regeln gibt. Unternehmen, die global arbeiten, müssen sich an viele verschiedene Richtlinien halten, das bekommen sie manuell gar nicht mehr gehandelt. Durch den Datenpool im SAP Sustainability Control Tower können die gleichen Daten in unterschiedliche Reports einfließen. Da sehe ich auch den Sweetspot für Mittelständler oder Kleinunternehmen, die keine eigenen Abteilungen haben, um diese Reports zu generieren.
Wo KI im Bereich Sustainability noch zum Einsatz kommt, ist beim Thema Product Carbon Footprints. Die Firmen sind ja nicht nur angehalten zu reporten, sondern alle haben auch ein CO2-Reduktionsziel und brauchen für Verbesserungen Transparenz im Product Carbon Footprint. SAP Sustainability Footprint Management ist ein weiteres Tool, das wir dem Kunden zur Verfügung stellen, um diesen Fußabdruck zu berechnen. Ein OEM-Fahrzeughersteller kann damit beispielsweise den CO2-Fußabdruck für ein Fahrzeug ermitteln. Hierzu benötigt er die CO2-Fußabdrücke der Stücklistenkomponenten. Wie kommt er an diese Information? Über ein anders Produkt, SAP Sustainability Data Exchange, kann er Daten von seinen Vorlieferanten einholen, etwa für die Lichtmaschine. So bekommt er die sogenannten Primärdaten und wenn er das für alle Bauteile hat, kann er den Product Carbon Footprint berechnen.
Das wäre die Kür, aber so sieht die Welt da draußen noch nicht aus. Es ist eher ein hybrides System. Von den Key-Lieferanten bekommt man schon jetzt die Primärdaten. Wenn es die nicht gibt, muss man andere Wege gehen. Da kommt wieder KI ins Spiel. Mit dem in SAP Sustainability Footprint Management integrierten Emission Factor Mapping greifen wir auf Lifecycle-Assessment-Datenbanken zu und erhalten so die Sekundärdaten zu den Bauteilen, für die es keine Primärdaten gibt. Dabei analysiert KI die Informationen zu Bauteilen und nimmt das Mapping vor. Auf dieser Datenbasis kann ich dann eine Hotspot-Analyse fahren. Was sind die Key-Treiber und die CO2-intensivsten Baugruppen? Wo habe ich die größten Stellschrauben um mich zu verbessern? 

Sie haben beim Thema ESG-Reports angesprochen, dass KI-Lösungen gerade für kleine und mittlere Unternehmen Sinn machen, die keine eigenen Teams dafür haben. Ist KI für diese Unternehmen also besonders attraktiv?

Das würde ich unterstreichen, unabhängig von ESG-Reportings. Aber um bei diesem Beispiel zu bleiben: Wenn man auf den Talentpool da draußen zugreifen muss, egal ob als Groß- oder Kleinunternehmen, und jemanden finden will, der manuell einen ESG-Report erstellt, wird man sich wahrscheinlich schwertun. Der manuelle, immer wiederkehrenden Anteil dieser Tätigkeit ist natürlich relativ unattraktiv. Deswegen sind Unternehmen gut beraten, sich dedizierte KI-Use-Cases anzusehen, um solche repetitiven, datenintensiven Aufgaben zu automatisieren. Das bedeutet nicht, dass da nicht noch jemand drüberschauen sollte. Ich würde keinesfalls empfehlen, so einen Report vollautomatisch von einer KI generieren und verschicken zu lassen. Aber man spart sich viel Arbeit und Zeit, wenn man KI richtig einsetzt.

Zum Abschluss würde ich gerne noch etwas anderes ansprechen: Gerade in letzter Zeit wird viel über den Energiehunger diskutiert, den KI-Technologien und Rechenzentren an den Tag legen. Verschlingt KI am Schluss die Effizienzgewinne wieder, die sie verspricht?

Das ist eine ganz wichtige Frage und es ist auch wichtig, dass man darüber diskutiert. Es ist nur natürlich, dass es kritisch gesehen wird, wenn dafür Atommeiler wieder hochgefahren werden. Das kann ja nicht im Sinne von uns allen sein. Deswegen ist es so wichtig, wie wir das auch bei SAP machen, sich genau zu überlegen, welches Werkzeug man für welchen Use Case einsetzt. Der Use Case muss vom Business kommen, Business Value generieren und sinnvoll sein. Wenn es mir gelingt, den Carbon Footprint eines Produkts drastisch zu reduzieren, muss ich dem den Stromverbrauch der KI gegenüberstellen und darauf achten, nicht ein zu großes Werkzeug zu verwenden. Ich brauche nicht für jeden KI-Use-Case ein ressourcenintensives Large Language Model (LLM). Hinter dem erwähnten Emission Factor Mapping befindet sich zum Beispiel keine generative KI mit einem LLM, sondern ein Embedded Model, der deutlich weniger Energie verbraucht.
Es wird auch intensiv daran gearbeitet, den Energieverbrauch beim Training von LLMs zu verringern. Zum Vergleich: Die ersten Otto-Motoren, die in Fahrzeugen verbaut wurden, haben auch 30, 40 Liter Kraftstoff verbraucht. Die Ingenieure haben es geschafft, diesen Verbrauch zu reduzieren. Das muss auch das Ziel der Hard- und Softwarehersteller sein. Ich bin da sehr zuversichtlich. Wir schaffen auch intern Awareness für dieses Thema, damit direkt von Beginn an grüner programmiert wird. Und ganz wichtig ist mir bei dem Thema, dass wir nicht nur über Energie sprechen, sondern auch über den Wasserverbrauch.
SAP hat auch eine interne KI-Kommission. Das heißt, wenn ein Christian Boos mit seinem Team einen KI-Use Case entwickelt, kommt der vor ein internes Komitee. Da werden einerseits ethische Aspekte abgefragt, aber auch der Ressourcenverbrauch. 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Boos! (RNF)

www.sap.com