Dr. Helmut Leopold, Head of Center for Digital Safety & Security, AIT Austrian Institute of Technology und zugleich Initiator des IDSF © AIT

Helmut Leopold, Initiator des International Digital Security Forum, im Interview über das IDSF und die Herausforderungen der Digitalisierung für die Gesellschaft.

Mit dem International Digital Security Forum (IDSF) holt das AIT Austrian Institute of Technology heuer zum zweiten Mal Akteure aus der Forschung, Wirtschaft und der öffentlichen Hand an einen Tisch, um einen umfassenden Diskurs über alle Facetten des verantwortungsvollen Umgangs mit der globalen Digitalisierung anzustoßen. Nachdem die erste Ausgabe des IDFS im Dezember 2020 Corona-bedingt eine rein virtuelle Veranstaltung war, setzt man diesmal auf ein hybrides Konzept. NEW BUSINESS hat mit Dr. Helmut Leopold, Head of Center for Digital Safety & Security, AIT Austrian Institute of Technology und zugleich Initiator dieser Veranstaltung, über die Motivation für die Schaffung dieses Forums gesprochen

Herr Leopold, mit dem Motto "Secure digitalisation for a safe, green and sustainable future" bringen Sie mit dem IDSF dieses Jahr die aktuellen Top-Themen Digitalisierung, IT-Security und Nachhaltigkeit unter einen Hut. Was steckt da dahinter?
Cybersicherheit ist nur ein Teil des Ganzen. Am Schluss geht es – und da stehen wir seit 20 Jahren mittendrin – um die Digitalisierung. Überall ist Software und wir vernetzen alles global. Das hat riesige Auswirkungen auf uns alle. Deswegen sind Konferenzen wie diese, die es aus meiner Sicht so noch nicht gibt, so wichtig. Es gibt wissenschaftliche Konferenzen, die sich auf Details, auf technische Lösungen fokussieren, und es gibt Industriekonferenzen und Messen, wo neue Lösungen angeboten werden. Aber das wichtige, grundlegende Thema ist, dass wir als Gesellschaft, als Benutzer:innen und Entwickler:innen von Systemen, permanent seit tausenden Jahren Technologie formen und gestalten. Wie wir Technologie benutzen, aber auch, wie wir sie bauen und gestalten, verändert sich dauernd. Das ist nicht unidirektional, sondern ein Wechselspiel. Wie Technologie benutzt wird und wie wir mit ihr umgehen, das nennt man Kultur.
Das kann man einfach chaotisch passieren lassen oder man kreiert ein Forum, in dem das verantwortungsvolle Benutzen von Technik, aber auch das verantwortungsvolle Bauen von Technik diskutiert wird. Ein ganz wichtiger Faktor ist aber auch, wie wir den Einsatz der Technik durch Gesetze, Regulierung, durch die Rahmenbedingungen, die die Gesellschaft in einem Diskurs festlegen muss, gestalten. Das Ergebnis dieses Diskurses nennt man Politik.

Wie kann so ein Forum da unterstützen?
Technik ist nicht alleine da, sondern es besteht eine permanente Notwendigkeit, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Im Zuge der Digitalisierung heißt das, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir mit den neuen digitalen Werkzeugen umgehen, welche Rahmenbedingungen wir gestalten müssen, um Technik beherrschbar zu machen, und auch welche Regeln und Pflichten wir uns als Entwickler:innen und Hersteller, als Benutzer:innen und Unternehmen, aber auch als Gesetzgeber selbst auferlegen. Nur wenn das Dreieck aus Forschung und Entwicklung von Systemen und Produktangeboten, ihrer Benutzung, also Kultur, und als Drittes Rahmenbedingungen für die Benutzung in einem sinnvollen Einklang ist, haben wir eine vernünftige Technik, die uns wirklich dort weiterhilft, wo wir das wollen. Dafür müssen wir etwas tun, sonst werden wir überrannt. Das sieht man zum Beispiel an den Social-Media-Plattformen.
Digitalisierung spielt sich weltweit ab, also braucht es auch weltweite Regeln – die es noch nicht gibt. Gemeinsame Mindeststandards, Spielregeln die für alle gelten. Darum braucht es ein Dialogforum wie unser IDSF, wo darüber gesprochen wird, was alles in Zukunft auf uns zukommt und wie diese Technologien gebaut werden. Wo also Forschung, die Industrie und die öffentliche Hand, Vertreter:innen von Regierungen, Meinungsmacher:innen und NGOs zusammenkommen, um sich damit auseinanderzusetzen, wo es hingeht, ob es Probleme gibt und wo man ansetzen kann, ob bei der Gestaltung der Technik, bei den Spielregeln und Gesetzen oder bei kulturellen Veränderungen. 

Warum machen Sie das hier in Österreich? 
Weil Digitalisierung nicht nur in China und Amerika stattfindet, sondern bei den Benutzer:innen. Es liegt an uns als Endanwender:innen, als Entwickler:innen aber auch als jene, die die Spielregeln machen, wie wir die Technik einsetzen. Also bringen wir die Digitalisierungs-Diskussionen, die sonst irgendwo auf der Welt stattfindet, nach Österreich. Die Kompetenz ist hier vorhanden und diese Kompetenz brauche ich nicht nur in der technischen Entwicklung und Forschung, sondern ich brauche ein Ökosystem. Ich brauche Unternehmen, die die Systeme bauen und anbieten, ich brauche eine Gesellschaft, die reif dafür ist, und ich brauche Spielregeln der öffentlichen Hand, die mit den neuen Technologien auch umgehen können muss.

Die IT war jahrzehntelang so eine Art Silo, der vor sich hingelebt hat ohne großartige nach links und rechts zu schauen. Gesetzgebung und Gesellschaft haben eher gelernt damit zu leben, was ihnen angeboten wird, anstatt ihre gestalterische Rolle anzunehmen.
Niemand hat die Tragweite dessen, was in den letzten zwanzig Jahren geschehen ist, wirklich erfasst. Wir haben alle nur das Positive gesehen, auch neue Geschäftsmodelle. Aber eine wirkliche Auseinandersetzung damit, was da abläuft, hat gefehlt. Frühere Technologieeinführungen, wie das Auto oder auch die Zeitung, haben Jahrzehnte gedauert. Die Gesellschaft hatte genug Zeit, sich darauf einzustellen. Die Einführung von sozialen Medien ist innerhalb von zwei, drei Jahren passiert. Innerhalb einer Generation gab es plötzlich eine Vollvernetzung. Dadurch ist der Dialog, der früher über Familien, Schulen, Kinder geführt wurde, nicht passiert. Das überrennt uns jetzt. Darum ist es umso wichtiger, diese Entwicklung jetzt wieder einzufangen. Das gilt nicht nur für das Internet und soziale Medien, sondern auch zum Beispiel für künstliche Intelligenz oder selbstfahrende autonome Systeme. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir der Technik Grenzen setzen, damit sie das tut, was wir wollen.

Es geht also bei der Veranstaltung darum, diesen Silo aufzubrechen, einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten und auch darum, die Diskussion nicht in Washington oder Peking alleine führen zu lassen, sondern auch in Europa. Damit nicht Europa am Ende, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, versucht ein Netz über bereits existierende Dinge zu spannen. Das erinnert mich an Ihr Kernthema Security by Design, wo es ja auch darum geht, sich schon bevor man etwas entwickelt Gedanken darüber zu machen, wie man es sicher macht. Also sich schon beim Entwickeln einer Technologie zu fragen, ob das in unsere Welt hineinpasst. Da fehlt mir jetzt aber der passende Ausdruck dafür.
Ich würde es verantwortungsvolle Entwicklung nennen, Responsibility by Design.

Das trifft es gut.
Ich würde das noch verstärken. Was Sie gesagt haben klang ein wenig defensiv, so als würde man die Technik sich entwickeln lassen und nur die Grenzen ein bisschen einschränken. Aber es passiert in der gesamten Digitalisierung noch etwas sehr wichtiges. Alle großen Problemstellungen die wir, die acht Milliarden Menschen auf diesem Globus, haben, werden nicht 'nur' mit Technik gelöst. Anders gesagt: Ohne entsprechende, funktionierende und skalierbare, für viele Menschen in hoher Stückzahl verfügbare Werkzeuge lösen wir diese Probleme nicht. Mit Papier und Bleistift können wir Probleme wie den Klimawandel oder die Energiewende nicht lösen. Alle Stakeholder, von den Behörden mit ihren Aufgaben bis hin zu den Benutzer:innen, brauchen ihre Werkzeuge. Auch für die digitalen Medien braucht man Werkzeuge, um verantwortungsvoll mit ihnen umgehen zu können. An dieser Stelle sind wir angekommen. Skalierbarkeit ist ein großes Problem, das ich orte. Vielleicht kann man jetzt noch manches händisch machen. Das geht morgen nicht mehr. Zum Beispiel Fake News und Desinformation. Das wird so viel werden, dass dem niemand mehr händisch nachlaufen kann. Also brauchen wir Maschinen dafür. Diese Maschinen müssen wir aber so designen, dass sie uns auch wirklich helfen. Dafür ist ein Land wie Österreich, aber auch jedes andere EU-Land, zu klein. Es braucht eine Kooperationsbasis, auf die wir uns gemeinsam einigen müssen.

Das Konzept Security by Design findet immer mehr Zuspruch, aber noch nicht jede Entwicklung beruht darauf. Wenn man das jetzt auf den von Ihnen verwendeten Begriff Responsibility by Design ummünzt, geht es dann überhaupt noch, das grundlegend und überall zu verankern?
Ja klar. Man muss nur anfangen. Es gibt viele Mechanismen, mit denen man einwirken kann. Man kann diese Thematik zum Beispiel wirtschaftlich angehen. Eine Problematik besteht darin, dass wir Software  – sehr plakativ gesprochen – im Wesentlichen heute noch so bauen, wie ich es vor 30 Jahren an der Uni gelernt habe. Wir schreiben eine Zeile Code, dann schreiben wir die zweite und am Schluss haben wir etwa bei einem Auto insgesamt hundert Millionen Codezeilen. Das ist für einen Menschen nicht mehr fassbar. Jetzt versuchen wir diese Systeme hektisch abzusichern und sprechen dann von Sicherheitslösungen. Das ist wie ein Fleckerlteppich und wird nie funktionieren. Aber langsam beginnt sich der Herstellungsprozess schon aus rein ökonomischen Gründen zu ändern.

Können Sie das vielleicht etwas näher ausführen?
Wenn man sich die Gesamtkosten einer Systementwicklung ansieht, dann laufen bis zu drei Viertel der gesamten Entwicklungskosten für das Testen und Verifizieren auf. Das ist doch absurd. Wenn man das umdreht und mehr Aufwand in die Designphase steckt, dann kostet die Planung zwar mehr, aber hinten raus wird es billiger. Der Entwicklungsprozess verändert sich. Deswegen müssen wir auf die Ausbildung einwirken. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, aber die nächste Generation wird es anders machen. 
Das beginnt langsam, etwa im Automotive-Bereich. Die Community hat das bemerkt, dafür hat es kein Gesetz gebraucht. Die Industriecommunity selbst hat sich zusammengetan, eine Regulierung eingeführt und sich selbst auferlegt, dass diese Digitalsysteme bezüglich Security permanent zertifiziert und überprüfbar werden. Es gibt den Druck Werkzeuge einzusetzen, mit denen man noch bevor man fertig ist nachweisen kann, wie der Entwicklungsprozess war. Wenn das alle machen, ist der Wettbewerb wieder hergestellt und niemand hat einen Nachteil. 
Die andere Seite, politisch getrieben oder von der Gesellschaft kommend, sieht man zum Beispiel an den NIS-Gesetzen (Anm.: Netz- und Informationssystemsicherheit). Die Gesellschaft hat sich überlegt, dass Energieversorgung und Telekommunikationsnetze grundlegend wichtig sind. Wenn die ausfallen haben wir als Gesellschaft, als Wirtschaftsstandort einen Schaden. Also legen wir top-down ein Gesetz fest. Die EU gibt eine Empfehlung ab, die in jedem Mitgliedsland als Gesetz umgesetzt wird. So sind wir zu unserem NIS-Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen gekommen, damit sie eben nicht so leicht ausfallen oder von außen leicht von jemandem abgeschaltet werden können. 
Die dritte Methode könnte sein, dass wir als Benutzer:innen unsere Kultur entwickeln und uns selbst Regeln auferlegen. Zum Beispiel das Thema Sucht bei Kindern hinsichtlich Spielen und dem Umgang mit den Medien, das meiner Meinung nach massiv ist. Es muss doch nicht sein, dass nur mehr ins Handy gestarrt wird und alle gemeinsam einsam am Tisch sitzen. Das lässt sich nur schlecht mit Gesetzen ändern, sondern muss ein kulturelles Thema sein, das wir in unsere Schulen und Familien tragen. Das sind keine technischen Features sondern liegen in der Verwendung durch den Endkunden begründet und sind somit gesellschaftliche Effekte, die sehr bedrohlich geworden sind. Da kann nicht immer ein Gesetz als Schutzwerkzeug helfen, darum muss man am Umgang mit der Technologie arbeiten.
Es geht also darum, wie ich Technik wirtschaftlich gesehen baue, um Regulierungen und Gesetze top-down, aber auch um die Benutzer:innen. Alle brauchen Ansätze und an denen müssen wir jetzt arbeiten. Parallel zur Technik-Entwicklung braucht es einen umfassenden gesellschaftlichen Diskurs.

Sie haben angesprochen, dass die Entwicklung in jüngster Zeit so schnell gelaufen ist, etwa zu sehen am Beispiel Social Media, dass die Kultur und der Gesetzgeber nicht hinterhergekommen sind. Jetzt ist es so, dass Kultur sich in einer gewissen Geschwindigkeit ändert und Technologie – zumindest heute – in einer deutlich höheren Geschwindigkeit. Kann das überhaupt irgendwann auf Par kommen?
Wir passen uns nicht an, sondern es wird permanent aufeinander abgestimmt. Es kommen laufend neue Features und neue Funktionen auf die Plattformen und die Benutzer:innen verwenden sie unterschiedlich. Sie springen einmal auf diese, dann auf eine andere Plattform. Gesellschaften mussten schon immer lernen, mit der Technik umzugehen. In den letzten 20 Jahren haben wir das einfach ignoriert. Deswegen haben unsere Kinder ihre Eltern und Lehrer überholt, weil sie besser verstanden haben, wie es funktioniert. Diese Systeme, die wir haben um unsere Gesellschaft auszuorientieren, sind überholt worden. Deswegen müssen wir dort ansetzen und etwas tun. 
Eine wichtige Aufgabe für uns als Forscher:innen, unser Auftrag von der Gesellschaft, ist in die Zukunft zu sehen. Wir wissen, was in fünf Jahren auf den Markt kommen wird, und müssen deshalb diesen Dialog antriggern. Wenn wir das nicht machen, wer dann sonst? Natürlich geht das nicht alleine. Wir haben eine technische Kompetenz. Aber es geht auch um Psychologie, um philosophische Fragen, es geht um Kultur, Medizin, die Gesetzgebung. Es braucht noch andere Mitakteure, ein Ökosystem um die Technik zu managen.
Nur zuzusehen, bis irgendein Hightech-Konzern etwas tut, das kann es nicht sein. Das wäre eine Ohnmacht und das wäre falsch. Das missverstehen viele. Wir bestimmen. Wir haben Macht als Benutzer:innen und sehr große Macht als Gesetzgeber. Auch als Entwickler:innen. Wenn wir als AIT bessere Systeme bauen, was unser Ziel ist, mit Security by Design und Privacy by Design, und diese Systeme besser funktionieren, die Produkte dadurch billiger oder besser angenommen werden, kann man die Entwicklung auch auf der wirtschaftlichen Seite mit beeinflussen. Das ist der wettbewerbliche, wirtschaftstreibende Ansatz.
Gleichzeitig können wir darüber reden, wie wir die Technik verwenden, und uns selbst Regeln machen. Auch das können wir antriggern. Wir können diese Probleme als Forscher:innen nicht lösen. Unsere Aufgabe ist es, einen Dialog anzustoßen, zu erklären und andere einzuladen, daran mitzuarbeiten. Darum ist das IDSF auch sehr breit aufgestellt und von Anfang an global.

Damit haben Sie den Bogen wieder schön zurück zum IDSF gespannt. Die Veranstaltung hat ein sehr umfangreiches Programm. Könnten Sie die großen Themengebiete, die angeschnitten werden, zusammenfassen?
Einige Bereiche stechen massiv heraus. Einer ist natürlich Cybersecurity im klassischen Sinne. Wie bauen wir die Technik und halten sie im globalen System sicher. Die Herausforderung ist, dass man plötzlich ohne große Hemmschwellen, großes Risiko und großen Geldeinsatz potenziell auf technische Systeme auf der ganzen Welt zugreifen und Schaden anrichten kann. Die frühere Hemmschwelle, dass man einbrechen und physische Gewalt anwenden musste, ist weggefallen. Heute hat man theoretisch acht Milliarden mögliche Zugreifende. Das ist bedrohlich. Deswegen müssen wir anders denken und diese digitalen Systeme sicher machen. Bei dem IDSF haben wir in dieser Hinsicht zwei Schwerpunkte. 
Das eine ist Capability Development: Fähigkeiten, um mit der Technik umzugehen. Damit sind wir bei Training und Ausbildung. Das IT-Personal muss die Fähigkeiten bekommen, die Systeme richtig zu betreiben, zu konfigurieren und auf Vorkommnisse zu reagieren. Das erfordert hohe Kompetenz. Ich traue mich zu sagen, dass Österreich und insbesondere das AIT hier eine führende Rolle im globalen Kontext eingenommen hat. Wir sind einer der weltweit akzeptierten Akteure, die im qualitativ hochwertigen Bereich Cybertrainings für Betreiber kritischer Infrastrukturen anbieten. Wir machen das etwa für die Atomenergiebehörde, zum Beispiel in Asien oder auch Afrika, und geben Betreibern von kritischer Infrastruktur Hilfestellung mit einer der modernsten Trainingsplattformen, die hochrealistisch den Betrieb eines IT-Systems und Angriffe darauf simuliert. Mit dieser ausgeklügelten Trainings-Plattform haben wir eine Führungsrolle erreicht und uns einen Namen gemacht.
Der zweite Punkt rund um das Cybersecurity-Thema, der durch aktuelle Geschehnisse immer wichtiger geworden ist, ist die Supply-Chain-Thematik. Keiner baut das Gesamtsystem, jeder hat seine Zulieferer. Die Automobil-Industrie beispielsweise hat extrem viele Zuliefere. Wie kann man in so einer Zulieferkette sicherstellen, dass das Endprodukt wirklich sicher ist? Flugzeugbauer kennen das, da ist jede Beilagscheibe eingeordnet. Bei digitalen Systemen ist das noch nicht so. Wie kann man also die Cybersecurity in der Supply Chain verbessern, global über alle Zulieferer? 
Was tun wir da? Es gibt ganz neue Regulierungen für die Automobilbranche. Für jedes Auto muss, damit es in der EU zugelassen wird, nachgewiesen werden, dass alle Digitalsysteme inklusive aller Zulieferteile den vorgeschriebenen Sicherheitsstandards genügen. Für diese Zertifizierungen braucht die Industrie Werkzeuge. Wenn sich ein Baustein in der Zulieferkette ändert, muss das Endsystem re-zertifiziert werden. Dafür haben wir zum Beispiel das Tool ThreatGet gebaut, eines der modernsten der Welt, mit dem der oder die Entwickler:in schon in der Planungsphase unterstützt wird. Er kann seine Supply Chain einplanen und das Werkzeug macht ihn bei Änderungen automatisiert auf Abhängigkeiten aufmerksam. Wir versuchen die globale Herstellerindustrie mit Technologiewerkzeugen Made in Austria zu beeinflussen. 
Die zweite Thematik beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz und großen Datenmengen, Responsible AI und Verwendung von AI im öffentlichen Bereich. Wie machen wir das? Wie setzen wir es ein? Wie kann man Missbrauch verhindern? Für Softwaretests reicht die Erfahrung mehr als 50 Jahre zurück. Aber es gibt sehr wenig Erfahrung damit, wie man die Algorithmen von künstlicher Intelligenz testet. Deswegen haben wir einen Forschungsschwerpunkt darauf gesetzt, wie man diese Algorithmen besser testen kann. Bis dahin muss man vorsichtig sein und andere Methoden verwenden um sicherzustellen, dass ein AI-Algorithmus, wenn er nicht richtig funktioniert, keinen Schaden anrichtet. Das sind technische Fragen, aber man muss auch mit den Nicht-Techniker:innen darüber reden, damit sie das verstehen. Unserer Rolle ist es, die Behörden zu warnen und ihnen dabei zu helfen, diese Technologien nicht falsch einzusetzen.
Der dritte Punkt ist auch stark im Wechselspiel zwischen Technik und Behörden verankert, nämlich der Einsatz von Biometrie, der gerade um sich greift. In jedem Smartphone stecken Face Recognition und Fingerabdruckerkennung. An Grenzübertritten wird das immer wichtiger. Das ist einerseits eine mögliche Bedrohung, andererseits im Sinne der Terrorismusbekämpfung eine wichtige Funktion. Was kann man tun, damit diese Technologie vernünftig verwendet und nicht missbraucht wird? Man kann Regeln und Gesetze machen, wie diese sensiblen, personenbezogenen Daten aufbehalten werden dürfen. Das betrifft jeden Staat, denn wenn man als Tourist:in unterwegs ist hätte man es gerne, dass überall, wo diese Daten aufgenommen werden, auch sorgsam damit umgegangen wird. Wie kann man das System-Design so gestalten, Stichwort Privacy by Design, dass nicht jeder diese Daten einfach auslesen und kopieren kann, sondern nur Behörden mit speziellen Schlüsseln, die einem globalen Regulierungs- oder Gesetzeskontext unterliegen? 
Worauf wir dieses Jahr ebenfalls einen Schwerpunkt gelegt haben, weil es für alle interessant ist, ist das Thema Sicherheitsforschung unter Finanzierung durch die öffentliche Hand, auf nationaler Ebene, EU-Ebene aber auch international. Da muss man sehr früh ansetzen. In der EU gibt es sehr umfassende Programme, die wir vorstellen und über die wir diskutieren. Denn die sind ein sehr großer Treiber für die gesamte Aktivität.
Wir starten einen Dialog, zeigen auf, diskutieren und versuchen einen globalen Diskurs damit anzuregen, der sich nach der Konferenz in weiterführenden Projekten fortsetzen soll. Aber die Frage des Technik-Einsatzes hat eine sehr starke gesellschaftliche, soziale, geisteswissenschaftliche Komponente. Um die wissenschaftliche Community anzutriggern, sich mit diesen Fragen fundiert wissenschaftlich im Rahmen von Projekten auseinanderzusetzen, haben wir diesmal auch eine wissenschaftliche Social-Science-Konferenz mit angehängt. Der haben wir einen Tag gewidmet, an dem sich die Wissenschaftler:innen der Sozialwissenschaften zu den Schwerpunktthemen austauschen und mehr ins Detail gehen. Das ist dann nicht für Jedermann einfach verständlich. Das Dialogforum soll interdisziplinär und für jeden verständlich sein. Aber daran angedockt, auch um Synergieeffekte zu erzeugen, werden spezielle Themen im Kontext der Digitalisierung und dem verantwortungsvollen Umgang damit durch die Geisteswissenschaftler:innen bearbeitet.
Das ist in diesem Jahr ein Versuchsballon, den wir sehr gerne wachsen lassen würden, damit ein bewusster, wissenschaftlich fundierter globaler Diskurs auch am Standort Österreich geführt wird und damit Österreichs Digitalisierungskompetenz abgebildet wird.
Ein weiterer Aspekt der Konferenz ist die begleitende Ausstellung von Firmen, die wir organisieren. Wir haben das Motto Made in Austria und holen die Hersteller, bei uns vor allem die KMU, die Kleinst- und Kleinbetriebe, die auch im globalen Kontext coole Lösungen haben, vor den Vorhang. Die KMU haben es schwer, auf allen Messen dieser Welt aufzutreten. Es ist nicht einfach, einen globalen Markt zu bedienen. Eine Zielsetzung der Konferenz ist es auch, ein Schaufenster für die österreichischen KMU zu sein und die Welt zu ihnen zu bringen. 

Gibt es für Sie persönlich irgendwelche Highlights dieser drei Tage, die sie besonders spannend finden und auf die Sie sich freuen? 
Es passiert so viel, mit so viel Dynamik dahinter, es melden sich so viele aus der ganzen Welt proaktiv, die gerne mitmachen und teilhaben wollen. Alleine diese Dynamik ist ein Wahnsinn und nicht selbstverständlich. Es ist immer ein Abenteuer, die ganze Welt zusammenzuführen. 
Der Mehrwert des IDSF ist, dass es sich nicht um eine technische Detailkonferenz mit ihrem eigenen Publikum und einer eigenen Logik dahinter handelt, die zu speziell ist und deswegen niemand anderen abholt. So ein Dialogforum ist unheimlich spannend, weil Forscher:innen und Vertreter:innen aus Industrie und Behörden sich in einer offenen Atmosphäre auf Augenhöhe treffen, um ihre jeweiligen Standpunkte und Sichtweisen auszutauschen und somit grundlegende Problemstellungen aus den unterschiedlichen Perspektiven erörtern. Deswegen ist es ein Experiment, dass sich hier Techniker:innen, Experten:innen, Forscher:innen, Behördenvertreter:innen bis hin zu denen, die unsere Gesellschaft mit formen und deswegen diese Dinge verstehen müssen, zum Dialog versammeln. Diesen Dialog über den verantwortungsvollen Einsatz und die Gestaltung von Technik wollen wir antriggern. Den größten Erfolg haben wir, wenn in der ganzen Welt gesehen wird, dass in diesem Zusammenhang in Österreich etwas Interessantes passiert.

Der Auftakt des IDSF fand im letzten Jahr zwangsweise virtuell statt, war aber trotzdem mit rund 500 Teilnehmern aus 40 Staaten und 68 Vortragenden beachtlich. Wissen Sie schon ungefähr, wie es dieses Jahr aussehen wird?
Es war traurig und Corona geschuldet, dass das IDSF letztes Jahr rein virtuell stattgefunden hat. So ein Forum lebt ganz massiv eben genau davon, dass die Leute nicht vor dem Bildschirm sitzen. Wir haben es dennoch gemacht, um einen Startpunkt zu setzen und die Community aufzubauen. Das war wichtig. Dass das IDSF letztes Mal, obwohl es virtuell war, so gut angenommen wurde, war für uns eine Überraschung. Ich lasse mich überraschen aber Zahlen zu diesem Mal haben wir noch keine, das wäre noch zu früh. Aber rein von den Speaker:innen, die geplant sind, kann man von einer Zahl von über hundert ausgehen.

Ab wann würden Sie den Event für sich als Erfolg verbuchen? Was ist Ihr Ziel und was wollen Sie erreichen?
Am Schluss, nicht unbedingt schon bei dieser Veranstaltung, sondern nach einer Reihe von Aktivitäten und wenn die Pandemie vorbei ist, soll der Standort Österreich mit dem verantwortungsvollen Umgang mit Digitalisierung in Verbindung gebracht werden. Wenn die Community aus Behörden, Industrie und Forscher:innen weiß, dass diese Diskussion in Österreich geführt wird und dieses Dialogforum von ihnen akzeptiert wird, dann haben wir gewonnen. Für mich ist es dann ein Erfolg, wenn Österreich und Wien mit diesem Thema verbunden werden. Denn das fehlt uns. Wenn man von Digitalisierung spricht, denkt man sofort an Amerika und seine Software oder China und seine Hardware. Europa kommt nicht vor. Mein ehrgeiziges Ziel ist es, Österreich in den Mittelpunkt der digitalen Welt zu setzen. (RNF)

https://idsf.io/