Dr. Thomas Rettenwander (li.) und Johannes Mandler gelingt mit ihrer FFP-Technologie der Durchbruch bei der Herstellung bionischer Faserverbundstrukturen. © fibionic
Bionisch optimierte Verstärkungsstrukturen machen Kunststoffteile besonders leicht, stabil und langlebig.
Ein höchst innovatives Verfahren eines österreichischen Start-ups bringt einen Durchbruch in ihrer effizienten und wirtschaftlichen Großserienherstellung.
Es liegt Pioniergeist in der Luft, als sich das Tor der Doppelgarage in dem kleinen Tiroler Örtchen Thaur nahe Innsbruck öffnet und den Blick auf eine Fertigungsanlage zur Herstellung bionischer Faserverbundstrukturen (FVK) freigibt, die ihresgleichen sucht. So oder ähnlich muss es gewesen sein, als Bill Gates Microsoft in der Garage gegründet hat. Ob den beiden Firmengründern der jungen fibionic GmbH, Thomas Rettenwander und Johannes Mandler, der gleiche Erfolg beschieden sein wird, wird die Zukunft weisen. Aber eines ist sicher: Das Potenzial dieser neuen Fertigungstechnologie ist gewaltig.
„Unser Ziel war es, ein möglichst effizientes Produktionsverfahren für FVK zu entwickeln und damit den bionischen Designansatz in die Großserienproduktion zu bringen. Ich hatte mich bereits in meiner Dissertation mit Auslegungsmethoden zur Berechnung bionischer FVK beschäftigt und die enormen Vorteile dieses Gestaltungsgrundsatzes erkannt. Gemeinsam mit dem Automatisierungsexperten Johannes Mandler ist es dann gelungen, mit unserem fibionic fiber placement, kurz FFP, ein großserientaugliches Verfahren zu entwickeln“, so Thomas Rettenwander.
Bis zu 50 Mal schneller als herkömmliche Verfahren
Das Revolutionäre dabei: Im Gegensatz zu allen anderen bekannten Verfahren positioniert fibionic alle Rovings einer Lage auf einen Schlag, innerhalb von nur 1,5 Sekunden. Damit ist FFP bis zu 50 Mal schneller als herkömmliche Verfahren, bei denen einzelne Rovings aufgestickt oder einzelne Tapestücke abgelegt werden.
Dank eines ebenfalls neu entwickelten parallelisierbaren Konsolidierverfahrens lassen sich Halbzeuge im Minutentakt produzieren. Diese ultrakurzen Taktzeiten ermöglichen es, einen durchgängigen Produktionsprozess vom Roving bis zum umgeformten Halbzeug auf einer Anlagenstellfläche von nur 15 Quadratmetern abzubilden.
Die enormen Vorteile bringt Johannes Mandler auf den Punkt: „Unsere FFP-Anlagen lassen sich somit direkt in eine Spritzgusslinie integrieren. Mit keinem anderen Verfahren ist eine durchgängige Produktion vom Roving bis zum hinterspritzten Teil auf dieser kleinen Fläche und mit diesen geringen Zykluszeiten möglich. Und: Wir kommen mit Werkzeugkosten aus, die bis Faktor zehn unter denen konventioneller Verfahren liegen.“
Bionische Prototypen in vier bis acht Wochen
Allerdings müssen sich Anwender, die schon auf den Geschmack gekommen sind und sofort in eigene FFP-Anlagen von fibionic investieren wollen, noch gedulden. Denn derzeit ist das Start-up noch mit der Erweiterung seiner internen Produktion beschäftigt, produziert die gewünschten Verstärkungsstrukturen als Halbzeuge und stellt sie seinen Kunden zur Komplettierung bereit. Erst in zwei bis drei Jahren soll die Technologie in Lizenz angeboten und erste Anlagen direkt an Kunden beispielsweise aus der Automobil- und deren Zulieferindustrie ausgeliefert werden.
Im Hinblick auf die Stückzahlen könnte die FFP-Technologie nicht flexibler sein. Zwar zielt fibionic auf größere Serien in einem Stückzahlbereich von 5.000 bis größer eine Million pro Jahr ab, aber: „Durch unser Dienstleistungsportfolio, von der FEM-Simulation bis zum fertigen bionischen Prototyp, ist es uns auch möglich, innerhalb von vier bis acht Wochen kleinere Losgrößen bis zu 200 Stück quasi im Handumdrehen zu produzieren“, erklärt Thomas Rettenwander.
Robotergestütztes Verfahren mit beeindruckendem Potenzial
So gerne die beiden Firmengründer über die Vorteile ihrer FFP-Technologie Auskunft geben, so schweigsam werden sie, geht es um die konkrete Beschreibung ihres patentierten Verfahrens. Groß ist die Angst, zu viel Know-how preiszugeben. Verständlich, bei dem gewaltigen Technologievorsprung, den diese Technologie bietet.
Der entscheidende Unterschied zu bekannten Verfahren liegt darin, dass alle zur Verarbeitung ausgewählten Hybridgarne, die sogenannten commingled yarns, zeitgleich verarbeitet werden. Die entsprechenden Garnspulen für jeden abzulegenden Roving befinden sich aufgereiht in einem Gatter an der Stirnseite der Anlage. Als Verstärkungsfaser dient vorwiegend Carbon, aber auch Glas, Aramid, Naturfasern und selbst feine Kupferdrähte oder sonstiges „Fasermaterial“ sind denkbar.
Im ersten Schritt werden die Rovings von einer eigens entwickelten Mechanik exakt in der benötigten Länge in die Anlage gezogen und zur Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Im nächsten Schritt müssen alle Rovings einer Lage zeitgleich in einem Werkzeug positioniert und entsprechend ausgerichtet werden. Alle weiteren taktzeitentscheidenden Handhabungsschritte obliegen einem Sechsachsroboter.
Präziser und schneller Roboter für die Handhabung
Dabei hat sich fibionic für einen Stäubli TX2-90XL entschieden. Der schnelle und hochpräzise Roboter entnimmt die ausgerichteten Rovings mit einem speziellen Multifunktionsgreifer aus dem Werkzeug und legt sie auf einer Handlingplatte ab. Mit höchster Dynamik wiederholt der Sechsachser diesen Vorgang, bis die gewünschte Lagenanzahl entsprechend der geforderten Halbzeugdicke erreicht ist.
Um den Roboter für das komplette Aufgabenspektrum zu qualifizieren, hat ihn Johannes Mandler mit einem komplexen Mehrfachgreifsystem ausgestattet. Damit kann der TX2-90XL auch die fertig bestückte Platte mit den abgelegten Rovings greifen, in die Konsolidierstation transportieren und dort ablegen. Ist das abgekühlte Halbzeug nach dem Konsolidieren von der Handlingplatte gelöst, übernimmt der Roboter deren Rückführung in die Ausgangsposition. Zu guter Letzt erfolgt der Randbeschnitt des 2D-Bauteils unter Einhaltung sehr enger Toleranzen, und erst ganz zum Schluss das abschließende Thermoformen zum finalen Halbzeug.
„Ohne die beeindruckende Performance des Stäubli-Roboters hätten wir unser Verfahren in dieser Form und mit diesen kurzen Taktzeiten nicht realisieren können. Der Sechsachser erfüllt die hohen Geschwindigkeits- und Präzisionsanforderungen unserer Handlingoperationen mit Bravour. Andererseits sind wir vom Stäubli-Kundensupport und der offenen und frischen Herangehensweise gegenüber Start-ups begeistert“, so Johannes Mandler.
Wegweisendes Verfahren erhält Fördermittel und Innovationspreise
Dass Stäubli im Gegenzug der FFP-Technologie von fibionic großes Potenzial attestiert, unterstrich der Roboterhersteller beim Partner Event Austria mit der Verleihung des Best-Awards in der Kategorie Start-up. Mittlerweile darf sich fibionic über weitere Innovationspreise ebenso freuen wie über staatliche Fördergelder, hier vor allem über das Seedfinancing – Deep Tech des AWS (Austria Wirtschaftsservice). Bei den vielen Vorteilen, die diese Technologie bietet, sind solche Anerkennungen und Förderungen nur folgerichtig.
Immerhin handelt es sich beim fibionic fiber placement nach Aussage seiner Entwickler um die weltweit erste großserientaugliche Technologie zur Produktion von lastpfadoptimierten Verstärkungsstrukturen aus Endlosfasern. Dabei ermöglicht es FFP, das Bauteilgewicht um bis zu 50 Prozent zu reduzieren und somit die Produktperformance signifikant zu verbessern.
Auch in Sachen Nachhaltigkeit kann diese Technologie punkten: Da Verstärkungsfasern im Lastfluss in Bauteilen eingebracht werden, kann das Potenzial des Materials optimal ausgenutzt werden, was den Materialeinsatz signifikant reduziert. Außerdem erlaubt die fibionic-Technologie eine Produktion nahezu ohne Fertigungsabfälle. Und: Durch das geringe Gewicht der fibionic Strukturen sind auch im Betrieb signifikante Energieeinsparungen und damit verbunden CO₂-Reduktionen garantiert. Zu guter Letzt sind die thermoplastischen FVK am Ende ihres Lebenszyklus recycelbar.
„Somit kann unsere FFP-Technologie über alle Lebenszyklen hinweg einen Beitrag zu nachhaltigeren Produkten leisten. Der vielleicht größte Vorteil für unsere Kunden besteht aber darin, dass wir dank des geringen Materialeinsatzes und der schnellen, gut automatisierbaren Fertigung bionische Verstärkungsstrukturen besonders kostengünstig anbieten können“, sagt Thomas Rettenwander abschließend. (RNF)