Vom Wollen zum Tun – der Weg zur Effizienz

NEW BUSINESS - NR. 12, DEZEMBER 2024
Wie schaffen wir – ohne uns krank zu machen – unser Arbeitspensum? © Adobe Stock/Avve Diana

Effizient arbeiten, produktiv sein – alle wollen es, kaum einer bekommt es hin. Warum wir prokrastinieren, Multitasking überschätzen und mit kleinen Schritten Großes schaffen.

Der Schreibtisch ist voll, der Terminkalender und der Kopf auch. Die Ausgangssituation ist vielen bekannt, genauso die vielen Tipps und Tricks für ein besseres Zeitmanagement. Und doch: Es will nicht so recht klappen mit der besseren Arbeitseinteilung und dem entspannten, vorausschauenden Arbeiten. Und dann mischt sich auch noch ein leichter Anflug von Panik in die Überlegungen: Wie soll sich das alles ausgehen? So ist es der Autorin dieser Zeilen Anfang 2023 ergangen. Also musste eine Lösung her, und die hieß in meinem Fall Gottfried Hündler, seines Zeichens Produktivitätscoach. 

Sein Versprechen „Eine Stunde Zeitgewinn pro Tag“ klang verführerisch. Also greife ich zum Telefon und vereinbare einen ersten Termin. Ich erkläre meine Situation, und alles, was ich erzähle, hat der Produktivitätsprofi schon hundertfach von seinen Kunden gehört. Es beruhigt, dass ich nicht die einzige bin, die so manches nicht im Griff hat, macht es im Augenblick aber noch nicht besser. Gottfried Hündler erklärt mir sein Programm, das auf Erkenntnissen der Forschung sowie seiner eigenen Erfahrung als Führungskraft bei einem großen Markenartikelunternehmen aufbaut und Unternehmer:innen und Führungskräften nicht nur einen Ausweg aus ihrem Hamsterrad zeigen will, sondern ihnen auch die Freude am Job zurückgeben soll. Dafür erarbeitet Hündler mit seinen Klienten einen persönlichen Produktivitätsplan. „Wer am Ende des Arbeitstages weiß, dass die spielentscheidenden Dinge erledigt wurden, der fühlt sich einfach großartig“, sagt Hündler. Diesen „Wow-Effekt“ sollen seine Kund:innen bereits nach wenigen Wochen erleben. Doch da bin ich noch lange nicht. 
 
Verschieberitis
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, weiß der Volksmund. Er spricht aber auch von „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ Doch dieser Appell verhallt oft ungehört. Stattdessen schieben und verschieben wir Geplantes immer wieder vor uns her. Fachleute nennen dieses weit verbreitete Phänomen Prokrastination. Obwohl wir genau wissen, was zu tun ist, fällt es uns schwer, direkt damit zu beginnen. Dafür gibt laut Expert:innen auch psychologische Gründe. Oft schieben wir Aufgaben auf, weil wir Angst haben, nicht gut genug zu sein oder die Aufgabe nicht optimal zu erledigen. Dieses Angstgefühl führt zu einem Vermeidungsverhalten, das sich durch Prokrastination äußert. Aber auch wenn uns eine Aufgabe zu groß oder zu komplex erscheint, wir uns überfordert fühlen, vermeiden wir sie lieber, anstatt sie anzugehen.

Und dann schieben wir Aufgaben, die uns einfach nicht interessieren oder für die wir keinen unmittelbaren Nutzen sehen, vor uns her. Diese Probleme dürften auch die Japaner kennen. Denn Saya Kashiwakura und Kazuo Hiraki von der University of Tokyo haben sich in einer Studie, die im Frühjahr diesen Jahres auf Nature.com veröffentlicht wurde, ebenfalls mit der Verschieberitis beschäftigt und herausgefunden, dass die Prokrastination auch durch die Art beeinflusst wird, wie wir über die Zukunft denken. Kashiwakura und Hiraki entdeckten, dass Menschen, die glauben, dass sich ihre Stresssituation in der Zukunft verbessern wird, weniger dazu neigen, Aufgaben aufzuschieben. Optimismus über die eigene Zukunft könnte also ein Schlüssel sein, um die Dinge gleich anzugehen.

Ein Mythos und seine Fallstricke
Eigentlich muss man einen Text schreiben oder seine Buchhaltung machen, doch das konzentrierte Arbeiten wird durch den Eingang eiliger Mails, Anrufe oder Nachrichten durchbrochen, zwischendurch werden Videocalls erforderlich und man muss natürlich nebenbei seine Social-Media-Accounts im Blick behalten. Also machen wir alles gleichzeitig, springen von einer Aufgabe zu anderen und denken, enorm produktiv zu sein. Dieses Phänomen nennt sich Multitasking und wir glauben, dass wir es beherrschen.

Welche Auswirkungen der Versuch, alles gleichzeitig zu machen, und in seiner dauernd Arbeit unterbrochen zu werden auf unser körperliches Stresssystem haben, hat die Deutsche Hirnforschung untersucht. Das wesentliche Ergebnis: Bei Multitasking kam es bei den Probanden zu einer deutlichen Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Über dieses werden die Hormone Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt. Dadurch steigt die Herzfrequenz an und die Blutgefäße verengen sich, was wiederum den Blutdruck erhöht. Auch die Studienteilnehmer­:innen nahmen diese Situationen als „stressig“ war. Eigenwahrnehmung und körperliche Reaktion deckten sich also.

„Das menschliche Gehirn kann nur eine geringe Anzahl an Aufgaben parallel erledigen. Erst recht, wenn die Aufgaben ähnliche Hirnregionen fordern. So ist Bügeln und gleichzeitig zu singen weniger anspruchsvoll als einer Fachdiskussion in einem Meeting zu folgen und nebenbei eine Mail zu beantworten – besonders dann, wenn man solche Mehrbelastungen Tag für Tag auf sich nimmt“, erklärt Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung: „Das Ergebnis der Studie ist ein klares Warnsignal. Wir sollten versuchen, digitales und nicht-digitales Multitasking zu reduzieren, stattdessen besser eine Aufgabe nach der anderen erledigen. Außerdem sollte man sich möglichst vor störenden Unterbrechungen schützen und beispielsweise auch die ständige Erreichbarkeit überdenken – dies gilt praktisch für alle Situationen mit Mehrfachbelastungen – am Arbeitsplatz wie im Privatleben“, lautet die Empfehlung des Experten. 

Optimierungswahn
Wir stressen uns aber nicht nur in der Arbeit. Wir wollen ein optimales Leben führen. Die erste Joggingrunde gleich in der Früh, das gesunde, vollwertige Frühstück mit einem großen Glas Wasser im Anschluss, eine Runde Meditation, Achtsamkeitstagebuch führen und die positiven Gedanken nicht vergessen. Häufig besteht bei Menschen der Wunsch, das Beste aus sich und dem Alltag herauszuholen. Aber ist eine Optimierung immer möglich und ist das Streben nach der besten Version seiner selbst immer gesund?

Dieser Frage haben sich die Expert:innen der deutschen Oberberg Kliniken angenommen, und die sagen, dass die Annahme, „alles ist möglich“, kritisch hinterfragt werden sollte. Denn es gibt Limitierungen, auf die man keinen oder nur beschränkt Einfluss hat. Außerdem sollte darauf geachtet werden, dass der Wunsch nach Optimierung nicht zum Zwang wird. Denn wenn der ganze Tag durchgetaktet ist und immer das Optimum angestrebt wird, bleibt wenig Raum für spontane Erlebnisse. Und genau die sind wichtig, um abzuschalten und mental aufzutanken. Außerdem bestehe die Gefahr der Frustration, wenn man seine selbst auferlegten Alltagsroutinen nicht einhalten kann. Im schlimmsten Fall führt das in ein Burnout. 

Produktiver arbeiten
Aber wie schaffen wir – ohne uns krank zu machen – unser Arbeitspensum? Eine Google-Abfrage zum Thema Selbst- und Zeitmanagement ergibt eine Unmenge an Tipps und Tricks, die sich im Grunde immer um dieselben Ansätze drehen. Man solle Ziele festlegen. Am besten nach der SMART-Formel – also spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitlich definiert müssen sie sein. Nach dem Ziel kommen die Prioritäten. Dabei ist es hilfreich, bei jeder Aufgabe zu überlegen, ob sie wichtig und/oder dringend ist. Eine bewährte Methode zur Unterscheidung zwischen dringenden und wichtigen Aufgaben ist die Eisenhower-Matrix, benannt nach dem ehemaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, die dabei hilft, den Fokus auf das Wesentliche zu legen. To-do-Listen können und sollen auch mehr sein als eine einfache Aufzählung von Aufgaben. Sie helfen dabei, den Arbeitsalltag zu organisieren und den eigenen Fortschritt zu verfolgen und zu visualisieren.

Das Prinzip der Pomodoro-Technik empfiehlt, die Arbeit in kurze, konzentrierte Intervalle von 25 Minuten einzuteilen, gefolgt von einer kurzen Pause. Nach vier Sets gibt es eine längere Pause. Gerade die wird in der Hektik des Alltags oft als Luxus betrachtet, der entbehrt werden kann. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: Regelmäßige kurze Unterbrechungen sind entscheidend für die physische und mentale Gesundheit. Pausen sind keine Zeitverschwendung, sondern eine Investition in Produktivität und Wohlbefinden. Auch Delegieren ist ein probates Mittel, seinen Stress zu reduzieren. Sofern man jemanden hat, an den man Arbeit abgeben kann. 

Und dann passiert es doch …
Und was ist jetzt mit meinem anfangs versprochenen Wow-Effekt? Gottfried Hündler und ich treffen einander rund zehn Mal für rund zwei Stunden. Neben der Theorie, in der auch die oben genannten Techniken vorkommen, geht es auch ganz konkret um meinen Arbeitsalltag. Wann und wie mache ich was und was lenkt mich dabei besonders ab. Vieles weiß ich aus Selbstreflexion, manches ist mir komplett neu. Also stelle ich gemeinsam mit Gottfried vieles in Frage und beginne Schritt für Schritt mit der Umsetzung. Wer sagt, dass ich dauernd erreichbar sein muss, wenn ich eigentlich so wie jetzt einen Artikel schreiben muss.

Also: Handy aus, Outlook zu (die aufpoppenden kleinen Briefchen üben eine magische Anziehungskraft aus) und ran an die Tastatur. Ich hole mir die Hoheit über meine Termine zurück. Es kann also durchaus passieren, dass ich in meinem Kalender auf einen leeren Wochentag blicke und meinem Gesprächspartner trotzdem erst einen Termin am darauffolgenden Tag anbiete, an dem ich sowieso unterwegs bin. Ich beginne meine E-Mails zu verarbeiten statt sie nur zu bearbeiten. Und ich habe eine übersichtliche To-do-Liste. Und dann ist er da: der Wow-Effekt. Plötzlich geht vieles ganz leicht von der Hand, ich bin produktiver und auch schneller. Manchmal verrutscht das System und ein leichtes Durcheinander macht sich am Schreibtisch und im Kopf breit. Aber dann weiß ich ja was zu tun ist. Handy aus, Outlook zu und ran an die Tastatur. (BS)