Kundenbindung auf allen Kanälen

NEW BUSINESS - NR. 6, JULI/AUGUST 2018
Einige Kunden kaufen lieber direkt im ­Geschäft ein, andere shoppen lieber online auf Tablet, Smartphone oder PC. Sie alle gilt es mit einer Strategie abzuholen. © Fotolia/max vector

Omnichannel Retailing eröffnet große Potenziale zur Kundengewinnung und -bindung. Denn: Die moderne Customer Journey spielt sich nicht in getrennten Welten ab, sondern online und offline ...

... Doch wie gut sind die heimischen Einzelhändler auf diese Realität eingestellt?

Jeder zweite Kunde, der ein Fahrrad kaufen möchte, betritt das Geschäft bestens informiert. Er hat schon vorab ausgiebig im Netz recherchiert, Flugblätter konsultiert und auf Werbung geachtet. Im digitalen Zeitalter ist das nahtlose Ineinandergreifen von On- und Offlinekanälen während des Einkaufserlebnisses schon fast eine Selbstverständlichkeit. Um jedem Konsumenten das ideale Einkaufserlebnis zu bieten und wettbewerbsfähig zu bleiben ist es unabdingbar, dass die Verbindung aller Vertriebskanäle reibungslos funktioniert. Denn Omni­channel Retailing eröffnet riesige Potenziale zur Kundengewinnung und -bindung. Aber schöpft Österreich im Einzelhandel auch aus dem Vollen?

Große Chance für den österreichischen Handel
Dieser Frage ist der Handelsverband in seiner neuen Studie „Omnichannel Readiness Index 2018“ nachgegangen. In Kooperation mit Google und dem Marktforschungsinstitut MindTake publizierte er einen Report, der erstmals 44 wichtige Einzelhändler Österreichs aller Branchen nach ihrer Omnichannel-Reife vergleicht und benchmarkt. Anhand von knapp 100 Einzelkriterien wurde geprüft, wie gut die Kanäle der Big Player im österreichischen Retail verzahnt sind. „Wir verstehen Omnichannel als Chance, den Konsumenten zu gewinnen und zu binden, online wie stationär. Wir wollen dem österreichischen Handel mit der vorliegenden Studie – mit dem ORI-Index – ein Tool zur Ergreifung dieser Chance an die Hand geben“, so Matthias Zacek, Industry Head Austria bei Google. Auch Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes ist von dem neuen Werkzeug für den Handel überzeugt: „Wir haben einen Benchmark entwickelt, einen Leitfaden und Fahrplan mit konkreten Empfehlungen für künftige Entwicklungen und Investitionen – für den gesamten Markt, vom KMU-Händler bis zum großen Handelsunternehmen.“ Die gute Nachricht des Vergleichs: Insgesamt erzielen die 44 betrachteten Shops gute Ergebnisse, jedoch schaffen es nur zwölf Händler mit mehr als 67 Prozent ins obere Drittel des Gesamtrankings. Die DIY-Branche mit den Vertretern OBI, Hornbach und Bauhaus liefert mit durchschnittlich 74 Prozent die besten Werte, dicht gefolgt von der Warengruppe Bücher & Papierbedarf (68 Prozent) sowie dem Segment Drogerie & Parfümerie (65 Prozent). „Überraschend positiv ist, dass sich der Lebensmitteleinzelhandel dank signifikanter Innovationsschritte durchaus mit Omnichannel-Größen des Non- und Near-Food-Einzelhandels messen kann“, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Shopping via Smartphone boomt
Laut der E-Commerce-Studie des Handelsverbandes wurden 2017 mobil um 25 Prozent mehr Umsätze getätigt als noch im Vorjahr. 69 Prozent der Kunden verwenden das Smartphone, um sich über einen Händler zu informieren oder online zu kaufen. Omnichannel heißt deshalb auch, mobil bequem und schnell verfügbar zu sein: Mit einer mobil optimierten Seite, schnellen Ladezeiten sowie mobiloptimierten Funktionen wie Geolocation und Click-to-Call. Die betrachteten Händler erreichen mit durchschnittlich 72 Prozent einen guten Wert: Alle verfügen über eine mobiloptimierte Website und 27 Prozent erfüllen die höchsten Ansprüche an den mobilen Filialfinder: Eine Kartenansicht mit Geolocation und Click-to-Call direkt in die Filiale. Den höchsten Wert von 89 Prozent in dieser Disziplin erreicht OBI. Die mobil optimierte OBI-Webseite lädt innerhalb von 4 Sekunden, mit wenigen Klicks können Filialinfos inklusive der Rufnummer einzelner Filialen gefunden und mit dem Handy per Click & Call direkt angerufen werden – ein Service, welches Konsumenten ausgesprochen wichtig ist.

Transparenz bei Bezahlung und Versand sowie Personalisierung sind Must-haves
Im Bereich „Transparenz“ ist Hornbach Klassensieger. Der DIY-Händler offeriert seinen Kunden eine übersichtliche Suche mit vier Filterfunktionen. Informationen zu Versand, Bezahlung und Retouren sind vor dem Kauf mit wenigen Klicks auffindbar, Features, die für über 80 Prozent der Kunden extrem wichtig sind. Das Vorhandensein des gewünschten Produkts wird sowohl für den Onlineshop als auch für die Filialen angezeigt, ebenso, wie ein Zeitfenster für die Auslieferung bekannt gegeben wird, separat für jedes Produkt. Gütesiegel wie z. B. das Handelsverband-Trustmark schaffen Vertrauen.
Auch „Personalisierung“ steht bei Kundenansprüchen ganz oben. Hier ist der Möbelhändler Kika Spitzenreiter: Neben der Möglichkeit, Produkte auf eine Merkliste zu setzen, was auch die anderen 75 Prozent der Händler anbieten, kann bei Kika die Liste auch geteilt werden – mit nur wenigen Klicks kann man Freunde oder Familienmitglieder an den neuesten Wünschen teilhaben lassen. Dicht hinter Kika liegen mit je 73 Prozent Conrad, Libro, Saturn und dm. Letzterer setzt beispielsweise intensiv auf die Community: Der größte Drogeriehändler Österreichs bietet ausführliche Produktbewertungen anderer Kunden sowie die Möglichkeit, zu jedem Produkt Fragen zu stellen. In der Sektion „Das könnte Sie auch interessieren” werden Kontext-Empfehlungen gegeben – ein Reihe an Orientierungshilfen, die den Onlineeinkauf menschlicher und persönlicher machen. Der Warenkorb bleibt auch nach Schließen des Browsers erhalten, außerdem laden diverse Social-Share-Optionen und ein gut kommuniziertes Loyalty-Programm zur Treue ein.

Spontankäufe passieren eher im Laden
Omnichannel heißt nicht nur, in allen Kanälen einkaufen zu können, sondern auch, in allen Kanälen für den Konsumenten da zu sein. Darauf hat sich laut Handelsverband Report das Möbelhaus Möbelix optimal eingestellt: Newsletter, FAQs, Hotline, Rückruf-Bitte, E-Mail-Anfrage per Kontaktformular, Facebook Messenger, Live Chat, Google Click-to-Call: Möbelix bietet seinen Kunden zahlreiche Optionen an, mit ihm in Kontakt zu treten – mit dem Unternehmen selbst, mit den einzelnen Filialen direkt, am Desktop wie mobil.
Das Ass der Omnichannel-Händler gegenüber den reinen Online-Playern: Der Laden! 89 Prozent der einzelhandelsrelevanten Umsätze werden auf der Fläche getätigt. Hier profitiert der Kunde von persönlicher Beratung und tätigt zusätzlich Spontankäufe. Es gilt also, den Kunden in die Filiale einzuladen. Hervis macht es seinen Kunden leicht: Eine schnell auffindbare, filterbare Filialliste mit Routenplaner lädt zum Kommen ein. Im Webshop ist der Filial-Warenbestand einsehbar, ein Service, das auch 66 Prozent der anderen Händler anbieten. Bei Hervis können die Produkte aber zusätzlich nach Filialverfügbarkeit gefiltert werden – das beherrschen nur neun Prozent der analysierten Shops. Außerdem lockt der digitale Kauf ins Geschäft: Online gekaufte oder reservierte Produkte können in der Filiale abgeholt und auch dort retourniert werden.

Kundenansprüche und Händleroptionen gehen oft auseinander
Im Zentrum steht der Kunde: Will er ein Produkt heute schnell in der Filiale abholen, möchte er es morgen vielleicht lieber zugestellt bekommen, am besten express. Maximale Flexibilität bei der Kaufabwicklung ist für den Konsumenten wünschenswert, für den Handel aber oft kein Leichtes. Ein außergewöhnlich hohes Maß an Wahlfreiheit in allen Schritten der Kaufabwicklung offeriert MediaMarkt: Der Kunde hat die Möglichkeit, sich unkompliziert als Gast zu registrieren. Die bestellte Ware kann er sich in seine Wunschfiliale oder express nach Hause liefern lassen – wenn nötig noch am selben Tag. Die Bezahloptionen sind vielfältig, sogar Kauf auf Rechnung und Ratenzahlung werden angeboten. Die Retoure ist bei MediaMarkt gratis – und per Posteinsendung möglich wie auch durch Rückgabe in der nächsten Filiale.
Der große Gesamtsieger der Omnichannel-Erhebung ist jedenfalls der österreichische DIY-Marktführer OBI. Mit hohen Werten in allen sechs Kategorien setzt er sich mit 79 Prozent an die Spitze, gefolgt von Libro (75 Prozent) und Hornbach (74 Prozent).

Blick in die Zukunft
Neben dem detaillierten Branchenvergleich liefert die Studie spannende Insights beim Vergleich der Kundenwünsche mit den realen Services: Fast 60 Prozent der Konsumenten etwa wünschen sich, online einen Rückruf durch den Händler anfordern zu können. Nur neun Prozent der Onlineshops bieten dieses Service jedoch an. Auch die Transparenz zu Versand, Bezahlung und Retouren hinkt den Konsumentenerwartungen nach. „Sicher kann oder will ein Händler aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht immer alle Wünsche der Kunden erfüllen, aber die Studie hat viele Potenziale aufgedeckt, aus denen österreichische Händler mit wenig Aufwand schöpfen können“, so der Geschäftsführer des Handelsverbandes Rainer Will. „Eines der größten Potenziale liegt aber in der organisatorischen Umsetzung.“ 75 Prozent der befragten Händler führen die E-Commerce-Abteilung noch als separate Kostenstelle. Nur 31 Prozent rechnen die Umsätze aus dem Onlineshop den Filialen zu, z. B. regional anhand der Lieferadresse. „Um die Mitarbeiter und die Unternehmenskultur effizient auf Omnichannel auszurichten, das Silo-Denken abzulegen und die Synergien optimal zu nutzen, müssen bestehende Strukturen aufgebrochen und Aufgabenfelder neu verteilt werden.“ (VM)

INFO-BOX I
Absatzkanäle
Omnichannel Retailing nutzt alle verfüg­baren Kanäle, um Waren zu verkaufen, wie etwa:
• Onlineshop
• mobiler Webshop
• Smartphone-App
• Teleshopping
• Verkauf über Außendienst
• Telefonhotline
• stationäres Geschäft/Filiale
• Kataloge

INFO-BOX II
Customer Journey: Eine überraschend lange Reise
Wie verhält sich der Konsument vor, während und nach dem Kauf eines Produktes? Eine wichtige Rolle bei der Analyse von Omnichannel-Kampagnen spielt für Werbetreibende sowie Händler das Nachvollziehen der Customer Journey. Denn auf diese Weise können die Vorzüge der einzelnen Kanäle noch besser ausgespielt werden, um neue Kunden zum Kauf zu bewegen. Im Rahmen der Handelsverband-Studie „Expedition Kunde“ wurde die Customer Journey, also die Reise von der Kaufidee bis zum Erwerb, von über 2.000 Konsumenten anhand von zehn konkreten, für ihre jeweilige Produktgruppe stellvertretenden Produkten abgefragt.
Das Ergebnis: Von der allerersten Kaufidee bis zum konkreten Erwerb des gewünschten Produktes vergehen bei der Kreuzfahrt etwa 120 Tage, bei Sofa und Fahrrad 60, beim Fernseher immerhin 30 Tage. „Je größer die Anschaffung, desto länger ist der Kaufprozess. Bis zu 4 Monate hat der Händler Zeit, um dem suchenden Kunden zu begegnen und ihn von sich zu überzeugen“, so Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.
Als Informationsquelle Nummer eins hat sich das Internet durchgesetzt: In 49 % aller geplanten Kaufprozesse wird im Netz recherchiert und verglichen. Dabei ist die Suchmaschine meist die erste Anlaufstelle (60 %), es werden aber auch konkrete Websites von Händlern oder Marken aufgerufen (48 %). Besonders geachtet wird in der Phase der Informationssuche auf Werbung aller Art: 39 % der Käufer scannen ihre Umwelt informationshungrig nach Flugblättern/Prospekten (71 %), Katalogen (34 %), Zeitungsinseraten (25 %) und Onlinewerbung (20 %). Der stationäre POS bleibt weiterhin für die meisten Branchen der wichtigste – 70 % der Befragten haben ihre Ware letztendlich im Geschäft erworben.