Ein engagiertes Team aus Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Slowenien und der Schweiz arbeitet daran, verschiedene Ansätze der Kreislaufwirtschaft in industriellen Prozessen zu etablieren. © Adobe Stock/Vance
Eine Welt ohne Abfall, in der sich alles im ständigen Kreislauf befindet? Damit diese Idee keine Utopie bleibt, forscht ein europäisches Team im Projekt „Cradle-ALP“ an Lösungen.
Stellen wir uns die perfekte Kreislaufwirtschaft vor: Wir leben in einer Welt ohne Abfall. Denn Produkte gestalten wir so, dass alle Materialien und Inhaltsstoffe in den Kreislauf zurückgeführt werden können – genau dorthin, wo wir sie entnommen haben. Gleichsam als Rohstoffe für neue Produkte oder Prozesse. Ein innovatives Vorhaben, das zwar nicht die ganze Welt, aber immerhin den gesamten Alpenraum nach diesem Prinzip gestalten möchte, ist das Interreg-Projekt „Cradle-ALP“.
Ein engagiertes Team aus Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Slowenien und der Schweiz arbeitet daran, verschiedene Ansätze der Kreislaufwirtschaft in industriellen Prozessen zu etablieren. „Es wird für Unternehmen immer wichtiger, ihre Produkte und Prozesse ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten sowie Materialien und Produkte nach der Nutzung in einen gesunden Kreislauf zurückzuführen“, betont Projektpartner Wolfgang Bohmayr, Manager des Kunststoff-Clusters. „In diesem Projekt möchten wir sie dabei unterstützen.“
Expertin teilt Erfahrungen
Julia Schmitt, stellvertretende Leiterin des Institute for Integrated Quality Design (IQD) an der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) und Netzwerkpartnerin der Beratergruppe Neuwaldegg, befasst sich seit Jahren mit der nachhaltigen Gestaltung von Produkten und Prozessen. Sie sprach anlässlich eines Workshops im Rahmen von „Cradle-ALP“ über ihre praktischen Erfahrungen mit dem Thema.
Innovatives Wirtschaftskonzept
Cradle to Cradle (C2C) – sinngemäß übersetzt „vom Ursprung zum Ursprung“ – ist für Schmitt die beste Form der Kreislaufwirtschaft. Dieses innovative, nachhaltige Wirtschaftskonzept wurde zu Beginn der 1990er-Jahre vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough gemeinsam entwickelt.
Cradle-to-Cradle-Produkte werden entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder als technische Nährstoffe in technischen Kreisläufen gehalten. „Der Großteil der heutigen Produkte ist aber noch nicht für geschlossene Kreisläufe gemacht, denn sie enthalten oft bedenkliche Stoffe“, erklärte die Expertin. Als Negativbeispiel nannte sie bromierte Flammschutzhemmer in Elektroteilen, die sich plötzlich in Trinkbechern wiederfanden.
Anerkannter Bewertungsstandard
Das Cradle to Cradle Products Innovation Institute (C2CPII) mit Sitz in San Francisco hat ein global anerkanntes, ganzheitliches Bewertungsschema geschaffen, nach dem Produkte entwickelt, qualifiziert und zertifiziert werden können, die den C2C-Anforderungen genügen: das Cradle-to-Cradle-Certified-Zertifikat.
Aktuell gibt es rund 34.000 Produkte, die nach diesem Bewertungsstandard zertifiziert sind, von Baumaterialien über Bodenbeläge, Kleidung und Kosmetik bis hin zu Reinigungsmitteln, Verpackungen und Polymeren. Sie alle sind so gestaltet und produziert, dass die Qualität ihrer Rohstoffe über mehrere Produktlebenszyklen erhalten bleibt. Das bedeutet: Kein Abfall, alles ist zugleich Nährstoff. Die richtigen Materialien werden in definierten Kreisläufen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort eingesetzt.
Auf Herz und Nieren geprüft
Für diese Zertifizierung sind strenge toxikologische Analysen notwendig. Wie groß der Aufwand dahinter ist, erklärte Julia Schmitt am Beispiel einer einfachen Reinigungsmittelflasche. „Die mehr als 300 Bestandteile müssen allesamt unbedenklich sein.“ Geprüft wird in fünf Kategorien: Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, erneuerbare Energien, verantwortungsvoller Umgang mit Wasser und soziale Gerechtigkeit. Das Zertifikat muss alle drei Jahre erneuert werden. Positiv ist, dass eine Cradle-to-Cradle-Certified-Zertifizierung als Beweis für die Verwendung von für die Gesundheit unbedenklichen Inhaltsstoffen und sicher bewerteten Chemikalien gilt.
Professionelle Begleitung
Doch wer begutachtet und prüft nun potenzielle C2C-Produkte? Das C2CPII greift dabei auf ein Netzwerk von erfahrenen, qualifizierten Cradle-to-Cradle-Certified-Bewertungsstellen zurück. Gutachter werden speziell geschult, um Unternehmen bei der Zertifizierung ihrer Produkte und Prozesse zu unterstützen. Einer dieser akkreditierten Gutachter für den Cradle-to-Cradle-Certified-Standard ist Albin Kälin, CEO der epeaswitzerland gmbh.
Der Experte bestätigt: „Zukunftsorientierte Produktdesigner, Hersteller und Marken rund um den Globus vertrauen auf diesen Bewertungsstandard. Er gilt als transformierender Wegweiser, um Produkte mit einer positiven Wirkung für die Gesellschaft und Umwelt zu entwickeln.“ Sein Unternehmen hat auch die Werner & Mertz GmbH bei ihren Projekten unterstützt. Wie wichtig eine solch professionelle Begleitung beim Umsetzen von nachhaltigen Geschäftsprozessen ist, beschreibt Alexander Schau von Werner & Mertz: „Wirkliche Innovationen entstehen nur in Partnerschaft. Ohne die langjährige Unterstützung durch die epeaswitzerland wären wir nicht so erfolgreich.“
Nicht den Mut verlieren
Unternehmen, die Kreislaufwirtschaft im Betrieb etablieren möchten, rät Julia Schmitt, Partner über den gesamten Wertschöpfungskreislauf ins Boot zu holen. Das heißt, eine enge, innovationsorientierte Beziehung zu Lieferanten aufzubauen und Kunden zu erklären, weswegen das Produkt in Kreisläufen gehalten werden soll. Produkte und Prozesse müssen von Grund auf neu gestaltet werden, um bezüglich der Herkunft und Verwendung aller Materialien bzw. Stoffe die notwendige Transparenz zu erzielen.
Last but not least empfiehlt die Expertin, aufgeschlossene und motivierte Mitarbeiter:innen zu identifizieren und diese mit Freiheiten für Innovationen auszustatten. „Geben Sie ihnen aber auch Orientierung durch feste Strategien und Ziele. Und ganz wichtig: Bei Rückschlägen nicht den Mut verlieren, denn ein Innovationsprozess besteht aus Versuch und Irrtum.“ Auch Alexander Schau hat für Unternehmen, die Cradle-to-Cradle-Prinzipien implementieren wollen, einen guten Rat parat: „Bringen Sie sich aktiv in die C2C-Community ein und saugen Sie den Spirit auf! Nur so wächst das Bewusstsein, wie wichtig saubere Stoffkreisläufe für unsere Zukunft sind.“ (BS)
INFO-BOX
EU-Projekt „Cradle-ALP“
Fossile Rohstoffe und toxische Substanzen sind in Produktionsprozessen weit verbreitet. „Cradle-ALP“ will sich darauf konzentrieren, chemische, fossile oder nicht nachhaltige Materialien durch zirkuläre, nachhaltige und biologisch abbaubare zu ersetzen. Auch Verbrauchsgüter, die jetzt noch auf nicht erneuerbaren Rohstoffen basieren, sollen künftig in einen biologischen Kreislauf übergeführt werden. Im EU-Projekt „Cradle-ALP“ entwickeln Kunststoff-, Cleantech- und Lebensmittel-Cluster gemeinsam mit acht Partnerinstitutionen aus Europa eine Strategie für den Alpenraum, um Substitutionen für Produkte in industriellen Herstellungsprozessen zu erleichtern und so die Überleitung in eine zirkuläre und ressourceneffiziente Wirtschaft zu beschleunigen. Projektlaufzeit: 1.11.2022 bis 31.10.2025
www.alpine-space.eu