COVERTHEMA
dität verdächtigen Zeitalter der Jugend
wenigstens äußerlich Absage zu leisten.
Schon in der sechsten und siebenten
Klasse weigerten wir uns, Schultaschen
zu tragen, um nicht mehr als Gymnasiasten
erkenntlich zu sein. Und benützten
stattdessen Aktenmappen.“
Anfang des 20. Jahrhunderts war es also
üblich, sich Vollbärte wachsen zu
lassen und goldene Brillen zu tragen.
Irgendwie kommt uns das doch bekannt
vor, oder? Mit diesen „Masken“ wollten
junge Ärzte erreichen, älter, erfahrener
und weiser auszusehen, um mehr Autorität
ausstrahlen zu können und ernst
genommen zu werden. Fake it until you
make it! So bezeichnen wir diese Kulturtechnik
heute.
Die Fähigkeiten des Experten
Spezialisten brauchen neben der Maskierung
aber eben auch andere Methoden.
Unter anderem den autodidaktischen
Erwerb vollkommen neuer Fähigkeiten
und Kenntnisse. Denken Sie nur
zwei Jahrzehnte zurück: Die ersten
EDV-Spezialisten – ja, damals hießen sie
weder IT- noch IKT-Experten – haben
sich ohne Informatikstudium an die
44 NEW BUSINESS | OKTOBER 2018
Sache rangemacht. Es waren durchwegs
enthusiasmierte, von der neuen Sache
begeisterte Freaks. Und plötzlich waren
sie da. Sie waren da, weil wir sie benötigt
haben. Und sie waren erfolgreich. Zeiten
des Umbruchs bieten solche Chancen.
Und wir be nden uns in einer Zeit großartiger
Veränderungen.
Vom Himmel zu fallen ist also schon
immer möglich gewesen. Dazu müssen
wir in Vorleistung gehen. In der sich
rasant entwickelnden Wissensgesellschaft
sind wir nämlich immer öfter
dazu gezwungen, Spezialisten zu sein,
ohne bereits Spezialisten zu sein. Auf
dem Weg dorthin müssen wir uns und
dem Markt ein Versprechen abverlangen.
Dann haben wir alles daranzusetzen,
dieses Versprechen einzulösen. Die digitale
Sichtbarkeit ist lediglich eine Vertriebstechnik
dafür. Experte zu sein
bedeutet ein ständiges Changieren zwischen
Dürfen und Können. Das ist der
beste Garant für Weiterentwicklung und
der Arbeit an uns selbst. CZ
Fotos: Christoph Zulehner, freepik
INFO-BOX
Über den Autor
Dr. Christoph Zulehner kommt selbst aus
dem Gesundheitswesen, eines der
schönsten Biotope für Experten, die vom
Himmel fallen, und Faker, wie er meint. Er
hat 2017 den österreichischen Speaker
Slam gewonnen und kam mit dem Fake
schon früh in Berührung. Vor mehr als
30Jahren war er als Krankenpfl egeschüler
in seinem ersten Nachtdienst für 40 PatientInnen
verantwortlich. Ausgerechnet in
jener Nacht musste er eine Patientin wiederbeleben,
die durch seinen Einsatz
überlebte. Am nächsten Tag bedankte
sich die Dame bei ihm mit dem Satz:
„Durch Ihre Kompetenz habe ich überlebt.“
„Wir brauchen nur ein bisschen in
uns zu gehen, um eigene Erlebnisse vor
Augen zu haben, in welchen wir gefakt
haben und den Profi spielen mussten. Der
Fake ist eine unabdingbare Notwendigkeit,
um in unserer Wissensgesellschaft
überleben zu können.“