COACHING-ZONE
„Sage nicht, dass Du auf jemanden stolz bist.
Sage zu dieser Person: Du kannst stolz auf Dich sein.“
Gegen diese Gedanken regt sich Widerstand in mir.
Einmal so richtig vom Leder ziehen.
D er Hintergedanke dieser „Erkenntnis“ soll
50 NEW BUSINESS | JULI/AUGUST 2021
wohl sein: Stärke das Selbstbild des/der
Empfänger:in und mache sie nicht „abhängig“
von Deiner Zustimmung zu seinem/
ihrem Tun. Seit Jahren begegnen mir Menschen in meinen
Coachings, die bitter darunter leiden, dass sie keine
oder zu wenig Anerkennung für ihre Leistungen
erhalten. Nach bisher 34 Jahren als Vater weiß ich einfach,
wie wunderbar es sich anfühlt, seine Kinder loben zu
können und wie großartig es
ist, ihre Reaktionen auf Lob zu
beobachten. In den 20 Jahren,
in denen ich Mitarbeiterinnen
führen durfte, gab es keinen
einzigen Fall, in dem Lob oder
sogar Stolz auf meine Kolleginnen
irgendeinen Schaden angerichtet
hätte. Ich finde diese
„neue“ Philosophie im höchsten
Maße eigenartig. So, als wollte
jemand mit Gewalt irgendeinen
„neuen“ Gedanken hypen, den
man nun mit Karacho durch die
Dörfer treiben muss.
Mir ist klar, dass selbst bei schlichtester Auslegung der
Transaktionsanalyse das Lob aus dem sogenannten
„gütigen Eltern-Ich“ kommt und somit aus einer hierar
chischen Position gegenüber der gelobten Person.
Mir ist außerdem klar, dass aus dieser Hierarchie auch
eine gewisse Abhängigkeit des Gelobten zum Lobenden
entstehen kann und deswegen so manche Aktivität
gesetzt wird, um am Ende die verbale Streicheleinheit
abzuholen. Auch wenn diese Aktivität möglicherweise
nicht den eigenen Ambitionen entspricht.
All diesen Überlegungen setze ich ein beherztes „Na
und?“ entgegen. So eine Konstruktion ist mir beim Gesäß
lieber als die Abwesenheit von Anerkennung und
das feedbacklose Herumwurschteln beim Gesicht.
Wer jemals erlebt hat, wie schlampig auch in großen
Unternehmen mit dem Instrument der Mitarbeitergespräche
umgegangen wird (keine Regelmäßigkeit,
kein Regelwerk, immer wieder sogar Show-Veranstaltungen
des Feedback-Gebers und Zielvereinbarungen
ohne Entwicklungswege), der bettelt geradezu um das
eine oder andere Lob oder gar
den Ausdruck des Stolzes als
Minimal-Grundrauschen von
Akzeptanz und Zufriedenheit.
Da möchte man doch sagen:
Lernt bitte zuerst, DASS
Ihr loben sollt und stolz sein
dürft auf Eure Leute, bevor
Ihr das drölfzigste Räucherstäbchen
anzündet, um Probleme
zu lösen, die Ihr ohne
die Räucherstäbchen gar nicht
hättet! Ja. Lob und Ausdruck
des Stolzes wollen gelernt
sein. Genauso wie Kritik. Vor
allem: Bedingungsloses Lob wäre ganz besonders toll.
Da knüpft man keine neue Herausforderung an das
Lob, sondern lässt die gute Nachricht einfach einmal
ungestört wirken. All das wäre wunderbar und großartig.
Ich glaube, es wäre einfach schön, unbekümmerter
mit dem Ausdruck von Begeisterung über die Leistungen
anderer umzugehen, als sich in den Schleifen
verdrehter Hyperinterpretationen potenzieller Seiteneffekte
einzukringeln.
www.drsonnberger.com
DR. HANNES SONNBERGER, DR. SONNBERGER BUSINESS COACHING
Hannes Sonnberger war viele Jahre in führenden Positionen in Werbeagenturen tätig. Seit 2005 arbeitet er als
zertifi zierter Business-Coach mit den Schwerpunkten Führung, Konfl iktmanagement, Burnout-Prophylaxe und
Teamarbeit. Aktuell erschienen: „Tool Box – das beinahe ultimative Universal-Handbuch für Führungskräfte“.
Foto: Simon Klein • Illustration: pch.vector/Freepik