INNOVATIVE INDUSTRIE
OKTOBER 2021 | INNOVATIONS • NEW BUSINESS 79
Fotos: RNF
Herr Leitner, im ersten Halbjahr 2021 hat adesso seine
Umsätze stark gesteigert – um 31 %. Österreich wird in
einer Aussendung sogar lobend ob seines „kräftigen
Zuwachses“ erwähnt. Sie können zufrieden sein, oder?
Ja, die Halbjahreszahlen passen, auch gruppenweit. Wir sind
stolz, dass wir in den letzten drei Jahren mit diesem Wachstum
mitziehen konnten. Personell haben wir in Österreich im ersten
Halbjahr um zehn Mitarbeiter zugelegt, wir sind mittlerweile
80 Köpfe. Der Umsatz hat sich laut Plan entwickelt, zwischen
20 und 30 Prozent, so wie bei der deutschen Mutter.
Haben die vergangenen 18 Monaten weniger Innovation
gebracht und mehr notwendige Dinge beschleunigt?
Also weniger KI & Co., sondern eher mehr Bereitstellung
von Homeoffi ce-Möglichkeiten?
Jein. In der Branche generell wurden sicher Commodities
mehr be ügelt. Für unsere Projektlandschaft habe ich nicht
wahrgenommen, dass sich etwas wegen Covid geändert
hätte. Außer unsere beiden erfolgreichen Applikationen für
das Land Steiermark, „HIPPO“ und „ELEFANT“, vielleicht.
Das waren spezielle Applikationen, die wegen Covid notwendig
waren. Die konnten aber nur deswegen in dieser
Art und Geschwindigkeit umgesetzt werden, weil wir bereits
Partner des Landes Steiermark waren und die Systeme
kannten. Ein anderer Dienstleister hätte das in dieser Zeit
und Qualität nie schaffen können. Das waren durch die
Pandemie induzierte Ausnahmefälle. Im Großen und Ganzen
war kaum ein Innovationsstopp zu merken – aber auch
kein Hype.
Sie sind also Ihrer Wachstumskurve ohne große Ausreißer
weiter gefolgt? Welche Projekte waren das?
Von einem großen Kundenportal über die Umstellung einer
gesamten Front-End-Applikation bis hin zu Softwareentwicklungsprojekten.
Sehr spannende Projekte waren auch das digitale
Grab und der Bestattungskon gurator für die Wiener
Friedhöfe. Beratungsprojekte gab es durch den fehlenden persönlichen
Kontakt eher weniger. Trotzdem konnte gerade in
der Beratung sehr schnell auf das virtuelle Format umgeschwenkt
werden. Mit einigen unserer Kunden haben wir
virtuelle Halbtags-Workshops realisiert – das war für beide
Seiten sehr gut. Also ja, es war eine Umstellung, aber es gab
weder einen Einbruch, noch ist etwas abgehoben. Es war ein
kontinuierliches Fortschreiben unseres Geschäfts.
Bei adesso gibt es einerseits das Beratungsgeschäft,
andererseits die Individualsoftware-Entwicklung und
in der Gruppe auch Standardsoftware für bestimmte
Bereiche. Das ist ein breites Feld.
Man muss diesen Bogen im eigenen Haus
auch bedienen können – das Ganze erfassen,
um richtig beraten und richtig
umsetzen zu können. Wenn man so breit
aufgestellt ist wie wir, muss man als
adesso Austria über den ganzen Rucksack, den die Gruppe
bietet, so gut Bescheid wissen, dass man die richtigen Leute
an den Tisch holen kann. Das macht es für uns so spannend,
aber auch herausfordernd. Wir prägen den Begriff „one adesso“:
Unsere spezialisierten Schwester-Unternehmen haben
alle einen gewissen Fokus. Wir als Landestochter können alles
bedienen und mit den richtigen Lösungen auf unsere Kunden
zugehen.
Als adesso positionieren Sie sich gegen die „Digitalisierung
von der Stange“ und setzen eher auf einen „Maßanzug“,
der zu den Bedürfnissen der Kunden passt.
Aber für einen gut geschnittenen Anzug muss man
erst genau Maß nehmen. Wie macht adesso das?
Wir haben keinen „One size ts all“-Ansatz. Natürlich haben
wir Lösungsansätze, die aber nur einen Rahmen spannen. Um
herauszu nden, welcher Weg der richtige ist, kommt uns unsere
Dualität von Entwicklung und Beratung sehr zugute. Wir
setzen uns mit dem Kunden hin, um zu verstehen, was er
braucht. Viele wissen das aber selbst nicht. Deshalb muss man
noch einen Schritt zurückgehen und die Ideen erheben. Das
machen wir mit einem eigens entwickelten Workshop-Format,
dem „Interaction Room“. Zu Coronazeiten gab es den natürlich
auch virtuell als „Remote Interaction Room“. Man ist dabei in
einem Raum und bringt alle an dem Thema beteiligten und
interessierten Stakeholder an einen Tisch. Dann wird mit den
Leuten dasselbe Bild im Kopf entwickelt.
Das ist das Wesentliche. So schafft man es, die Ideen aus den
Köpfen herauszuholen und dieselbe, gemeinsame Sicht darauf
zu haben. Wenn man das geschafft hat und alle Beteiligten
dasselbe Verständnis davon haben, kann man darauf aufsetzen.
Soll es in Richtung Disruption gehen, die vielleicht auch das
eigene Geschäft von außen torpediert, oder geht es darum,
Dinge besser als bisher zu machen? Das sind zwei verschiedene
Paar Schuhe, weil die Auswirkungen andere sind. Bei dem
einen geht man an die Eingeweide des Unternehmens, seiner
Prozesse, das kann alles umstürzen. Wenn man so weit ist,
dass man weiß, was man tun will und welche Prozesse das
betrifft, kann man sich passende Lösungsszenarien überlegen.
Das kann sehr facettenreich sein. Nicht alles muss mit Stan-
DER ERSTE SCHRITT IST DER GRÖSSTE
»Auf der digitalen Reise passiert sehr viel, bevor man
überhaupt bei der Lösungsentwicklung ankommt.«
Jürgen Leitner, Head of Development adesso Austria