COVERTHEMA
Strukturen aufbrechen!
»Um die Mitarbeiter und die Unternehmenskultur effizient auf
Omnichannel auszurichten, das Silo-Denken abzulegen und
die Synergien optimal zu nutzen, müssen bestehende Strukturen
aufgebrochen und Aufgabenfelder neu verteilt werden.«
Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes
Das Ass der Omnichannel-Händler gegenüber den
reinen Online-Playern: Der Laden! 89 Prozent der einzelhandelsrelevanten
20 NEW BUSINESS | JULI/AUGUST 2018
Umsätze werden auf der Fläche
getätigt. Hier pro tiert der Kunde von persönlicher
Beratung und tätigt zusätzlich Spontankäufe. Es gilt
also, den Kunden in die Filiale einzuladen. Hervis
macht es seinen Kunden leicht: Eine schnell auf ndbare,
lterbare Filialliste mit Routenplaner lädt zum
Kommen ein. Im Webshop ist der Filial-Warenbestand
einsehbar, ein Service, das auch 66 Prozent der anderen
Händler anbieten. Bei Hervis können die Produkte
aber zusätzlich nach Filialverfügbarkeit ge ltert werden
– das beherrschen nur neun Prozent der analysierten
Shops. Außerdem lockt der digitale Kauf ins
Geschäft: Online gekaufte oder reservierte Produkte
können in der Filiale abgeholt und auch
dort retourniert werden.
Kundenansprüche und Händleroptionen
gehen oft auseinander
Im Zentrum steht der Kunde: Will er ein
Produkt heute schnell in der Filiale abholen,
möchte er es morgen vielleicht lieber
zugestellt bekommen, am besten express.
Maximale Flexibilität bei der Kaufabwicklung
ist für den Konsumenten wünschenswert, für den
Handel aber oft kein Leichtes. Ein außergewöhnlich
hohes Maß an Wahlfreiheit in allen Schritten der Kaufabwicklung
offeriert MediaMarkt: Der Kunde hat die
Möglichkeit, sich unkompliziert als Gast zu registrieren.
Die bestellte Ware kann er sich in seine Wunsch liale
oder express nach Hause liefern lassen – wenn nötig
noch am selben Tag. Die Bezahloptionen sind vielfältig,
sogar Kauf auf Rechnung und Ratenzahlung werden
angeboten. Die Retoure ist bei MediaMarkt gratis – und
per Posteinsendung möglich wie auch durch Rückgabe
in der nächsten Filiale.
Der große Gesamtsieger der Omnichannel-Erhebung
ist jedenfalls der österreichische DIY-Marktführer OBI.
Mit hohen Werten in allen sechs Kategorien setzt er sich
mit 79 Prozent an die Spitze, gefolgt von Libro (75 Prozent)
und Hornbach (74 Prozent).
Blick in die Zukunft
Neben dem detaillierten Branchenvergleich liefert die
Studie spannende Insights beim Vergleich der Kundenwünsche
mit den realen Services: Fast 60 Prozent
der Konsumenten etwa wünschen sich, online einen
Rückruf durch den Händler anfordern zu können.
Nur neun Prozent der Onlineshops bieten dieses Service
jedoch an. Auch die Transparenz zu Versand,
Bezahlung und Retouren hinkt den Konsumentenerwartungen
nach. „Sicher kann oder will ein Händler
aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht immer alle
Wünsche der Kunden erfüllen, aber die Studie hat
viele Potenziale aufgedeckt, aus denen österreichische
Händler mit wenig Aufwand schöpfen können“, so
der Geschäftsführer des Handelsverbandes Rainer
Will. „Eines der größten Potenziale liegt aber in der
organisatorischen Umsetzung.“ 75 Prozent der befragten
Händler führen die E-Commerce-Abteilung noch
als separate Kostenstelle. Nur 31 Prozent rechnen die
Umsätze aus dem Onlineshop den Filialen zu, z.B.
regional anhand der Lieferadresse. „Um die Mitarbeiter
und die Unternehmenskultur ef zient auf Omnichannel
auszurichten, das Silo-Denken abzulegen
und die Synergien optimal zu nutzen, müssen bestehende
Strukturen aufgebrochen und Aufgabenfelder
neu verteilt werden.“ VM
INFO-BOX
Customer Journey: Eine überraschend lange Reise
Wie verhält sich der Konsument vor, während und nach dem Kauf eines Produktes?
Eine wichtige Rolle bei der Analyse von Omnichannel-Kampagnen spielt
für Werbetreibende sowie Händler das Nachvollziehen der Customer Journey.
Denn auf diese Weise können die Vorzüge der einzelnen Kanäle noch besser
ausgespielt werden, um neue Kunden zum Kauf zu bewegen. Im Rahmen der
Handelsverband-Studie „Expedition Kunde“ wurde die Customer Journey, also
die Reise von der Kaufi dee bis zum Erwerb, von über 2.000 Konsumenten anhand
von zehn konkreten, für ihre jeweilige Produktgruppe stellvertretenden
Produkten abgefragt.
Das Ergebnis: Von der allerersten Kaufi dee bis zum konkreten Erwerb des gewünschten
Produktes vergehen bei der Kreuzfahrt etwa 120 Tage, bei Sofa und
Fahrrad 60, beim Fernseher immerhin 30 Tage. „Je größer die Anschaffung, desto
länger ist der Kaufprozess. Bis zu 4 Monate hat der Händler Zeit, um dem suchenden
Kunden zu begegnen und ihn von sich zu überzeugen“, so Rainer Will,
Geschäftsführer des Handelsverbandes.
Als Informationsquelle Nummer eins hat sich das Internet durchgesetzt: In 49%
aller geplanten Kaufprozesse wird im Netz recherchiert und verglichen. Dabei ist
die Suchmaschine meist die erste Anlaufstelle (60%), es werden aber auch konkrete
Websites von Händlern oder Marken aufgerufen (48%). Besonders geachtet
wird in der Phase der Informationssuche auf Werbung aller Art: 39% der
Käufer scannen ihre Umwelt informationshungrig nach Flugblättern/Prospekten
(71%), Katalogen (34%), Zeitungsinseraten (25%) und Onlinewerbung (20%).
Der stationäre POS bleibt weiterhin für die meisten Branchen der wichtigste –
70% der Befragten haben ihre Ware letztendlich im Geschäft erworben.
Fotos: Pexels, Pixabay, Stefan Zamisch, Arman Rastagar