INNOVATIVE INDUSTRIE • SCHALTSCHRÄNKE/SCHALTSCHRANKBAU
tet, die durch ihren PE-Fuß etwas schwerer aufzurasten
sind. Ein weiteres Kriterium im Test war die Packungsdichte
der montierten Klemmen, da diese für das spätere Beschriften
zum Beispiel mit dem Wago-Endlosbeschriftungsstreifen
ebenso dicht wie bei manueller Montage sein muss.
FÜR KRAFTGEREGELTE MONTAGEAUFGABEN
Das Fraunhofer IPA bietet für herausfordernde Montageaufgaben
dieser Art – sowohl hinsichtlich der Variantenvielfalt
der Klemmen als auch hinsichtlich des anspruchsvollen
Steckprozesses – seinen Softwarebaukasten „pitasc“. Er
ermöglicht, Montageanwendungen strukturiert zu programmieren.
„Bisher war es erforderlich, ein Robotersystem für
jede Anwendung weitgehend neu einzurichten. Mit unserer
Software sind einmal modellierte Aufgaben schnell auf
neue Produktvarianten, in diesem Fall eben die Klemmen,
auf neue Produkte und sogar auf Roboter anderer Hersteller
übertragbar“, sagt Lorenz Halt, Wissenschaftler am
Fraunhofer IPA und Mitentwickler von pitasc. Die Software
ist in Form eines Baukastensystems strukturiert: Sie enthält
viele fertig einsetzbare und wiederverwendbare Programmbausteine,
die bei der Einrichtung eines Robotersystems
individuell zusammengestellt, parametriert und eingesetzt
werden können.
pitasc nutzt zudem Sensorik, um Prozesskräfte aktiv regeln
zu können. Für den Wago-Test kam der Roboter UR10e mit
bereits integrierter Kraftsensorik zum Einsatz. „So kann
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das Robotersystem Bauteil- und Lagetoleranzen ausgleichen
und setzt keine zu hohen Kräfte ein“, erklärt Halt. „Das
schont die emp ndlichen Bauteile.“ Da der Prozess aus Sicht
der Werkstücke programmiert wird, ist das einmal erstellte
Programm leicht an Varianten anpassbar, weil nur bestimmte
Parameter wie Prozesskräfte und Greifpositionen
geändert werden müssen. Nicht zuletzt ist die Software
roboterherstellerunabhängig.
ROBOTER MEISTERT VARIANTEN UND STECKPROZESS
Die durchgeführten Tests mit den Wago-Reihenklemmen
verliefen erfolgreich. Der eingesetzte Roboter konnte mit
pitasc alle Klemmen erfolgreich stecken. Die Anpassung
der Software an die verschiedenen Varianten der Klemmen,
einschließlich komplexerer Bauformen wie Doppelstock-
oder PE-Klemmen, konnten die Projektpartner einfach
mithilfe der Programmparameter umsetzen. Es war keine
aufwendige Umprogrammierung erforderlich. Selbst bei
PE-Klemmen ließ sich zudem eine hohe Packungsdichte
erreichen, indem der Roboter kraftgeregelt gegen das bereits
montierte Pack drückte.
Diese Testergebnisse zeigen, dass eine Montageautomatisierung
für das Bestücken von Tragschienen auch mithilfe
von Roboter und Klemmen „von der Stange“ technisch
möglich ist, sofern die eingesetzte Software die Herausforderungen
der Anwendung meistern kann. „Unsere Erfahrungen
mit Kunden verdeutlichen, dass bei der Automatisierung
der Schaltschrankfertigung viele individuelle Anforderungen
berücksichtigt werden müssen. Die Ergebnisse
zeigen, dass die Lösung einfach sein kann, wenn Standardhardware
einsetzbar ist“, erklärt Dörbaum.
Der Vorteil einer solchen Lösung ist, dass die Investitionskosten
für die Anwendung überschaubar bleiben und sie
zugleich exibel ist. Die Variantenvielfalt lässt sich ebenfalls
mithilfe der Software sinnvoll in den Griff bekommen.
Gleichwohl bedarf es für den industriellen Einsatz einer
solchen Anwendung noch weiterer Arbeiten, denn erfahrungsgemäß
unterscheiden sich die Anforderungen je nach
Schaltschrankbauer erheblich im Hinblick auf die Anzahl
der verschiedenen Komponenten, die Durchlaufzeiten und
die Integration verschiedener Prozessschritte.
Die Ausführungen zeigen: Es gibt nicht den einen Weg zur
Automatisierung der Schaltschrankfertigung. Aufbauend
auf dem hier gezeigten Ansatz mit „Standardrobotern und
-klemmen“ sind noch viele weitere Fragen zu beantworten.
Kann zum Beispiel auch direkt in Kleinverteilern bestückt
und anschließend verdrahtet werden? Wie werden Klemmen
optimal zugeführt? „Das erfolgreich getestete, roboter basierte
Bestücken von Tragschienen mit der IPA-Software ist ein
guter Startpunkt für weitere Kooperationen auf diesem
Gebiet der industrienahen Forschung und weitere Entwicklungen
hin zur produktiven Nutzung“, so Dörbaum. BS
www.wago.com
www.pitasc.fraunhofer.de
Foto: Fraunhofer IPA/Rainer Bez
Gemeinsam testeten die Firma Wago und das Fraunhofer IPA in
einem Forschungsprojekt, inwieweit sich Standard-Roboterhardware
auch für das Aufrasten von Reihenklemmen eignet.