
VORARLBERG
Nicht nur für Serien-Junkies genial
»Ein DNA-Speicher, so groß wie ein USB-Stick. Darauf ist
Erbgut für eine halbe Ewigkeit gespeichert oder eine Million
Netflix-Folgen. Beides geht sich aus. Das finden nicht nur
Serien-Junkies genial, sondern brachte auch den Europäischen
Erfinderpreis.«
Mariana Karepova, Präsidentin des Österreichischen Patentamtes
NOVEMBER 2021 | VORARLBERG • NEW BUSINESS 161
Fotos: Europäisches Patentamt (1), Patentamt/Christian Husar (2), Jan Vašek/Pixabay (3)
diese begrenzte Haltbarkeit überwindet,
indem sie die DNA-Speicherfähigkeiten
von Fossilien nachahmt.
Die neuartige Methode zur Datenerhaltung
und -speicherung basiert auf künstlich
eingeschlossener DNA in winzigen
Glaskugeln. Digitale Daten werden in
einen genetischen Code, der aus einer
entsprechenden Sequenz der vier DNABasenpaare
besteht, umgewandelt und
auf einem DNA-Strang gespeichert. Dass
diese Form der Datenspeicherung möglich
ist, haben bereits andere Wissenschaftler,
wie der US-Genetiker George
Church im Jahr 2012, bewiesen. Die
bisherige Herausforderung der DNADatenspeicherung
lag jedoch vielmehr
darin, dass ungeschützte DNA-Stränge
sich sehr schnell chemisch zersetzen,
sobald sie Wasser, Luft und Hitze ausgesetzt
sind. Grass und Stark ließen sich
für ihren Lösungsansatz von Fossilien
inspirieren. Denn Fossilien konservieren
DNA über Hunderttausende von Jahren.
Technologischer Fortschritt erfordert
Blick über den Tellerrand
Mit Hilfe von innovativen und disziplinübergreifenden
Ansätzen, unter anderem
aus der Verkapselung- und Synthesetechnik,
gelang es den beiden, synthetische
DNA in Glaspartikel einzuschließen,
die bis zu 10.000-mal dünner sind
als ein Blatt Papier. Diese nicht-porösen
„Glasfossilien“ schützen die DNA vor
den meisten Korrosionsmedien und
Temperaturein üssen und können mit
einer Fluoridlösung wieder aufgelöst
werden, ohne dabei die Information auf
dem DNA-Strang zu beschädigen. Nach
einer einwöchigen Lagerung bei 70°C,
– das entspricht den Umwelteinwirkungen
von ca. 2.000 Jahren bei durchschnittlichen
Temperaturen in Mitteleuropa –
konnte das Team von Grass eine fehlerfreie
Datenwiederherstellung erreichen.
Netfl ix-Serie und Musikalbum bald im
DNA-Format abrufbar?
2018 – genau 20 Jahre, nachdem das Album
„Mezzanine“ der Gruppe Massive
Attack veröffentlicht wurde – legten
Grass und Stark das Album im DNAFormat
neu auf, indem sie eine 15 MB
große Datei in Stränge synthetischer
DNA codierten. Weitere Bekanntheit
erlangte das Forschungsteam, als sie
2020 die erste Episode der Net ix-Serie
„Biohackers“ – eine 100 MB große Videodatei
– erfolgreich auf DNA speicherten.
Zwar schränken derzeit die hohen Kosten
für das Schreiben und Speichern
größerer Datenmengen den kommerziellen
Einsatz noch stark ein, dennoch
rückt das Datenspeicherungspotenzial
von Grass und Starks Er ndung immer
mehr in den Vordergrund. So zum Beispiel
werden die Glasfossilien, die sich
als äußerst nützlicher und robuster DNABarcode
für Tracking-Zwecke erwiesen
haben, bereits eingesetzt, um unterirdische
Wasserflüsse zu verfolgen oder
Produkte in Lieferketten zu veri zieren.
„Wir stellen uns in nicht allzu ferner
Zukunft eine Welt vor, in der das Lesen
von DNA wirklich als Alltagstechnologie
zugänglich ist“, sagt Grass. „In der
Welt, in der wir arbeiten, ist das Lesen
und Schreiben von DNA so, als würde
man einen Stift und Papier nutzen – ein
viel alltäglicheres Medium, mit dem die
Menschen interagieren können.“ BO
ZUR PERSON
Robert N. Grass – Spitzenforscher aus
Bregenz
Grass, geboren in Bregenz, studierte ab
1999 Chemieingenieurwesen an der ETH
Zürich und lernte dort Wendelin Stark im
Jahr 2004 kennen, als er einer von Starks
ersten Doktoranden war. Grass promovierte
an der ETH Zürich im Jahr 2007 mit
einer Arbeit zum Thema Nanopulversynthese
und -anwendung. Anschließend
gründete Grass die ETH-Spin-off-Unternehmen
TurboBeads LLC und hemotune
AG und war 2016 Mitbegründer des ETHSpin
offs Haelixa AG, welche die glasverkapselte
DNA-Speichermethode kommerzialisiert.
Als Titularprofessor am Departement
Chemie und Angewandte Biowissenschaften
forscht er weiterhin an der ETH
Zürich und wird in 13 europäischen Patenten
a 3 ls Erfi nder genannt.
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